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EU/Defizitsündern drohen schärfere Sanktionen (Zus)

LUXEMBURG (awp international) – Überschuldete Euro-Länder wie Griechenland oder Spanien müssen sich künftig auf schärfere Strafen einstellen. Die Finanzminister der allermeisten EU-Länder unterstützen bei einem Treffen am Dienstag in Luxemburg einen entsprechenden Vorstoss von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Gleichzeitig erhielt Estland grünes Licht, 17. Mitglied des gemeinsamen Währungsraums, der Euro-Zone, zu werden. Zur Vermeidung künftiger Schuldenkrisen erhielt die europäische Statistikbehörde Eurostat mehr Macht. Dagegen zeichnete sich in der Frage einer Finanztransaktionssteuer Uneinigkeit ab.
Strafen müssten künftig früher als bislang greifen, damit den betroffenen Ländern klar sei, dass es ernst sei, forderte der österreichische Ressortchef Josef Pröll. Ähnlich äusserte sich sein luxemburgischer Amtskollege Luc Frieden. Strafen müssten automatisch greifen, da politische Entscheidungen zu einer unterschiedlichen Behandlung der Schulden-Länder führen könnten.
Van Rompuy hatte am späten Montagabend nach Beratungen einer vom ihm geleitete Minister-Arbeitsgruppe eine Verschärfung des Euro-Stabilitätspaktes vorgeschlagen. Erste Ergebnisse will der Belgier beim Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag kommender Woche (17. Juni) in Brüssel vorlegen.
Van Rompuy sagte, bisher sehe der Pakt nur Strafen am Ende eines Strafverfahrens vor. Künftig müssten schon früher Sanktionen drohen, beispielsweise wenn ein Staat EU-Warnungen nicht beachte. Das könne auch schon vor Erreichen der Drei-Prozent-Defizitmarke passieren.
ESTLAND WIRD MITGLIED DER EUROZONE
Geschlossen empfahlen die EU-Minister den Beitritt Estlands zur Eurozone. «Estland erfüllt die Kriterien, die notwendig sind», sagte die spanische Ressortchefin und amtierende EU-Ratsvorsitzende Elena Salgado. Die Staats- und Regierungschefs werden nun bei ihrem Gipfeltreffen in gut einer Woche über den Beitritt zum kommenden Jahreswechsel beraten. Das gilt als Formsache. Dann werden die obersten Kassenhüter der EU Mitte Juli den Umtauschkurs von der Krone Estlands zum Euro festlegen.
«Wir bekommen so oder so die Probleme in der Eurozone zu spüren, unabhängig davon, ob wir dazugehören oder nicht. Also ist es doch besser, drinnen zu sein und auch in den Genuss der Vorteile zu kommen», sagte Estlands Finanzminister Jürgen Ligi. «Ein Risiko bleibt immer.» Die von Griechenland ausgelöste Schuldenkrise erschüttert die Eurozone und sorgt für einen fallenden Euro-Kurs.
   Bundesfinanzstaatssekretär Jörg Asmussen sagte am Rande des Treffens, Deutschland unterstütze die Aufnahme, da Tallinn die Konvergenzkriterien erfülle. Das Staatsdefizit Estlands dürfte laut EU-Kommission im laufenden Jahr 2,4 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt betragen. Es liegt also unter der Maastrichter Marke von 3 Prozent.
BREITE MEHRHEIT FÜR BANKENABGABE
   Nach Angaben des schwedischen Finanzministers Anders Borg zeichnete sich eine «breite Mehrheit» ab für den Vorschlag von Binnenmarktkommissar Michel Barnier, künftig die Banken mittels einer Abgabe selbst für Pleiten in den eigenen Reihen aufkommen zu lassen. Ein solches System würde auf EU-Ebene funktionieren, sagte Borg. Dagegen riskiere eine Finanztransaktionssteuer die Abwanderung von Transaktionen aus der EU, warnte er.
Dem widersprach Asmussen. Zwar müsse sich Europa um einen globalen Konsens bemühen. Aber wenn das nicht möglich ist, sollte man europäisch vorangehen», sagte Asmussen.
EUROSTAT SOLL MEHR BEFUGNISSE BEKOMMEN
Eurostat soll künftig bei Zweifeln an den Zahlen einzelner Mitgliedstaaten an Ort und Stelle Daten überprüfen können, was bisher nicht möglich war. Griechenland hatte sich den Euro-Beitritt 2001 mit falschen Zahlen erschwindelt und auch danach fehlerhafte Daten nach Luxemburg geliefert. Die EU-Kommission hatte bereits Mitte des vergangenen Jahrzehnts mehr Macht für Eurostat vorgeschlagen, war mit dem Vorstoss allerdings am Widerstand der Mitgliedstaaten gescheitert.
Währungskommissar Olli Rehn sagte, es gebe mit Bulgarien schon einen Kandidaten für die erweiterten Befugnisse. «Wir wollen in Kürze eine Prüfungskommission hinschicken.» Voraussetzung sei die Zustimmung des Europaparlaments für vermehrten Machtbefugnisse von Eurostat.
Asmussen kündigte an, dass die deutsche Finanzagentur die Kapitalmarktgeschäfte der neuen Zweckgesellschaft für den milliardenschweren Euro-Rettungsschirm übernehmen soll. Die Agentur werde bei Bedarf Schuldtitel auflegen und vertreiben. Dies sei der Wunsch zahlreiche Mitgliedsländer gewesen und eine «Anerkennung der Leistungsfähigkeit der Finanzagentur». Die Agentur mit Sitz in Frankfurt ist zuständig für das Schuldenmanagement des Bundes.
NEUE FINANZGESELLSCHAFT
Die Finanzminister der Eurozone hatten sich am Montagabend auf die neue Finanzgesellschaft verständigt, die notfalls wackelnde Mitgliedstaaten mit Milliardenbeträgen stützen soll. Euro-Staaten werden unter strikten Auflagen insgesamt für Ausleihungen der Gesellschaft mit bis zu 440 Milliarden Euro bürgen.
Der deutsche Finanzexperte und frühere EU-Spitzenbeamte Klaus Regling ist als erster Chef der neuen Finanzgesellschaft im Gespräch, die notfalls klammen Euro-Staaten mit Milliardenbeträgen helfen soll, berichteten Diplomaten. Regling war lange Generaldirektor bei der EU-Kommission, dort für Wirtschaft und Währung zuständig und damit einer der höchsten Verantwortlichen für die Euro-Währung. Diplomaten sagten, die Personalie werde voraussichtlich am (morgigen) Mittwoch entschieden./dj/bn/cb/ddo/DP/js

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