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“In Syrien wird es noch schlimmer kommen”

Demonstrierende solidarisieren sich in Kfar Nabel mit den Menschen in der Protesthochburg Hama, wo syrische Truppen 45 Menschen getötet haben (Standbild aus einem Video eines Demonstranten). Reuters

Ungeachtet der Verurteilung des Regimes von Präsident Bashar al-Assad durch den UNO-Sicherheitsrat werde das Töten in Syrien weitergehen, sagt der syrisch-kurdische Filmemacher Mano Khalil, der seit 1996 im Exil in der Schweiz lebt.

Es war eine “UNO-Resolution light”, zu der sich der UNO-Sicherheitsrat am Mittwoch nach langen Diskussionen hatte durchringen können: In einer so genannten Präsidentiellen Erklärung verurteilten die 15 Mitglieder die “weitreichende Verletzung der Menschenrechte und die Gewalt gegen Zivilisten” des Regimes.

Zwar fiel der Entscheid einstimmig, doch bindenden Charakter hat die Erklärung im Gegensatz zu einer Resolution nicht.

Das Signal aus New York, mit dem die Weltgemeinschaft Geschlossenheit demonstrieren will, werde in Damaskus schlicht ignoriert werden, lautet die pessimistische Einschätzung Mano Khalils, der seit 15 Jahren in Bern lebt.

Die jüngsten Vorfälle scheinen ihm recht zu geben: Am Mittwoch und Donnerstag starben in der Protesthochburg Hama laut Menschenrechtlern 40 Personen durch Maschinengewehr-Feuer und Panzergeschosse.

Mit seiner Meinung ist Khalil nicht allein. “Die Reaktion des UNO-Sicherheitsrates ist absolut unzureichend”, sagt Daniel Graf von Amnesty International Schweiz. Die Menschenrechts-Organisation fordert die UNO deshalb zu raschem Handeln auf, gestützt auf eine klar umrissene und rechtlich bindende Position.

Dazu gehört laut AI ein Waffenembargo, das Einfrieren von Auslandvermögen von Präsident al-Assad und weiterer Verantwortlicher, die der Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdächtigt werden.

Wichtiger Kanal ins Ausland 

Obwohl der 47-Jährige Mano Khalil seit 18 Jahren nicht mehr nach Syrien zurückkehren darf – damals hatte er einen kritischen Film über die Situation der Kurden in Syrien gedreht – steht er via Telefon und Internet in ständigem Kontakt mit Familienangehörigen, Freunden und Bekannten im Land.

Weil er international über einige Bekanntheit verfügt, ist Khalil zudem für die Protestierenden im abgeschotteten Land zu einer wichtigen Person geworden.

“Da ich auf Facebook sehr viele Freunde habe, schicken mir die Menschen Aufnahmen, die sie mit ihrem Handy von Protesten in Syrien gemacht haben, damit ich die Dokumente verbreiten kann”, berichtet Khalil am Telefon aus einer Gebirgsregion in der Türkei. Dort rekognosziert er gegenwärtig Drehorte für sein neuestes Dokumentarfilmprojekt (siehe Extra).

Untersuchungen im Land unmöglich

Die Zahl der bisher von den syrischen Sicherheitskräften getöteten Demonstranten beziffert Khalil auf deutlich über 2000. Die Angaben von Menschenrechts-Organisationen liegen etwas tiefer. AI hat Namen von über 1500 Syrern verzeichnet, die seit Beginn der Proteste Mitte März als tot gelten.

Die Ermittlung der Opferzahl wird dadurch erschwert, dass Assad einerseits die Inlandmedien kontrolliert, andererseits praktisch alle ausländischen Journalisten ausgewiesen hat und keine Vertreter von Menschenrechts-Organisationen einreisen lässt.

Organisationen wie Amnesty stützen sich deshalb vorwiegend auf Menschen, die in die Türkei oder in den Libanon geflüchtet sind. Zur Aufklärung der nur schwer eruierbaren Vorgänge fordert AI, dass Assad eine unabhängige Untersuchungs-Kommission ins Land lässt. 

Jugend gibt sich nicht mehr zufrieden

Was das Blutvergiessen angeht, ist Mano Khalil überzeugt, dass es nicht nur weitergehen, sondern sich gar noch verschlimmern wird. “Die Generation der Jungen wird sich auflehnen, denn sie sieht via Facebook in die Welt hinaus. Sie wissen, dass Leute in anderen Ländern ein menschenwürdiges Leben führen und fordern nun das Gleiche für sich”, beschreibt der Filmemacher die Stimmung vieler junger Landsleute.

Ebenso traurig wie das Blutvergiessen in seiner Heimat machen den Exil-Syrer die lauen Reaktionen der Weltgemeinschaft. “Für uns Syrer, ob Kurden, Muslime oder andere, ist es fast unvorstellbar, dass die USA und der Westen, aber auch die anderen arabischen Länder, der Brutalität des syrischen Regimes tatenlos zusehen”, klagt er an. “Die Tragik liegt darin, dass das syrische Volk in der Welt keine Freunde findet”.

Bewaffnete Islamisten als Chimäre

US-Präsident Obama stütze Assad aus Furcht, dass die Islamisten die Macht übernehmen könnten, denn das würde eine Gefahr für die Region bedeuten.

“Es gibt aber in Syrien weder bewaffnete Islamisten noch andere bewaffnete Gruppen, sondern nur Menschen, die die Freiheit wollen”, sagt Khalil. Politische Reformen wie die Einführung eines neuen Parteien- und Wahlgesetzes, das Assad am Donnerstag ankündigte, sind für den Khalil nichts weiter als “demokratische Schönheitsoperationen”.

Der Mann der siebten Kunst fordert von der internationalen Gemeinschaft ein militärisches Eingreifen wie es im Krieg im damaligen Jugoslawien der Fall war und gegenwärtig gegen Gaddafi in Libyen im Gang ist.

Anklage in Den Haag

“Wieso verabschiedet die UNO eine Resolution, wonach die Paläste Gaddafis bombardiert und Waffen an die Aufständischen geliefert werden dürfen, und im Fall von Syrien wartet die internationale Gemeinschaft ab mit dem Argument, dass Bashar dem Land Demokratie bringe?, fragt Khalil. Neben einer militärischen Intervention fordert er auch, dass den Assads vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag der Prozess gemacht werde.

“Es gibt u.a. ein Video, das Maher al-Assad (Befehlshaber in der Armee) zeigt, wie er mit seinem Handy ein Massaker filmt, das die ihn umgebenden Soldaten soeben verübt haben”, berichtet Khalil.

Wie Khalil fordert auch Amnesty International, dass die UNO die Angelegenheit Syrien dem ICC übergeben solle.

Zwar hat am Donnerstag neben Washington auch Moskau den Ton gegenüber dem Assad-Regime verschärft. Die Hoffnungen Mano Khalils und vieler seiner Landsleute auf einen Sturz der Regierung Assad dürften sich aber so schnell nicht erfüllen.

Für seinen Film “Unser Garten Eden” wurde Khalil 2010 mit dem zweiten Berner Filmpreis ausgezeichnet, der mit 20’000 Franken dotiert ist.

Im Werk dokumentierte er das Neben- und Miteinander von Menschen aus verschiedensten Kulturen in einem Schrebergarten vor den Toren der Stadt Bern.

Der Exil-Syrer bepflanzt dort selbst ein kleines Stück Boden.

In seinem nächsten Dokumentarfilm, für den er gegenwärtig in der Türkei Drehorte auskundschaftet, porträtiert Khalil einen kurdischen Imker.

Nachdem dieser alles verloren hatte und in die Schweiz hatte flüchten musste, begann er in Basel, Bienen zu züchten.

Diese lädt er jeweils in einen Camion und verfrachtet sie in die Urnerischen Alpen, wo sie den Sommer verbringen.

Die Dreharbeiten sollen in einem Jahr abgeschlossen sein.

Die politischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Syrien sind nicht sehr intensiv.
 
Der Handelsaustausch ist bescheiden, auch wenn er in den letzten paar Jahren gewachsen ist.
 
Die Schweiz exportiert vor allem Maschinen sowie pharmazeutische und chemische Produkte.
 
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) betreibt in Damaskus seit 2005 ein regionales Kooperationsbüro.
 
Syrien ist am Regionalprojekt “Mashreq” der Deza beteiligt. Das Programm bezieht sich auf gute Regierungsführung, Förderung von Arbeitsplätzen und Umweltfragen.
 
Die Humanitäre Hilfe der Schweiz kommt Palästina-Flüchtlingen in den syrischen Lagern zugute.
 
2009 lebten in Syrien 196 Schweizer, davon 148 Doppelbürger.
 
2009 lebten in der Schweiz 1023 syrische Staatsangehörige.

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