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Schweizer Uhren: Das Wunder begann mit Geflüchteten

Ende des 17. Jahrhunderts mussten 60'000 Hugenotten aus Frankreich fliehen – zum Vorteil der Eidgenossenschaft. Ein neuer Kulturweg zeichnet ihre Geschichte nach und wurde nun in Zürich vollendet.

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Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten müssen, weil sie verfolgt werden, wegen ihrer Religion. Die Schlepper bezahlen, um sich in Sicherheit zu bringen. Die sterben, weil ihr völlig überfülltes Boot kentert: Die Fluchtgeschichten der Hugenottinnen und Hugenotten aus dem 17. Jahrhundert klingen erschreckend vertraut. Und auch den “Dichtestress” gab es damals schon.

Karte der Schweiz mit dem Hugenotten- und Waldenserweg
Der Hugenotten- und Waldenserweg führt über Frankreich und Italien durch die Schweiz nach Deutschland. via-huguenots

Beim Hugenotten- und WaldenserpfadExterner Link handelt es sich um eine Kulturroute des Europarats. Der Weg ist 2500 Kilometer lang, beginnt in Aigues-Mortes in Südfrankreich und in Saluzzo in Norditalien und führt über die Schweiz bis nach Bad Karlshafen in Hessen.

Er ist konzipiert als Wanderroute, mit Informationstafeln an der Strecke oder Informationen im Internet. Mit dem kleinen Streckenabschnitt in der Stadt Zürich ist der Pfad nun vollendet.

Zu wenig Raum für zu viele Menschen

Die Menschen, die die Geflüchteten aufnehmen mussten, lebten auf engstem Raum, in Grossfamilien. “Wenn dann noch Flüchtlinge dazu kamen, konnte einem schon die Decke auf den Kopf fallen”, erzählt Stadtführerin Barbara Hutzl-Ronge. Sie ist spezialisiert auf die Zürcher Religionsgeschichte.

Protestantische Hugenotten während der Religionskriege, gezeichnet von Gaston Bussière Ende des 19. Jahrhunderts.
Protestantische Hugenotten während der Religionskriege, gezeichnet von Gaston Bussière Ende des 19. Jahrhunderts. IMAGO / KHARBINE-TAPABOR

“Dichtestress” gab es auch, weil die Wohnungspreise stiegen und das Essen knapp und teuer war. Hinzu kam, dass die Geflüchteten jahrelang blieben. Klar also, dass gewisse Zürcherinnen und Zürcher murrten.

Zuwachs zahlte sich aus

Im grossen Ganzen wurden die wegen ihrer Religion Verfolgten aber willkommen geheissen. Und die Zürcher:innen profitierten auch von ihnen.

Das zeigt eine Station des neuen Zürcher Hugenotten-Stadtrundgang besonders deutlich: das Rektorat der Universität Zürich. Ein herrschaftliches Haus, innen luxuriös ausgestattet mit Stuck, edlen Holztüren, Deckenmalereien und Wandteppichen.

Ein Blick in das Rektorat der Universität Zürich
Ein Blick in das Rektorat der Universität Zürich: Auf dem Stadtrundgang kann man es leider nur von aussen besichtigen. MARKUS PLUESS

Joseph Orelli hat es Ende des 17. Jahrhunderts so edel ausgestattet. Geld gemacht hat er mit einer Fabrik für Seidenbänder und französischen Taft. Das Wissen über die Herstellung hatte er, mit grosser Wahrscheinlichkeit, von einem hugenottischen Gast, den er aufgenommen hatte.

Und das hatte System, erzählt Stadtführerin Barbara Hutzl-Ronge: “Die Hugenotten waren in der Textilbranche viel weiter als die Eidgenossen.” Um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, mussten sie die Schweizer Gastgeber zuschauen lassen.

Schweiz profitiert bis heute

Die Hugenottinnen und Hugenotten brachten ihr vielfältiges Knowhow in die Schweiz mit: So zum Beispiel den Indienne-Baumwolldruck, ohne den es kein so genanntes Glarnertüechli gäbe. Auch die Uhrenindustrie profitierte von der Fachexpertise der Geflüchteten.

Sie erweiterten auch den Speiseplan der Schweizer: “Erbsli und Lauch kamen mit den Hugenotten in die Eidgenossenschaft”, sagt Barbara Hutzl-Ronge.

Aus dem SRF-Archiv: Mit Eva Wannenmacher auf dem Hugenottenweg bei Lenzburg (Kulturplatz vom 04.12.2013)

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Das Wissen blieb, die Hugenottinnen und Hugenotten mussten allerdings weiterziehen. 1693 beschlossen die reformierten Stände die Ausweisung, 1699 wurde sie durchgeführt.

Die meisten hugenottischen Geflüchteten wanderten weiter nach Deutschland, wo es mehr Arbeit gab. Ihr Fluchtweg ist nun vollständig nachvollziehbar, im internationalen Hugenotten- und Waldenserpfad, der mit dem Stadtrundgang in Zürich jetzt komplett ist.

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