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Die unsichtbare Gefahr in der Wohnstube

Im Kanton Tessin hat man in den letzten Jahren umfangreiche Radon-Messkampagnen durchgeführt. Keystone

Seit die Weltgesundheits-Organisation die Grenzwerte für die Radonbelastung in Häusern nach unten korrigiert hat, sind hunderte Gebäude in der Schweiz eigentlich sanierungsbedürftig. Die Risikozonen beschränken sich nicht mehr allein auf die Berggebiete.

Das chemische Element Radon ist geruchsfrei und unsichtbar, aber auch radioaktiv. Und daher kann es für den menschlichen Organismus gefährlich werden.

Radon dringt durch Poren aus dem Erdreich an die Oberfläche. Und es konzentriert sich besonders in geschlossenen Räumen mit wenig Luftzirkulation.

Die Folgen von Radon für die Gesundheit sind eindrücklich: Von fast 3000 Lungenkrebs-Todesfällen pro Jahr lässt sich ein Zehntel ursächlich auf zu hohe Radon-Konzentrationen zurückführen.

Neue epidemiologische Studien aus den USA, China und Europa zeigen auf, dass es Radon-Opfer nicht nur unter Mineuren gibt, wie bisher angenommen, sondern auch bei Einwohnern von Häusern und Wohnungen mit Radon-Konzentrationen.

Situation gravierender als vermutet

Für Maria Neira, Direktorin der Abteilung Öffentliche Gesundheit in der Weltgesundheits-Organisation WHO, zeigen diese Studien, «dass auch geringe und mittlere Konzentrationen von Radon die Bildung von Tumoren ganz wesentlich beeinflussen können».

Aus diesem Grund hat die WHO beschlossen, die empfohlenen Grenzwerte für Radon in Wohnräumen drastisch nach unten zu korrigieren, von 1000 auf 100 Becquerel pro Kubikmeter (Bq/m3). Wenn dieser Wert nicht erreicht werden könne, dürfte eine Konzentration von 300 Bq/m3 keinesfalls überschritten werden.

Dieser WHO-Entscheid hat konkrete Auswirkungen auf die Schweiz, wo der Grenzwert der maximalen Radon-Belastung auf 1000 Bq/m3 festgelegt ist.

«Das Problem ist gravierender als wir dachten», sagt Christophe Murith von der Sektion Radiologische Risiken im Bundesamt für Gesundheit (BAG). «Die Risikozonen befinden sich nicht nur im Tessin, in Graubünden und im Jura, sondern betreffen das ganze Land.»

500’000 Gebäude sanierungsbedürftig

Die Schweiz arbeitet seit 1994 an einer Erfassung der Radon-Konzentration in den Schweizer Gemeinden. So kann das Risiko und damit der Bedarf an Gebäudesanierungen eruiert werden. «Wir haben viel Erfahrung in diesem Bereich», sagt Murith.

Gemäss dem BAG-Experten würde die Senkung des Grenzwerts auf 100 Bq/m3 die Sanierung von 500’000 Gebäuden nötig machen: «Das ist praktisch nicht umsetzbar», betont er.

«Wir arbeiten aber an einem Aktionsplan, der die WHO-Empfehlungen berücksichtigt», so Murith. Demnach müssten Gebäude, in denen die Grenzwerte überschritten werden, nicht sofort saniert werden. Stattdessen erhielten die Eigentümer längere Fristen, um eine Sanierung durchzuführen – abhängig von der Intensität der Radon-Strahlung im jeweiligen Gebäude.

Laut Murith kann eine Gebäudesanierung durch die Eigentümer nicht auf Anhieb verlangt werden. Sie könnte nur im Rahmen einer anstehenden Renovation erfolgen. Der Grenzwert von 100 Bq/m3 wäre demnach unmittelbar nur auf neu erstellte Gebäude anzuwenden.

Um die Kosten einzudämmen, empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit, die Massnahmen gegen Radon in die nationalen Energiespar-Förderprogramme für Gebäude-Renovationen zu integrieren.

Wie in einem Atomkraftwerk

Die vorbeugenden Massnahmen gegen die schädlichen Auswirkungen von Radon betreffen insofern auch Architekten und Ingenieure. An der Eidgenössischen Technischen Hochschule von Lausanne (EPFL) werden entsprechende Weiterbildungskurse angeboten.

Das Kompetenzzentrum für Radon an der Fachhochschule der italienischen Schweiz (Supsi) empfiehlt den Einbau von fugenfreien Stahlbetondecken und eine hermetische Isolation.

In Gebieten mit besonders hohem Radon-Risiko rät man zudem dazu, eine ausreichende Luftzirkulation unter dem Fundament zu garantieren. Ausserdem müssten die Belüftungssysteme genau kontrolliert werden.

Diese Massnahmen sind sicherlich teuer, aber sie können sich in Bezug auf die Gesundheit als golden erweisen. Die WHO schätzt nämlich, dass mit jedem Anstieg der Radon-Konzentration um 100 Bq/m3 das Krebsrisiko um 16% zunimmt.

Die aufgenommene Strahlenmenge in einem Jahr beim jetzigen Grenzwert von 1000 Bq/m3 entspreche der Aussetzung von Arbeitern in einem Kernkraftwerk, betont Christophe Murith. Und er fügt an: «Ich persönlich wünsche mir nicht, dass meine Kinder in einem solchen Ambiente aufwachsen.»

Luigi Jorio, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Radon ist ein natürliches, aber radioaktives Edelgas, das beim Zerfall von Uran im Erdreich entsteht. Die Strahlung kann gesundheitliche Schäden verursachen.

Radongebiete befinden sich hauptsächlich in den Alpen (vor allem Tessin, Graubünden, Wallis) und im Jura, aber auch im Mittelland gibt es hoch belastete Gebäude.

Lungenkrebs fordert in der Schweiz zirka 2700 Todesopfer pro Jahr. Davon sind 200 bis 300 dem Radon zuzuschreiben.

In ganz Europa werden die Radon-Todesfälle auf 20’0000 pro Jahr geschätzt.

Radon stellt somit den gefährlichsten Krebserreger im Wohnbereich dar und ist nach dem Rauchen die wichtigste Ursache für Lungenkrebs.

(Quelle: BAG)

Die Schweiz hat Grenzwerte festgelegt. Liegt die Radonkonzentration in Wohn- und Aufenthaltsräumen über dem Grenzwert von 1000 Bq/m3, so muss der Hauseigentümer das Gebäude sanieren.

Für Arbeitsräume gilt ein Grenzwert von 3000 Bq/m3. Für Neu- und Umbauten sowie bei Sanierungen gilt ein Richtwert von 400 Bq/m3, sofern dieser mit einfachen baulichen Massnahmen eingehalten werden kann.

Andere europäische Länder beschränken sich bei den Radon-Höchstwerten auf Empfehlungen: Deutschland (250), Grossbritannien (200), USA (150), Holland (20).

Die Radon-Konzentration kann auf einfache und kostengünstige Weise mit einem Dosimeter gemessen werden. Diese sind kaum grösser als eine Tasse.

Zur Reduktion des Radongehaltes in bestehenden Gebäuden empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit:

– Unterdruck im Innern vermeiden

– Radoneintritt vom Untergrund her hemmen

– Ausbreitung im Wohnbereich unterbinden

– Radon aus dem Wohnbereich evakuieren.

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