Auslandschweizer-Rat: Bringen die Direktwahlen frisches Blut?

Erstmals wird der Auslandschweizer-Rat massgeblich per Direktwahl besetzt – über 13'000 Stimmen wurden weltweit abgegeben. Die hohe Beteiligung weckt Hoffnung auf frischen Wind im Rat. Doch die Vergangenheit zeigt: Viele junge Kräfte kehren dem Rat noch innerhalb der Legislatur den Rücken.
Am 11. Mai schlossen die Urnen der weltweit grössten organisierten Direktwahlen in der Geschichte des Auslandschweizer-Rats. Das Unterfangen war ein Erfolg: 13’473 Stimmen wurden in den 13 Wahlkreisen abgegeben – allein in Deutschland wählten 4’416 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer ihre acht Delegierten und zwei Stellvertreter:innen für die nächste Legislaturperiode im Auslandschweizer-Rat.
Zum Vergleich: Beim indirekten Wahlsystem wählten 2021 in Deutschland 32 Vertreterinnen und Vertreter der theoretisch 40 stimmberechtigten Schweizer Vereine ihre Auslandschweizerrätinnen und -räte. Damals standen 23 Kandidierende zur Wahl, gegenüber 28 bei der jetzigen Wahl. «Die über 4’000 Wählenden sind ein gewaltiger Unterschied», freut sich der Vize-Präsident der Auslandschweizer-Organisation Deutschland, Tobias Orth.
Noch im März befürchten die Kandidierenden in Deutschland, dass kein Interesse an der Wahl der Delegierten für den Auslandschweizer-Rat besteht:

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Wer gewählt ist, wird in diesen Tagen bekannt. Die Ergebnisse aus DeutschlandExterner Link sowie Spanien und PortugalExterner Link zum Beispiel sind bereits kommuniziert. Die Berner Fachhochschule, die das Tool für die Direktwahlen zur Verfügung gestellt hat, «hat die Ergebnisse bereits der Auslandschweizer-Organisation zur Verfügung gestellt», sagt Noel Frei, der die Wahlen zusammen mit einer Arbeitsgruppe begleitet hat.
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«Wichtiger Schritt hin zu mehr Demokratie und Repräsentativität»
Dank der Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA habe man die wahlberechtigten Auslandschweizerinnen und -schweizer erreichen können, berichtet Frei weiter. Mit 150 Kandidaten für 47 Delegiertenstellen habe in fast allen Ländern eine echte Auswahl geboten werden können. «Hier, wie auch bei der Wahlbeteiligung, sehe ich aber auch noch die Chance, dass mehr herausgeholt werde könnte», so Frei.
Der Auslandschweizer-Rat vertritt die Interessen der Schweizer:innen im Ausland. Er ist die politische Stimme dieser Gemeinschaft gegenüber der Schweizer Regierung, der Öffentlichkeit und anderen Institutionen.
Zu seinen Hauptanliegen gehören etwa die Wahrung des Stimm- und Wahlrechts, die Verbesserung der konsularischen Dienstleistungen, die Mitwirkung in gesellschaftlichen und politischen Fragen sowie die Förderung der kulturellen Verbundenheit mit der Schweiz.
Der Auslandschweizer-Rat ist zugleich das politische Diskussions- und Entscheidungsorgan der Auslandschweizer-Organisation (ASO).
Er setzt sich aus 120 Delegierten zusammen, die von den im Ausland lebenden Schweizer Bürger:innen gewählt werden, sowie aus 20 Mitgliedern in der Schweiz, die aus Politik, Wirtschaft und Kultur stammen.
Die Direktwahlen fanden im Rahmen der regulären Erneuerungswahlen des Auslandschweizer-Rats für die Legislaturperiode 2025-2029 statt. Insgesamt müssen dabei 140 Sitze neu besetzt werden, 120 davon mit Vertreterinnen und Vertreter aus dem Ausland. Davon wurden nun 47 per elektronischer Direktwahl vergeben. Die restlichen Sitze werden noch nach dem alten System besetzt, durch die Wahl der Schweizer Vereine im jeweiligen Land.
Der neue Direktor der Auslandschweizer-Organisation ASO, Lukas Weber, sieht in den Direktwahlen «ein klares Zeichen für eine lebendige und zukunftsgerichtete Mitbestimmung in der sogenannten Fünften Schweiz». Sie würden im Vergleich zum bisherigen Verfahren einen wichtigen Schritt hin zu mehr Demokratie und Repräsentativität im Auslandschweizer-Rat darstellen.
Jüngere Delegierte verlassen den Rat wieder
Der Altersdurchschnitt des Auslandschweizer-Rats in der letzten Legislaturperiode lag gemäss ASO bei 61 Jahren. Es fand zwar bereits auf die Legislatur 2021-2025 eine partielle Verjüngung statt. Viele jüngere und engagierte Delegierte traten vor allem zu Beginn der Legislatur in Erscheinung. Sie versuchten neue Projekte anzupacken und voranzutreiben.
Dazu gehörte auch die Arbeitsgruppe, welche diese Direktwahlen nun umgesetzt hat. Vier Jahre lang kämpften Sie für deren Realisierung, teilweise gegen starke interne Widerstände.

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Jetzt, am Ende der Legislatur, werden von den fünf Mitgliedern des leitenden Ausschusses dieser Arbeitsgruppe nur noch deren zwei weitermachen. Einer davon ist bereits offiziell gewählt – und zwar per indirekter Wahl in Frankreich. Einer wurde gerade eben in Deutschland wiedergewählt.
Drei der Projektmitglieder treten nicht mehr an. Sie gehören damit zu einer Vielzahl von Delegierten, die sich für die kommende Legislatur nicht mehr zur Verfügung stellen.
Bei den jüngeren Delegierten gibt es dafür einen logischen Grund: Viele Ausgewanderte bleiben heute nicht mehr für immer im Ausland. Sie kehren nach einer gewissen Zeit im Ausland – sei es fürs Studium oder für einen Job – wieder zurück in die Schweiz.
SWI swissinfo.ch weiss von mehreren Auslandschweizerrätinnen und -räten aus verschiedenen Weltregionen, die im Laufe der vergangenen Legislatur zurückgekehrt sind. So etwa Yvonne Diffenhardt aus Deutschland oder Andreas Feller-Ryf aus Grossbritannien.

Teure Reisen als Hindernis
Es gibt aber noch andere Gründe, weshalb die neue Generation von Auslandschweizerrätinnen und -räten nicht mehr antreten. Im Gespräch mit scheidenden Delegierten kamen mehrmals zwei grosse Hindernisse zur Sprache. Der grosse Aufwand, um Veränderungen voranzutreiben einerseits – und logistische Schwierigkeit auf der anderen Seite.
Man muss auf eigene Kosten an die Ratssitzungen nach Bern reisen, es gibt nur eine geringe Spesenentschädigung. «Wenn man die Reise in die Schweiz beruflich nicht verbinden kann, dann wird es schnell sehr teuer», sagt ein Auslandschweizerrat auf Anfrage.

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Flüge aus Südamerika oder Australien sind teuer, was wohl ein Grund dafür sein dürfte, dass sich vor allem ältere Auslandschweizer:innen ein Mandat im Auslandschweizer-Rat leisten können, sagt ein anderer Delegierter.
Der ASO ist die finanzielle Belastung durch die Teilnahme an Ratssitzungen vor Ort bewusst. «Aufgrund der aktuellen Budgetlage ist nur eine teilweise Übernahme der Reisespesen durch die ASO möglich», sagt Weber.
Zwar hat das Problem der teuren Reisen in den letzten Jahren dank der Digitalisierung abgenommen: An zwei der drei Sitzungen, die pro Jahr stattfinden, kann Online teilgenommen und abgestimmt werden. Zwei finden vor Ort in Bern statt, die letzte Sitzung im Jahr wird ausschliesslich online durchgeführt. «So reduziert sich die notwendige Reise auf eine Sitzung pro Jahr, die oft mit privaten oder beruflichen Aufenthalten kombiniert werden kann», sagt der ASO-Direktor.
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Aber auch dort gibt es Herausforderungen: Die Zeitverschiebung. Für Delegierte in den USA oder Kanada starteten diese ganztägigen Online-Sitzungen teilweise um vier Uhr morgens. Das sei schwierig mit dem Berufs- oder Familienleben zu vereinbaren.
Es gibt aber auch Räte, die «ihre wichtigen Themen erledigt haben», so etwa der Delegierte aus Kanada, Antoine Belaieff. Er hat sich in den letzten vier Jahren nicht nur für die Direktwahlen eingesetzt, sondern auch für die politische Teilnahme an Wahlen von Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern. «Dieses Projekt ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber es ist Zeit, dass neue Kräfte übernehmen», sagt Belaieff.
Eine inoffizielle Anwesenheitsliste, die SWI swissinfo.ch exklusiv vorliegt, zeigt: Von 127 Teilnehmenden an der ersten Sitzung der Legislatur 2021-2025 ist die Anzahl anwesender Delegierten im Laufe der Legislatur auf 69 Teilnehmende gesunken. Der Enthusiasmus hat bei den Delegierten im Laufe der Legislatur offensichtlich abgenommen – über die Gründe lässt sich nur mutmassen. Die ASO will diesen «ernstzunehmenden Hinweis» in der kommenden Legislatur genau analysieren.
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Editiert von Balz Rigendinger.

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