CH/Bundesrat will Schluss machen mit Medikamenten direkt vom Arzt (AF)
(Neu: Ärzte drohen mit dem Referendum)
Bern (awp/sda) – Der Bundesrat will der Medikamentenabgabe durch Ärzte einen Riegel schieben. Er erhofft sich davon eine Senkung der Kosten. Die Ärzte laufen Sturm gegen die geplante Revision des Heilmittelgesetzes, die am Mittwoch in die Vernehmlassung geschickt worden ist.
Nach Meinung des abtretenden Gesundheitsministers stehen sie aber in einem Interessenkonflikt, wenn sie die Medikamente in der Praxis verschreiben und dann auch gleich verkaufen. Es habe sich gezeigt, dass bei der so genannten Selbstdispensation mehr Mittel verschrieben würden, sagte Pascal Couchepin am Mittwoch vor den Bundeshausmedien.
Heute ist diese in über der Hälfte der Kantone erlaubt. Die Realität im Lande lasse auch weiterhin nur ein «Verbot im Prinzip» zu, sagte Couchepin weiter. In abgelegenen Gebieten sollen die Ärzte weiterhin Medikamente abgeben dürfen, wenn die nächstgelegene Apotheke mit dem öffentlichen Verkehr nicht innert nützlicher Frist erreichbar ist.
Aber nicht nur mit dem Selbstdispensations-Verbot will die Regierung Anreize stoppen, welche zum Einsatz zu vieler oder zu teurer Medikamente führen: Boni, Rabatte und andere geldwerte Vorteile sollen künftig ausgewiesen werden müssen.
FRAGLICHER SPAREFFEKT
Besonders die Hausärzte, die schon eine Senkung der Labortarife hinnehmen mussten, empfinden die Pläne des Bundesrats als weiteren Schlag ins Gesicht. Ohnehin könne mit dem Verbot kein Geld eingespart werden, sagte Marc Müller, Präsident von Hausärzte Schweiz, auf Anfrage.
In jenen Kantonen, in welchen die Ärzte Medikamente abgeben dürften, seien die Taxpunktwerte nämlich tiefer angesetzt als dort, wo sie dieses Zusatzeinkommen nicht hätten. Werde die Selbstdispensation verboten, müsse der Taxpunktwert entsprechend angehoben werden, sagte Müller.
Auch Paul Rhyn vom Krankenkassendachverband santésuisse ist der Meinung, dass der Ausfall ausgeglichen werden müsste. Er wollte sich allerdings nicht darauf festlegen, ob dies über eine Anhebung des Taxpunktwerts geschehen soll.
Nach Angaben von Müller kommt hinzu, dass die durchschnittlichen Kosten für Medikamente in Kantonen mit Selbstdispensation tiefer lägen. Ein Grund dafür sei, dass Ärzte mehr Generika verschreiben als Apotheker. Zudem sei die Hemmschwelle höher, ein Medikament direkt abzugeben als bloss ein Rezept auszufüllen.
REFERENDUMS-DROHUNG
Müller spricht denn auch von «Doppelzüngigkeit» der Politiker, die sich zwar «zu den Hausärzten bekennen, ihr Einkommen aber immer weiter einschränken».
Der Ärzteverband FMH droht schon jetzt mit dem Referendum. Auf Anfrage kritisierte Präsident Jacques de Haller die «Missachtung des Volkswillens durch den Bundesrat». In zahlreichen Kantonen sei das bisherige System an der Urne abgesegnet worden. Der Vorschlag sei denn auch nicht wirtschaftlich, sondern politisch zu verstehen.
Noch nicht für oder gegen ein Verbot der Medikamentenabgabe durch Ärzte aussprechen wollte sich santésuisse. Dazu stünden derzeit zu wenig Daten zur Verfügung, sagte santésuisse-Sprecher Paul Rhyn.
NICHT ÜBERALL ERLAUBT
Selbstdispensation durch Ärzte ist heute in 13 Kantonen erlaubt: BL, SO, AI, AR, GL, LU, OW, NW, SG, SZ, TG, UR und ZG. Vier Kantone lassen sie teilweise zu: BE, GR, SH, ZH. In 9 Kantonen ist sie schon heute verboten: AG, BS, FR, GE, JU, NE, TI, VD, VS.
Die am Mittwoch vorgestellte Revision des Heilmittelgesetzes stellt die zweite Etappe im Revisionsprozess dar. In der ersten Etappe wurde das Versorgungsproblem mit Arzneimitteln in den Spitälern entschärft. Diese Bestimmungen treten im ersten Halbjahr 2010 in Kraft. Die Vernehmlassung für die zweite Etappe endet am 5. Februar 2010.
rt