Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

So viele Mitglieder des Schweizer Parlaments besitzen einen zweiten Pass

Ein italienischer und viele Schweizer Pässe
Nummer zwei: Der italienische Pass ist unter der Bundeskuppel wie auch in der Gesamtbevölkerung am weitesten verbreitet – nach dem Schweizer Pass. Illustration: Helen James / SWI swissinfo.ch

Doppelbürger:innen sind im Parlament seltener als in der Gesamtbevölkerung. Warum das so ist und welche Parlamentarier:innen einen zweiten Pass im Schrank haben.

Die Schweiz ist ein Einwanderungsland. Das widerspiegelt sich zunehmend auch in den nationalen politischen Institutionen. Im neuen Parlament, das im Herbst 2023 gewählt wurde, sitzen laut einer von SWI swissinfo.ch durchgeführten Zählung 24 Personen, die neben dem Schweizer Pass eine zweite Staatsangehörigkeit besitzen. Neunzehn davon im Nationalrat und fünf im Ständerat.

Externer Inhalt

Die Zahl der Parlamentsmitglieder mit zwei Pässen ist etwas geringer als in der vorherigen Legislaturperiode. Damals besassen 29 Parlamentarier:innen zwei Pässe. Mehrere von ihnen traten jedoch nicht wieder an oder wurden nicht wiedergewählt.

Dennoch hat die Internationalität im Laufe der Jahre in den eidgenössischen Räten zugenommen. Anfang der 2000er-Jahre besassen nur drei Parlamentarier die doppelte Staatsbürgerschaft. Die Mitglieder des Schweizer Parlaments sind jedoch erst seit Sommer 2022 verpflichtet, ihre zweite Staatsangehörigkeit anzugeben, was zur Erklärung des Anstiegs beiträgt.

Externer Inhalt

Dieser Trend in den beiden Parlamentskammern entspricht demjenigen in der Gesamtbevölkerung, wo die doppelte Staatsbürgerschaft ebenfalls immer häufiger vorkommt. Fast 20% der in der Schweiz ansässigen Personen besassen 2021 einen zweiten Pass. 2010 waren es noch 14% gewesen.

Kontroverses Thema

Diese Entwicklung schlägt in der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), der stärksten Partei des Landes, regelmässig hohe Wellen. Die jüngste wurde durch SVP-Nationalrat Mike Egger ausgelöst, der im letzten Dezember eine Interpellation im Parlament einreichte.

“Es ist nicht auszuschliessen, dass Mitglieder der Bundesversammlung, die auch ausländische Staatsangehörige sind, Interessenkonflikte zum Nachteil der Schweiz haben können”, schrieb Egger in seinem Vorstoss. Als Massnahme schlägt er vor, die Parlamentarier:innen zu verpflichten, bei Amtsantritt auf ihre mögliche zweite Staatsangehörigkeit zu verzichten oder dass sie eine Loyalitätserklärung gegenüber der Eidgenossenschaft abgeben.

Eine heftige Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft hatte es bereits 2017 gegeben, vor der Wahl des aktuellen Aussenministers Ignazio Cassis in die Schweizer Regierung. Der Tessiner hatte freiwillig auf seinen zweiten, italienischen Pass verzichtet, um sich die Stimmen der Rechtskonservativen zu sichern.

Im Bundesrat gibt es somit keine Mitglieder mit einem zweiten Pass. Damit sich dies nicht ändert, hatte die SVP vergeblich versucht, im Parlament die doppelte Staatsbürgerschaft für Regierungsmitglieder zu verbieten. Aber sie hatte es immerhin geschafft, die 2022 in Kraft getretene Pflicht zur Angabe der doppelten Staatsbürgerschaft für Parlamentarier:innen durchzusetzen.

Die Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft von Personen in politischen Ämtern geht über die Schweizer Grenzen hinaus. In Deutschland forderte die rechtsextreme Partei AfD beispielsweise kürzlich die alleinige deutsche Staatsbürgerschaft für die Minister des Landes Baden-Württemberg.

In Frankreich hatte das Thema 2016 im Zusammenhang mit der Debatte über den Entzug der Staatsangehörigkeit für jene Personen für Kontroversen gesorgt, die wegen Terrorismus verurteilt werden.

Eines der Länder, in denen das Thema am meisten Aufsehen erregt hat, ist Australien: 2017 gerieten mehrere Politiker in einen handfesten Skandal, nachdem sie ihre Doppelstaatsbürgerschaft offengelegt hatten, obwohl die australische Verfassung eine solche verbietet.

In mehreren Ländern können Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft unter bestimmten Bedingungen ein gewähltes Amt bekleiden. Zu diesen Ländern gehören das Grossbritannien, die USA, Kanada, Deutschland, Frankreich und Neuseeland. Da diese Länder ihre binationalen Abgeordneten in der Regel nicht identifizieren, ist es unmöglich, Zahlenvergleiche anzustellen.

Vereinigtes Königreich: Es ist möglich, für das Parlament zu kandidieren, wenn man die doppelte Staatsbürgerschaft von Irland, eines Commonwealth-Landes oder einiger EU-Länder mit historischen Verbindungen zum Vereinigten Königreich besitzt.

USA: Für Abgeordnete möglich, aber nicht für das Amt des Präsidenten. Der texanische Senator Ted Cruz wurde in Calgary geboren und hatte bis 2016 die kanadische Staatsbürgerschaft, die er aufgab, um für das Präsidentenamt zu kandidieren. Der Filmstar und spätere Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, behielt seine österreichische Staatsbürgerschaft bei, während er sein Amt ausübte.

Deutschland: In Deutschland war die doppelte Staatsbürgerschaft bislang nur für Bürger:innen aus EU-Ländern und der Schweiz möglich. Das Parlament hat diese Möglichkeit nun jedoch für weitere Staatsangehörige geöffnet, indem es die Bedingungen für den deutschen Pass gelockert hat. Der Christdemokrat David McAllister, der einst als Nachfolger von Bundeskanzlerin Angela Merkel gehandelt wurde, besitzt die doppelte, britische Staatsbürgerschaft. Er ist der Sohn eines schottischen Soldaten, was ihn jedoch nicht davon abgehalten hat, Deutschlands Mann im Europäischen Parlament zu sein und den Vorsitz im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten zu führen.

Kanada: Der ehemalige kanadische Premierminister John Turner besass 1984 auch die britische Staatsbürgerschaft, während der ehemalige Vorsitzende der Liberalen Partei des Landes, Stéphane Dion, Franzose war. Vor etwa zehn Jahren besassen mindestens elf Mitglieder des kanadischen Parlaments die doppelte Staatsbürgerschaft.

“Die Herkunft nicht verleugnen”

Die meisten Parlamentarier:innen mit einem zweiten Pass kommen aus dem linken Lager: 13 sind SP-Mitglieder und drei sind Grüne. Die liberale FDP stellt deren drei. Trotz ihrer Angriffe auf die doppelte Staatsbürgerschaft hat die SVP ebenfalls drei.

Externer Inhalt

Dazu gehört auch der Nationalrat Jean-Luc Addor. Der Walliser, der 2020 vom Bundesgericht wegen Rassendiskriminierung verurteilt wurde, befindet sich auf der harten Linie der SVP. Dennoch spricht er offen über seine zweite Staatsbürgerschaft, jene Italiens, und wischt die von einigen seiner Parteikollegen geäusserte Kritik beiseite.

“Niemand hat mir Lektionen über meine Loyalität gegenüber dem Land meiner Vorfahren zu erteilen”, sagt Jean-Luc Addor. Er legt Wert auf die Feststellung, dass er “Schweizer durch und durch” sei, aber durch Heirat die italienische Staatsbürgerschaft erworben hat. “Ich habe eine Verbundenheit mit dem Herkunftsland meiner Frau, aber wenn ich auf diesen zweiten Pass verzichten müsste, würde ich nicht zögern”, fügt er hinzu. Dies ist für ihn jedoch nicht notwendig.

SVP-Parlamentarier Jean-Luc Addor hat auch die italienische Staatsbürgerschaft – er erhielt sie durch seine Heirat. © Keystone / Peter Schneider

Der Abgeordnete ist zwar “gegen die Vermischung von Bevölkerungsgruppen”, meint aber, dass die doppelte Staatsangehörigkeit der Parlamentarier:innen ihre Loyalität gegenüber der Eidgenossenschaft nicht in Frage stelle. “Ich bin der Meinung, dass die Menschen integriert und assimiliert werden sollten, aber sie müssen nicht unbedingt ihrer Herkunft abschwören”, sagt er.

Unbegründete Ängste

Die sozialdemokratische Abgeordnete Sarah Wyss gehört zu den linken Parlamentarier:innen, die einen zweiten Pass haben. “Ich habe die französische Staatsbürgerschaft von meiner Grossmutter geerbt, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Schweiz kam. Ich habe sie erhalten, als ich zehn Jahre alt war. Ich habe nie in diesem Land gelebt und fühle mich ihm nicht besonders verbunden”, gesteht die Baslerin.

Die Verpflichtung der Volksvertreter:innen zur Offenlegung ihrer zweite Staatsangehörigkeit dient der Transparenz, meint Sarah Wyss. “Das war wahrscheinlich nicht das Ziel der SVP, die diese Regel einführen wollte. Sie befürchtete eher, dass Doppelbürger:innen Interessenkonflikte haben könnten”, sagt sie. Doch das seien unbegründete Befürchtungen, die laut Wyss nur eine überflüssige Polemik schürten.

Die sozialdemokratische Abgeordnete interpretiert die Zunahme der Mehrstaatlichkeit in der Bundesversammlung als gutes Zeichen für die Vielfalt. Sie ist jedoch der Meinung, dass noch mehr getan werden muss: “Nicht nur Nationalitäten, sondern auch Geschlechter, sexuelle Orientierungen, Berufe oder sozioökonomische Kategorien müssen besser vertreten sein.”

Die Basler SP-Nationalrätin Sarah Wyss besitzt auch den französischen Pass, den sie von ihrer Grossmutter geerbt hat. © Keystone / Alessandro Della Valle

Anhaltende Diskriminierungen

Der Politologe Nenad Stojanovic sagt, dass gewählte Volksvertreter:innen, die wie Jean-Luc Addor einen zweiten Pass haben, nicht unbedingt einen Migrationshintergrund haben. Er stellt auch fest, dass die Doppelstaatsbürgerschaft im Parlament weiterhin unterrepräsentiert ist, da sie nur 10% der insgesamt 246 Parlamentarier:innen betrifft. “Wenn das Parlament ein echter ‘Spiegel der Gesellschaft’ wäre, müsste der Anteil der Parlamentsmitglieder mit anderen Nationalitäten etwa doppelt so hoch sein”, sagt er. 

Eine Studie von Stojanovic und Lea Portmann hat gezeigt, dass Kandidatinnen und Kandidaten mit Namen mit Migrationsgeschichte häufiger von den Wahllisten gestrichen und weniger häufig kumuliert werden (doppelt aufgeführt). “Aufgrund dieser beiden Mechanismen ist es für Personen mit Migrationsgeschichte schwieriger, ins Parlament zu gelangen”, erklärt Nenad Stojanovic. Die Mehrheit der binationalen Mitglieder der beiden Parlamentskammern trägt übrigens Familiennamen, die ihre zweite Staatsangehörigkeit nicht verraten.

Die Parteien haben eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Vertretung von Menschen mit Migrationsgeschichte zu spielen, sagt Nenad Stojanovic. “Sie können ihnen mehr Sichtbarkeit verleihen, indem sie sie auf den Wahllisten weiter oben platzieren oder ihnen eigene Listen widmen”, stellt er fest.

Doch bevor man einen Namen auf einer Liste streichen oder kumulieren kann, muss es die Person erst mal auf die Liste schaffen. Und auch dann ist noch nicht alles gewonnen. Noemi Carrel, die ihre Doktorarbeit über den Zugang zu politischen Mandaten auf kommunaler Ebene in der Schweiz geschrieben hat, ist der Meinung, dass es vor allem wichtig sei, auf lokaler Ebene zu handeln. “Hier müssen die Parteien neue Mitglieder rekrutieren und Menschen mit Migrationshintergrund fördern”, stellt sie fest. Sie betont jedoch, dass es sich hierbei um eine langfristige Aufgabe handelt.

Die italienische Nationalität ist führend

Einige Nationalitäten sind auch in der Schweizer Politik  besser vertreten als andere. Der zweithäufigste Pass ist der italienische: 13 Parlamentarier:innen sind italienisch-schweizerisch, während die deutsche, französische und türkische Staatsangehörigkeit mit drei Parlamentarier:innen gleichauf liegen. Die beiden anderen Doppelbürger sind Jacqueline Badran, eine Australierin, und Daniel Jositsch, ein Kolumbianer.

Die wichtigsten doppelten Staatsangehörigkeiten (italienisch, französisch, deutsch und türkisch) unter der Bundeskuppel sind dieselben wie in der Gesamtbevölkerung.

Dagegen sind portugiesische und spanische Pässe nicht im Parlament vertreten, obwohl sie die dritt- bzw. viertgrösste ausländische Gemeinschaft mit den meisten Doppelbürgern sind.

Im Parlament gab es seit den 1990er-Jahren fast 40 bekannte binationale Parlamentarier, mehrheitlich italienisch-schweizerische:

Externer Inhalt

Diese Verteilung, die in der Lokalpolitik ähnlich ist, überrascht Noemi Carrel nicht. “Einwanderer:innen aus den Nachbarländern beherrschen bereits eine Landessprache. Das erleichtert den Menschen der ersten Generation die politische Partizipation. Zudem stellt auch ihr Name kein Hindernis für eine politische Karriere dar”, stellt sie fest.

Die starke Präsenz von Italo-Schweizern in der helvetischen Politik ist nicht überraschend, da die grösste ausländische Community im Land aus Italien stammt. Es handelt sich um Personen der zweiten, dritten oder sogar vierten Einwanderergeneration, deren Geschichte auf die Einwanderung italienischer Arbeitskräfte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgeht.

“Dies äussert sich nun in der Übernahme von politischen Mandaten und zeugt von ihrer Anerkennung als Bürgerin und Bürger in der Schweizer Gesellschaft. Das ist zwar ein langwieriger Prozess, aber er ermöglicht auch einen zuversichtlichen Blick auf die künftige politische Beteiligung anderer Teile der Migrantenbevölkerung”, sagt die Forscherin.

Editiert von Samuel Jaberg; Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft