The Swiss voice in the world since 1935

Das sind die sieben schrägsten Schweizer Abstimmungen aller Zeiten

Armin Capaul
Der Initiant der "Hornkuh"-Initiative Armin Capaul warb für sein Anliegen auf eine offene Art, die viele in der Schweiz sympathisch fanden. Keystone / Laurent Gillieron

Mit Abstand die meisten Volksabstimmungen der Welt finden in der Schweiz statt. Kein Wunder, dass darunter auch sonderbare Vorschläge sind: kein Kampfjetlärm im Ferienort, leere Autobahnen oder auch die Hornkuh-Initiative.

Die Schweiz ist ein Paradies der Volksrechte.

Über jede Idee, die 100’000 Unterstützende findet, wird abgestimmt. Über jeden Gesetzesvorschlag, dem mindestens 50’000 Stimmberechtigte widersprechen, wird abgestimmt. Jedes Mal, wenn Regierung und Parlament die Verfassung ändern wollen, wird abgestimmt.

Um die 650 Entscheide trafen die Schweizer Stimmberechtigten seit 1848. Wir präsentieren die sonderbarsten. Und jene, die aus heutiger Sicht sonderbar erscheinen.

7. Neues Eherecht (1985)

Stellvertretend für viele Abstimmungen aus der Kategorie «Ewiggestern ist gar noch nicht so lange her» steht hier die Abstimmung über das neue Eherecht 1985. Zuvor konnte der Ehemann allein entscheidenExterner Link. Er konnte den Mietvertrag kündigen oder das Haus verkaufen, ohne dass die Frau, was zu sagen hat. Er verwaltete sogar das Vermögen, das die Frau in die Ehe brachte. Zudem konnte der Ehemann der Ehefrau das Arbeiten verbieten.

Regierung und Parlament wollten das ändern. Zur Abstimmung kam es, weil ein konservatives Komitee das Referendum ergriff.

Immerhin 54% der Abstimmenden waren im September 1985 für das neue Ehe- und ErbbrechtExterner Link. Hätten einzig die Männer abgestimmt, wäre es beim alten Eherecht geblieben.

Mehr

6. Initiative «für 12 motorfahrzeugfreie und motorflugzeugfreie Sonntage pro Jahr» (1978)

Die Bilder der leeren Schweizer Autobahnen von 1973 verblüffen bis heute. In der Ölkrise waren die drei autofreien Sonntage ein Versuch, Ressourcen zu sparen.

Eine Gruppe Studierender wollte das zum Teil einer neuen Schweizer Normalität machen. Am zweiten Sonntag jedes Monats wären nicht nur Autos verboten worden, sondern der gesamte Motorverkehr «zu Lande, zu Wasser und in der Luft». Da die Initiant:innen jede Stellschraube in die Bundesverfassung hatten schreiben wollen, wäre es heute wohl auch den E-Bikes an den Kragen gegangen. «Fahrzeuge mit Hilfsmotor» waren explizit erwähnt.

Mehr

Mehr

Vier autofreie Sonntage?

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Regierung und Parlamentsmehrheit lehnen die Vorlage des rot-grünen Lagers ab. Die Stimmenden entscheiden am 18. Mai. In den letzten Jahren hatten verschiedene rot-grüne Initiativen zur Verkehrspolitik Schiffbruch erlitten. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wollten klar nichts wissen von der Halbierung des Strassenverkehrs (2000) und auch eine flächendeckende Einführung von Tempo 30 (2001) blieb chancenlos. Die aktuelle…

Mehr Vier autofreie Sonntage?

Nach einer Annahme wären in der freizeitsportwütigen Schweiz sicher die Bücher «Radtouren auf der Überholspur», «Die zwölf schönsten Wanderungen auf der Autobahn» und – für kontemplative Gemüter – «Ruheorte auf dem Mittelstreifen» erschienen.

Doch so weit kam es nicht. Für die Initiative für 12 motorfahrzeugfreie und motorflugzeugfreie Sonntage pro JahrExterner Link ausgesprochen haben sich rechte, linke und zentristische Kleinparteien. Aber mehr als 63% der Abstimmenden waren im Mai 1978 dagegen.

5. Initiative für ein Absinthverbot (1908)

Eine «Moral Panic» an der Schwelle zum 20. Jahrhundert sorgte dafür, dass Schweizer Jugendliche an der Schwelle zum 21. Jahrhundert glaubten, Absinthe sei vergleichbar mit Kokain oder LSD.

Legal erwerben kann man die Spirituose in der Schweiz seit März 2005. Damit werde eine «unzeitgemässe Sonderregelung» gestrichen, schrieb das Bundesamt für GesundheitExterner Link Anfang Februar 2005. Blieb dabei aber pingelig, wie man es vom Beamtenapparat erwartet: «Bis zum 1. März 2005 bleibt Absinth weiterhin illegal.»

Nach einem Kindsmord und Femizid im AbsinthrauschExterner Link kam es 1905 zu Petitionen und Verboten in ersten Kantonen. Diese Dynamik traf auf Organisationen, die sich gegen Alkoholismus oder gar für Abstinenz einsetzen – und auf eine Wein- und Bierlobby, der es ein Dorn im Auge war, dass Absinthe billiger war als ihre Getränke.

Politisch unterstützten die Sozialdemokraten und die Katholisch-Konservativen die Initiative. Der Streit um den Alkohol aus dem Val de Travers entfachte sich vor allem in der Westschweiz. Hämischerweise waren es im Verhältnis viele Deutsch- und Ostschweizer, die den Menschen in der Westschweiz den Alkohol nehmen wollten.

In Nidwalden und Graubünden stimmten über 80% für das Absinthverbot. Schweizweit waren es im Juli 1908 mehr als 63% der abstimmenden Männer.

Mehr

4. Erhöhung des Höchsteinsatzes bei Kursaalspielen (1958)

Eine weitere Abstimmung aus der Rubrik «Das ganze Land diskutiert über ungesundes Suchtverhalten». Seit 1874 waren Casinos in der Schweiz verboten. Nach einem Hin und Her in den 1920er-Jahren galt ab 1928 ein Höchsteinsatz, der heute wie die Taschengeldregel besorgter Eltern wirkt: zwei Franken pro Runde.

Die Abstimmung brachte Ende der 1950er-JahreExterner Link dann die Befreiung der Spielerseele: Nachher durfte man einen Fünfliber setzen.

Gegen die Entfesselung der Fünfliber waren gemässigte Kleinparteien und kirchliche Kreise – aber fast 60% der (männlichen) Abstimmenden entschieden sich im Dezember 1958 dafür.

Heute sind fünf Franken beim American Roulette im Grand Casino BernExterner Link übrigens der Minimaleinsatz.

3. «Hornkuh»-Initiative (2018)

Der Bergbauer Armin Capaul tanzte in seinem Stall vor internationalen Medien zu Jimi Hendrix – und erreichte so die Herzen der Schweizer Öffentlichkeit. Die Volksinitiative seiner «IG Hornkuh» wollte in die Bundesverfassung schreiben, dass Halter:innen von Kühen und Ziegen finanziell unterstützt werden, wenn sie erwachsenen Tieren die Hörner belassen. Der unverstellte Capaul sensibilisierte viele dafür, dass die Enthornung für die Tiere schmerzhaft ist und die Hörner für die Kühe wichtig sind.

Doch auch Gegner:innen argumentierten mit dem Tierwohl: Wenn es wegen den Hörnern mehr Anbindeställe gibt, weil man Verletzungen verhindern will, wäre den Tieren nicht geholfen.

Welche Rolle es bei der Abstimmungsentscheidung mancher spielte, dass Capaul fand, Kühe mit Hörner seien ein «wertvolles Kulturgut», ist nicht bekannt.

Für die Hornkuh-InitiativeExterner Link waren SP, Grüne, GLP und EVP, sowie viele Tier- und Naturschutzorganisationen. Doch mehr als 54% der Abstimmenden waren im November 2018 dagegen.

2. Zündhölzchenmonopol (1895)

Aus einer anderen Zeit, nämlich dem Jahr 1895, stammt der Vorschlag, dass der Staat das Monopol auf die StreichholzproduktionExterner Link haben soll. Der Grund, warum die Regierung ein staatliches Monopol wollte, war aber ein ernster: Der weisse Phosphor, der damals in der Produktion verwendet worden ist, war nicht nur leicht entzündlich, sondern löste bei den Arbeiter:innen eine tödliche Krankheit aus. Der unbedenkliche, rote Phosphor war zwar schon entdeckt, aber teurer. Nach einem ersten Verbot florierte der Zündholzschmuggel. Das Staatsmonopol wäre ein Alternativansatz gewesen, dem Problem zu begegnen.

Dafür waren die Freisinnigen, die Demokraten und die Sozialdemokraten – aber über 56% der Abstimmenden waren im September 1895 dagegen.

1. Initiative «gegen Kampfjetlärm in Tourismusgebieten» (2008)

Lämpen um Lärmschutz! Der Name der Initiative «Gegen Kampfjetlärm in TourismusgebietenExterner Link», über die 2008 abgestimmt worden ist, wirft die Frage auf, ob man für Kampfjetlärm anderswo ist, wenn man dafür war. Und natürlich auch, wo die Kampfjets denn überhaupt noch hätten lärmen dürfen: Schliesslich sind nur wenige Regionen in der Schweiz keine Tourismusgebiete. In fast jeder Gemeindekanzlei zwischen Kreuzlingen und Genf oder Basel und Chiasso glaubt man tapfer, dass man Tourist:innen was zu bieten hat.

Hintergrund der Initiative war das Vorhaben, F/A-18-Kampfjets in Meiringen zu postieren. Die Stiftung eines Grandhotels und eine Umweltschutzorganisation wollten in die Schweizer Verfassung schreiben, dass «in touristisch genutzten Gebieten» während «Friedenszeiten» keine Kampfjet-Übungen stattfinden dürfen.

Armee-Gegner:innen und linke Parteien waren dafür – aber über 68% der Abstimmenden entschieden sich im Februar 2008 dagegen.

Mehr

Editiert von Samuel Jaberg/jg

Mit der Schweiz verbunden

Meistgelesen
Swiss Abroad

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft