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Verhilft der Gipfel Clinton-Lawrow Genf zur alten Grösse?

Der russische Aussenminister Sergei Lawrow, seine US-Amtskollegin Hillary Clinton.

Die internationale Metropole an der Rhone empfängt am Freitag Hillary Clinton und Sergei Lawrow. Diesem Gipfel geht ein Treffen Clintons mit Micheline Calmy-Rey voraus. Der Politologe Daniel Warner erklärt Umstände und Umfeld.

Nach dem Kalten Krieg etwas in den Hintergrund gerückt, sieht sich die Rhonestadt erneut in ihrer Funktion als Nabel der Weltdiplomatie bestätigt: Das Treffen zwischen der Amerikanerin Hillary Clinton mit ihrem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow soll den Beginn einer Annäherung zwischen der neuen US-Administration und Russland einleiten.

Ein Treffen von Clinton mit der Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey geht dem russisch-amerikanischen Gipfel voraus. Laut dem Aussenministerium handle es sich um ein “substanzielles, halbstündiges Treffen zu internationalen Fragen”.

Dazu Stellung nimmt Daniel Warner, US-Politologe des Genfer Institut de hautes études international et du développement und Direktor des Centre pour la gouvernance internationale.

swissinfo: Warum ausgerechnet Genf als Austragungsort dieses amerikanisch-russischen Gipfeltreffens?

Daniel Warner: Dieser Anlass in Genf geht dem Treffen der beiden Präsidenten Obama und Medwedew am 2. April in London vor. Dort werden sich die Länder der G20 über die weltweite Krise unterhalten.

Das Genfer Treffen kommt auf Grund einer Anfrage Russlands zu Stande – Russland verfügt über wichtige Beziehungen zur Rhonestadt. Seit vielen Jahren betreut ein Russe den Posten als Generaldirektor der Vereinten Nationen in Genf.

Ebenfalls an der Rhone fand 1985 der berühmt gewordene Gipfel Reagan – Gorbatschow statt, der den Beginn des Endes der Sowjetunion einleitete. Schliesslich laufen in Genf auch die Verhandlungen über Georgien, nach dem Konflikt Russlands mit dem Kaukasusland im letzten Sommer.

Das vorgängige Treffen Clinton-Lawrow ermöglicht es auch, einige heisse Dossiers anzugehen, wie den Nahostkonflikt, oder die Raketenabwehrbasen in Europa – ein Problem im Zusammenhang mit den START-1-Verträgen zwischen Washington und Moskau. Diese Verträge zur Reduktion der Anzahl strategischer Waffen laufen im Dezember aus.

Das Genfer Treffen könnte also die Abrüstungs-Gespräche wieder in Gang bringen, die seit vielen Jahren brach liegen, da sich die beteiligten Staaten nicht über ein gemeinsames Arbeitsprogramm einig sind. Lawrow wird sich am Samstag vormittag zur Konferenz äussern, die seit 1979 in Genf abgehalten wird.

Auch der Iran dürfte auf dem Gesprächs-Plan figurieren. Barak Obama wird wohl Medwedew bitten, Iran in seinem nuklearen Eifer zu bremsen, und im Gegenzug eine Revision der Raketenabwehrbasen-Konzeption in Europa anbieten.

swissinfo: Was hat die Schweiz vom Treffen zwischen Hillary Clinton und Micheline Calmy-Rey zu halten?

D.W.: Erstens ist daran zu erinnern, dass auch die Schweiz von diesen erwähnten Themen betroffen ist, denn Bern vertritt ja die amerikanischen Interessen im Iran und jene Russlands in Georgien.

Zweitens dürfte sich die Gelegenheit ergeben, über die Teilnahme der Vereinigten Staaten an der Rassismus-Konferenz zu sprechen (Durban II). Obschon die Amerikaner die Art und Weise kritisiert hatten, wie die Schlussdeklaration dieser Konferenz zu Stande gekommen war, hatten sie doch die Türen nicht ganz zugeschlagen, künftig an diesem heiklen Thema nicht doch wieder mitzumachen. Vorgesehen ist eine weitere Konferenz dazu im April in Genf.

Und falls Micheline Calmy-Rey bei diesem Treffen mit Hillary Clinton noch Zeit bleibt, dürfte sie auch auf die Kandidatur der USA im Menschenrechts-Rat zu sprechen kommen.

swissinfo: Sind die Hoffnungen, die mit einer Rückkehr der USA auf dem multilateralen Parkett verbunden sind, gerechtfertigt?

D.W.: US-Präsident Obama liess verlauten, er werde viel multilateraler auftreten als sein Vorgänger. Es bleibt noch offen, was das genau heisst. Die Ankunft der Aussenministerin Clinton in Genf ist deshalb ein sehr positives Zeichen, wie auch die mögliche Wiederaufnahme der Abrüstungs-Konferenz.

Andererseits zeigen die Blockierung der Verhandlungen zum Doha-Zyklus der Welthandels-Organisation und die Probleme rund um die Konferenz über den Rassismus oder die Menschenrechte, dass noch lange nicht alles aufgegleist ist.

swissinfo: Ist die Rolle des internationalen Genfs an die Neutralität der Schweiz gebunden?

D.W.: Mit dem Ende des Kalten Kriegs hat die Neutralität stark an Bedeutung eingebüsst. Demgegenüber wird die Rolle der guten Dienste, die die Schweiz anbietet, im Fall von Iran oder Georgien zunehmend geschätzt.

Somit hoffen wir doch, dass die Probleme rund um die UBS nicht zuletzt noch dieses positive Image von “Genève internationale” und von der Schweiz beeinträchtigen.

Interview swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)

Das internationale Genf setzt sich zusammen aus 22 internationalen Organisationen, 162 Vertretungen ausländischer Staaten bei diesen Organisationen, und den Mitarbeitenden in diesem Bereich.

1920 waren rund 200 Diplomaten und internationale Funktionäre in Genf beschäftigt. Heute sind es rund 40’0000, ohne die run 2400 Angestellten bei 250 Nichtregierungs-Organisationen.

Als Sitze der Vereinten Nationen (UNO) sind Genf und New York die weltweit wichtigsten Zentren internationaler Zusammenarbeit. Wobei auf Genf mehr Meetings als auf New York entfallen.

Das Büro der Vereinten Nationen in Genf wirkt als weltweit aktivstes Zentrum für multilaterale Diplomatie. In der Vergangenheit diente es auch als Bühne für historisch wichtige Verhandlungen.

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