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Fast 60% Ja zur Personenfreizügigkeit

Der freie Personenverkehr zwischen der Schweiz und der EU ist nun unbefristet gültig. Keystone

Das Schweizer Stimmvolk sagt laut provisorischem Endergebnis mit 59,6% deutlich Ja zur Fortführung des freien Personenverkehrs mit der EU und dessen Ausweitung auf Rumänien und Bulgarien. Einzig vier Kantone votierten gegen die Vorlage.

1’517’156 Ja (59,6 Prozent) standen am Ende nur 1’027’644 Nein (40,4 Prozent) gegenüber. Das Ständemehr der Kantone war nicht verlangt, wäre aber problemlos erreicht worden.

Die Stimmbeteiligung war mit offiziell 50,9% ebenfalls relativ hoch. Das Ja fiel am Ende noch um fast vier Prozentpunkte klarer aus als im September 2005 bei der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf zehn neue EU-Länder.

Am grössten war die Zustimmung wie üblich bei Europavorlagen in der Westschweiz und den beiden Basel.

Das höchste Ja meldete mit 70,2% der Kanton Waadt vor Neuenburg mit 69,4%. Es folgten Jura (66,9), Basel-Stadt (66,8), Freiburg (64,5), Basel- Landschaft (63,3) und Genf (62,4). Das Wallis lag mit 59,6% Ja in der Westschweizer Phalanx schon etwas zurück.

Hohe Ja-Anteile gab es auch in Bern (62,9), Zürich (61,9), Graubünden (59,4), Zug (59,2), Luzern (581), Solothurn (57,8), Appenzell Ausserrhoden (57,3), St. Gallen (55,6), Aargau (55,5), Schaffhausen (54,3). Nur eine knappe Annahme meldeten Obwalden (52,3), Uri (51,8) und Nidwalden (50,3).

Tessin klar dagegen

Wuchtig Nein mit 65,8% sagte erwartungsgemäss das Tessin. Der Grenzkanton hatte bereits im Mai 2000 zusammen mit Schwyz gegen die sieben bilateralen Verträge I votiert und im September 2005 bei der Ausdehnung des freien Personenverkehrs auf zehn neue EU-Staaten mit fast 64% Nein klar die sieben verwerfenden Kantone angeführt.

Neben dem Kanton Tessin winkten auch Schwyz (56,6), Appenzell Innerrhoden (53,4) und Glarus (51,0) ab. Obwalden, Nidwalden und Uri hingegen, die bei der letzten Ausdehnung noch Nein gesagt hatten, stimmten diesmal zu.

Kein Wagnis in der Wirtschaftskrise

Mit seinem Verdikt folgte das Schweizervolk dem Bundesrat, dem Parlament, der Wirtschaft und der grossen Mehrheit der Parteien.

Durchsetzen konnte sich auch in der Wirtschaftskrise das Argument, dass die Schweiz qualifizierte Arbeitskräfte aus der EU benötige und freier Personenverkehr zu Wachstum und Wohlstand beitrage.

Mit Erfolg warnten die Befürworter auch davor, vom bewährten bilateralen Weg abzurücken. Sie liessen nie einen Zweifel daran, dass ein Nein zur Kündigung des Freizügigkeitsabkommens bis Ende Mai gezwungen hätte und dass dann wegen der “Guillotineklausel” auch die andern sechs Verträge der Bilateralen I hinweggefallen wären.

Geschlagen wurden nicht nur die Junge SVP, die Lega dei Ticinesi und die Schweizer Demokraten als Urheber des Referendums, das sich vorab gegen den freien Personenverkehr mit Bulgarien und Rumänien richtete.

Vom Volk im Stich gelassen wurde auch die Schweizerische Volkspartei (SVP), die das Szenario Masseneinwanderung, Arbeitslosigkeit, Sozialdumping und Kriminalität an die Wand gemalt hatte.

Das dritte Ja zum freien Personenverkehr nach 2000 und 2005 machte die Diskussionen um einen “Plan B” obsolet. Die Gegner hatten behauptet, bei einem Nein könne der Bundesrat in Brüssel bessere Lösungen aushandeln und das Volk – diesmal mit getrennten Vorlagen zur Weiterführung und zur Ausdehnung – erneut befragen.

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Unbefristet gültig

Nach dem Ja in der eidgenössischen Volksabstimmung tritt die Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens auf Bulgarien und Rumänien in den nächsten Monaten in Kraft, sobald auch Brüssel grünes Licht gegeben hat.

Dann beginnt eine siebenjährige Übergangsfrist, in welcher der freie Personenverkehr mit den beiden Staaten schrittweise eingeführt wird.

Während dieser Frist bis 2016 bleibt die Zulassung von Arbeitskräften aus Bulgarien und Rumänien begrenzt. Bei den Daueraufenthaltern (bis fünf Jahre) steigen die Kontingente sukzessive von 362 auf 1207, bei den Kurzaufenthaltern (vier bis zwölf Monate) von 3620 auf 11’664.

Nach Ablauf der sieben Jahre könnte die Schweiz weitere drei Jahre lang eine “Ventilklausel” anrufen, wenn die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien unerwünscht stark sein sollte. Demnach wäre eine Kontingentierung noch bis ins Jahr 2019 hinein möglich.

Inländische Arbeitskräfte haben während der Übergangsfrist bei der Anstellung vor bulgarischen und rumänischen Vorrang. Vor jeder Anstellung werden zudem die Lohn- und Arbeitsbedingungen von den Schweizer Behörden kontrolliert.

Das bisher auf sieben Jahre befristete und nun auf 27 EU-Länder erweiterte Personenfreizügigkeitsabkommen gilt jetzt unbefristet weiter. Es kann von beiden Seiten jederzeit auf sechs Monate gekündigt werden. Wegen der “Guillotine-Klausel” träten dann auch die sechs andern Verträge der Bilateralen I ausser Kraft.

swissinfo und Agenturen

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Das Abkommen erlaubt Bürgern der Schweiz und der EU, das Land frei auszuwählen, in dem sie leben und arbeiten wollen.

Bedingungen: Eine Aufenthaltsbewilligung erhält, wer im Besitz eines Arbeitsvertrags ist, eine selbständigerwerbende Arbeit oder ausreichende finanzielle Mittel nachweisen kann und krankenversichert ist.

Um Phänomene wie Lohn- oder Sozialdumping zu verhindern, hat die Eidgenossenschaft flankierende Massnahmen in Kraft gesetzt. Im Fall von wiederholtem Lohndumping können Massnahmen getroffen werden, die obligatorische Mindestlöhne vorsehen.

Die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Bulgarien und Rumänien soll schrittweise erfolgen. Während sieben Jahren ab Inkrafttreten gelten für die Zuwanderung verschiedene Beschränkungen: Kontingente, Inländervorrang, vorgängige Kontrollen der Lohn- und Arbeitsbedingungen.

Erstmals seit über drei Jahren hat mit 50,9% wieder mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten an einer eidgenössischen Abstimmung teilgenommen.

Erneut war es eine europapolitische Vorlage, die in diesem Ausmass mobilisieren konnte.

Am 25. September 2005 entschieden 54,5% über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf damals zehn neue EU-Länder.

Am 5. Juni des gleichen Jahres hatten das Abkommen zu Schengen/Dublin und das Partnerschafts-Gesetz sogar 56,6% an die Urne gelockt.

swissinfo.ch

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