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Zürichs explodierender Wetterprophet – alles über den Böögg

Bögg
Was man in Zürich im Frühling halt so macht. Keystone / Alessandro Della Bella

Je schneller sein mit Dynamit gefüllter Kopf explodiert, desto heisser wird der Sommer. Das heisst es im Volksmund. Doch woher stammt dieser kuriose Brauch – und wie präzise sind seine Vorhersagen tatsächlich?

Jedes Jahr an einem Montag im April – dieses Jahr am 28. – wird um 18 Uhr auf dem Zürcher Sechseläutenplatz ein Schneemann verbrannt.

Doch nicht irgendeiner, sondern der Böögg. Der explosive Höhepunkt des traditionellen Zürcher Frühlingsfests Sechseläuten sorgt jedes Jahr für Schlagzeilen über die Landesgrenzen hinaus.

der Böögg auf dem Scheiterhaufen
Der Böögg auf seinem Scheiterhaufen im Jahr 2024. Die Verbrennungszeremonie wurde in letzter Minute wegen starker Winde abgesagt. Keystone / Michael Buholzer

Der Brauch hat mehrere Ursprünge. Einerseits basiert es auf Feuerbräuchen in Verbindung mit der Tagundnachtgleiche im Frühling.

An diesem Tag verbrannten früher junge Männer in der ganzen Stadt selbstgefertigte Strohpuppen mit gruseligen Masken – sogenannte „Bööggen“, etymologisch verwandt mit dem Butzemann.

Andererseits regulierten die Zünfte früher die Arbeitszeiten durch Glockenschläge: Im Winter arbeiteten Handwerker bis 17 Uhr, im Sommer bis 18 Uhr.

Im Jahr 1892 wurden diese beiden Traditionen zusammengelegt und seit 1902 ist das Verbrennen eines Schneemanns, der den Winter symbolisiert, fester Bestandteil des Sechseläuten-Brauchs.

der Böögg wird auf einem Wagen durch Zürich gefahren
Der Böögg auf dem Weg zu seinem unausweichlichen Schicksal. KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str

Der Umzug der verschiedenen ZünfteExterner Link beginnt um 15 Uhr. Rund 3500 kostümierte Zunftmitglieder, 50 von Pferden gezogene Wagen und 30 Musikkapellen ziehen durch die Stadt zum Sechseläutenplatz.

Umzug und Böögg-Verbrennung ziehen jährlich zehntausende Schaulustige an, darunter viele Politiker:innen und andere Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Sport und Kultur. Hunderttausende verfolgen das Spektakel aus sicherer Entfernung an ihren Bildschirmen.

Reiter reiten um den Böögg
Reiten um den Böögg, zwischen 1933 und 1936. KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str

Um 18 Uhr, mit dem sechsten Glockenschlag des Grossmünsters, wird der Scheiterhaufen unter dem Böögg angezündet. Dieser thront auf einem zehn Meter hohen Podest.

Reiter:innen umkreisen den brennenden Schneemann, bis es zum spektakulären Finale kommt. Das Murmeltier Punxsutawney Phil (siehe Kasten) mag Hollywood zu einer Komödie inspiriert haben, doch in puncto dramatische Inszenierung bleibt der Böögg unangefochten.

Groundhog Day

Der Groundhog Day ist die wohl bekannteste Tradition zur Wettervorhersage. Er wird regional in den Vereinigten Staaten und Kanada am 2. Februar begangen. Sie geht auf einen Aberglauben der Pennsylvania Dutch zurück: Kommt an diesem Tag ein Murmeltier aus seinem Bau und sieht seinen Schatten, zieht es sich wieder in seinen Bau zurück – und der Winter dauert noch sechs Wochen. Sieht es seinen Schatten nicht, kommt der Frühling früh. Die Zeremonie in Punxsutawney im Westen von Pennsylvania, bei der ein halbmystisches Murmeltier namens Punxsutawney Phil die Hauptrolle spielt, ist die meistbesuchte Zeremonie dieser Art.

Bärenschatten

Ähnlich dem Groundhog Day beobachten Menschen in Serbien, Rumänien und Ungarn am 2. Februar (in Serbien am 15. Februar), ob Bären aus ihrem Winterschlaf erwachen. Sie glauben, dass ein Bär, der seinen Schatten sieht, in seinen Bau zurückkehrt und weitere 40 Tage schläft, wodurch sich der Winter verlängert.

Wollbär-Raupen

Jedes Jahr strömen Tausende von Menschen in eine Stadt in North Carolina, um das grösste Wollbär-Raupen-Rennen der USA zu verfolgen. Der Gewinner erhält die Ehre, das Wetter für den kommenden Winter vorherzusagen. Hier finden Sie eine AnleitungExterner Link, wie man «eine Raupe liest» (wobei die Farbe und das Muster der Streifen eine Rolle spielen).

Frösche in Gläsern

Im deutschsprachigen Raum (einschliesslich der Schweiz) glaubte man früher, dass Frösche das Wetter vorhersagen können. Dieser Glaube entstand aus der Beobachtung, dass europäische Laubfrösche bei sonnigem Wetter an Pflanzen hochklettern. Infolgedessen hielten die Menschen Frösche in Gläsern mit einer kleinen Leiter. Der Begriff «Wetterfrosch» ist als etwas abwertende Bezeichnung für Meteorologen bis heute gebräuchlich und impliziert, dass man ihren Vorhersagen nicht trauen kann.

Ameisen

Frauen aus der Volksgruppe der Afar in Äthiopien beobachten das Verhalten von Ameisen, insbesondere der Dakura-Ameisen, um die kommende Regenzeit vorherzusagen. Dazu versammeln sich die Frauen beim Wasserholen um die Brunnen und graben vor einer Armee von Dakura-Ameisen einen künstlichen Graben. Kriechen die Ameisen in den Graben oder überqueren ihn, wird die nächste Regenzeit als trocken eingeschätzt. Umgehen die Ameisen die Gräben jedoch und eilen um sie herum, ohne sie direkt zu überqueren oder in sie hineinzukriechen, ist dies ein Zeichen für eine gute Regenzeit. Wie in diesem Artikel erklärt wirdExterner Link, geht das Volk der Afar davon aus, dass die Ameisen die Gräben umgehen, weil sie instinktiv Regen oder Überschwemmungen wahrnehmen und nicht weggespült werden wollen.

Ersatz-Bööggs

Nicht immer verläuft das Spektakel reibungslos. 1923 regnete es so stark, dass der völlig durchnässte Böögg nicht brennen wollte.

der Böögg liegt neben dem Scheiterhaufen
Im Jahr 1993 machte der Böögg einen Sprung in die Freiheit. Sein Kopf wurde zurück ins Feuer geworfen. Keystone/Str

1941 erhielt der Böögg eine Gnadenfrist, da das Feld aufgrund der Anbauschlacht der Schweiz für den Kartoffelanbau benötigt wurde. Im folgenden Jahr hatte er weniger Glück. Da das Feld aber weiterhin bepflanzt war, musste das Publikum dem Ereignis aus der Distanz beiwohnen.

1943 stand der Platz erneut im Dienste der Ernährungssicherheit, sodass der Böögg auf den Damm am Hafen Enge verlegt werden musste. Im folgenden Jahr fiel der Schneemann gar in den Zürichsee. Doch das rettete ihn nicht. Er wurde aus dem Wasser gefischt und sein Kopf ins Feuer geworfen.

der Böögg 1944 am Hafen in der Enge in Zürich
Im Jahr 1944 wurde der Scheiterhaufen am Hafen in Enge errichtet. Leider fiel der Böögg ins Wasser und musste herausgefischt werden. KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str

Wer dachte, ein Schneemann könne keine Politik machen, wurde 2006 eines Besseren belehrt. Wenige Tage vor dem Sechseläuten wurde der Böögg von linken «Revolutionär:innen» entführt.

In einer nächtlichen Aktion schlugen sie das Fenster der Garage ein, in der er aufbewahrt wurde, und hinterliessen an seiner Stelle einen Schokoladenosterhasen sowie ein Hammer-und-Sichel-Emblem mit der Botschaft, der Schneemann habe «es satt, seinen Kopf für die Kapitalisten hinzuhalten».

Seitdem werden mehrere Ersatz-Bööggs bereitgehalten, während der Haupt-Böögg in einer Bank in der Nähe des Sechseläutenplatzes aufbewahrt wird.

In den Jahren 2020 und 2021 fiel die Sechseläuten-Parade aufgrund von Corona aus. Doch am 25. April 2022 wurde der Brauch wiederbelebt.

Nachdem der Böögg im Jahr 2020 verschont geblieben war, wurde er 2021 in einer Schlucht im Kanton Uri ohne Zuschauer:innen verbrannt. Das Ereignis wurde live im Fernsehen übertragen.

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Im vergangenen Jahr ereignete sich schliesslich ein regelrechtes «Böögg-Debakel»: Starker Wind zwang die Organisator:innen aus Sorge vor Funkenflug und Glut kurz vor der Zündung zum Abbruch. «Es hätte zu einer Massenpanik kommen können», begründete Felix BollerExterner Link, Präsident des Zürcher Zunfthauskomitees, die Entscheidung.

Der Böögg sollte zwei Monate später in Heiden im Gastkanton Appenzell Ausserrhoden verbrannt werden. Der ins Exil verbannte Böögg erwies sich als besonders widerstandsfähig.

Während der Scheiterhaufen trotz der nassen Wetterbedingungen relativ schnell brannte, dauerte es eine ganze Weile, bis die Schultern und der Kopf des Schneemanns Feuer fingen.

Nach 31 Minuten und 28 Sekunden explodierte sein Kopf und kündigte damit einen mittelmässigen Sommer an. Damit lag er gar nicht so falsch.

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Wissenschaftlich fragwürdig

Die Wettervorhersagen des Bööggs sind zwar eher unzuverlässig, doch hin und wieder trifft er ins Schwarze.

«Bemerkenswert ist, dass der Böögg vor dem Hitzesommer 2003 nach nur 5 Minuten und 42 Sekunden explodiert war», schreibt das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (Meteoschweiz)Externer Link. «Es handelte sich aber offensichtlich um einen Zufallstreffer. Die am Zürcher Sechseläuten gemachten Prognosen halten einer klimatologischen Prüfung nicht stand.»

Die kürzeste Zeit bis zur Explosion wurde 1974 mit 5 Minuten und 7 Sekunden gemessen, die längste 2023 mit genau 57 Minuten.

graphik über die wetterprognosen des bööggs
Sommertemperaturen im Mittelland in Abhängigkeit von der Brenndauer des Bööggs mit linearer Regression seit 1965. Die wärmsten Sommer seit Beginn der Messungen im Jahr 1864 sind in rot dargestellt. Meteoschweiz

«Vor dem zweitheissesten Sommer 2022 explodierte der Böögg erst nach knapp 40 Minuten. Vor dem dritt- und viertheissesten Sommer 2018 und 2015 lag die Brenndauer zwischen 20 und 21 Minuten.

In diesen drei Jahren war der Böögg ein schlechter Prognostiker. Auch im Jahr 2019 mit dem fünftheissesten Sommer lieferte er mit einer Brenndauer von knapp 18 Minuten keine zutreffende Prognose.»

Laut MeteoSwiss ist es «nicht überraschend», dass der Böögg als Wettervorhersager so schlecht abschneidet. «Woher soll ein brennender Schneemann aus Watte über gute Vorhersage-Qualitäten verfügen?», heisst es dort.

«Die Brennzeit hängt vielmehr vom Aufbau des Scheiterhaufens, der Feuchtigkeit des verwendeten Holzes und dem jeweiligen Wetter am Tag des Sechseläutens ab. Nicht zuletzt entscheidet die Menge der eingesetzten Brandbeschleuniger.», erklärt die Bundesbehörde.

«Obwohl die Sommerprognose des Bööggs wissenschaftlich nicht gestützt werden kann, wird in Zürich wohl kaum auf dieses Orakel verzichtet werden.»

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Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger
Editiert von Samuel Jaberg/ds

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Zeno Zoccatelli

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