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Macht Demokratie die Welt wirklich friedlicher?

Blauer Daumen
Eine 80-jährige zeigte mit ihrem Daumen, dass sie ihre Stimme abgegeben hat. Bei Parlamentswahlen in Nepal 2017. EPA/NARENDRA SHRESTHA

Seit 1945 waren viele überzeugt: Demokratien bringen Frieden. Doch stimmt das auch? Und was ist mit der Demokratieförderung im Ausland? Antworten von Wissenschaftlerinnen.

Die Schweiz ist nicht nur ein friedliches, demokratisches Land, sondern setzt sich – so steht es in der Verfassung – auch weltweit für Demokratie und das friedliche «Zusammenleben der Völker» ein. Wie sehr Demokratie und Frieden aus Schweizer Sicht verbunden sind, zeigt sich daran, dass die Demokratieförderung im Aussenministerium Sache der Abteilung «Frieden und Menschenrechte» ist.

Auch international hat die Perspektive, dass Demokratisierung Frieden bringt, seit 1945 ihre Wirkung entfaltet. Denn seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Zahl zwischenstaatlicher Kriege zurückgegangen und die Zahl demokratischer Staaten gewachsen.

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2024 gab es erstmals wieder mehr autokratische als demokratische Staaten. Und liberale Demokratien – die die Rechte und Freiheiten des Individuums achten – sind gar zur seltenen Regierungsform geworden. Nur 900 Millionen Menschen leben in einer liberalen Demokratie. Demgegenüber leben 72% der Weltbevölkerung in einer Diktatur. So viele wie seit 1978 nicht mehr. Gleichzeitig fahren westliche Staaten, allen voran die USA, die Demokratieförderung im Ausland herunter.

Stehen diese Entwicklungen im Zusammenhang mit den vielen Konflikten, die es weltweit gibt?

Neben dem Frieden sei vor allem der Wohlstand lange Zeit ein Versprechen der Demokratisierung gewesen, betont die Politikwissenschaftlerin Karina Mross gegenüber Swissinfo: «Doch das Exempel von China hat diesem Argument an Kraft genommen. Zumal China versucht, eine eigene Form von Demokratie zu definieren.» China präsentierte vor einigen Jahren eine Argumentation, warum die Diktatur «eine Demokratie, die funktioniert»Externer Link sei. Autoritäre Staaten versuchen – auch in internationalen Zusammenschlüssen – der liberalen Ordnung ein eigenes, alternatives Werte- und Wohlstandsmodell entgegenzusetzen.

Fällt das wirtschaftliche Argument weg, stellt sich die Frage, ob eine Demokratisierung immerhin eine Garantie für den Frieden bedeutet.

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Demokratien sind friedlicher gegenüber Demokratien

Die Idee hinter dem «Demokratischen Frieden» hatte der deutsche Philosoph Immanuel Kant bereits im 18. Jahrhundert entwickelt. Losgelöst davon untersuchen Politikwissenschaftler:innen dies heute mit Feldforschung und quantitativen Methoden.

Da die Bevölkerung die Kosten eines Kriegs trägt, sei sie laut der Theorie des demokratischen Friedens meist kritisch gegenüber Kriegen eingestellt, erklärte Hannah Smidt, Politikwissenschaftlerin und Assistenzprofessorin an der Universität St. Gallen, in ihrem Referat an den «Aarauer Demokratietagen 2025» einen der Grundgedanken. Entscheidungsträger:innen in Demokratien seien durch Wahlen abhängig von der Bevölkerungspräferenz. Weil sie es sich deswegen nicht erlauben können, gegen die eigene Bevölkerung zu agieren, seien Demokratien friedlicher.

Es ist wissenschaftlicher KonsensExterner Link, dass sich demokratische Staaten gegenüber anderen demokratischen Staaten friedlicher verhalten – im Vergleich zu Staaten mit nicht-demokratischen Systemen. Doch die Theorie des demokratischen Friedens ist nur eine mögliche Erklärung dafür. Andere führen das friedliche Miteinander von Demokratien eher auf Handelsbeziehungen oder gemeinsame Mitgliedschaft in internationalen Organisationen zurück. «Ist die Demokratie wirklich so wichtig für Frieden? Dieser Streit ist nach wie vor im Gange», sagt Smidt zu Swissinfo.

Dieser Streit ist auch deshalb virulent, weil seit dem Zweiten Weltkrieg nur die Zahl der zwischenstaatlichen Kriege sank. Die Zahl der Bürgerkriege ist hingegen gewachsen, trotz der damals wachsenden Anzahl von Demokratien.

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«Regime in der Mitte haben eine höhere Instabilität»

«Neuere Forschung zeigt, dass Demokratien tendenziell friedlicher sind als Autokratien», sagt Karina Mross, die beim German Institute of Development and Sustainability forscht. Lange Zeit habe man gesagt, «beide sind ähnlich stabil und Regime in der Mitte haben eine höhere Instabilität». Doch die langfristige Perspektive zeichne auch für autokratische Staaten ein anderes Bild. «Das sah man beispielsweise in Syrien, als nach Jahrzehnten unter den Assads ein Bürgerkrieg ausbrauch. Die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann gewaltsame Opposition ausbricht, ist in Autokratien deutlich höher», so Mross.

Es gebe «einiges an empirischer Evidenz», dass «Gewaltkonflikte in den Phasen der Öffnung einer Autokratie ein erhöhtes Risiko haben», erklärt Mross. «Vor diesem Hintergrund stellte sich lange die Frage: Wenn sich das Risiko von einem Bürgerkrieg in Demokratisierungsprozessen erhöht, dürfen wir überhaupt Demokratie fördern?»

Feldforschung in Nepal, Burundi und Liberia

Damit hat sich Mross in ihrer Dissertation auseinandergesetzt – und kam zu einem klaren Schluss. «Tendenziell zeigte sich, dass internationale Unterstützung für die Demokratie zu einem nachhaltigen Frieden beitrug, wenn sie bei jenen lokalen Akteuren ansetzt, die schon intern die Demokratisierung vorangetrieben haben», erläutert sie.

Sie verglich da die Entwicklung in Ländern, die sich nach einem Bürgerkrieg demokratisierten und war für Feldforschung in Nepal, Burundi und Liberia. Obwohl nicht alle diese Staaten heute demokratisch sind, sei klar, dass externe Unterstützung für Demokratie destabilisierende Effekte abmildern könne. Sie sagt: «Externe Unterstützung trägt dazu bei, dass Demokratisierung selbst nach einem Bürgerkrieg friedlich verläuft.»

Doch die Frage, ob Demokratieförderung per se gut ist, verneint Mross. «Es braucht lokale Akteure, die Demokratie fordern. Von aussen forcierte Aufdoktrinierung von Demokratie ist sehr schwierig.» Es müsse einen «domestic drive», einen Antrieb im Land selber geben. Dann könne internationale Unterstützung «einen wichtigen Beitrag leisten und den Unterschied machen».

USA: Vermischung von Demokratieförderung mit geopolitischen Interessen

Oft wird staatliche Demokratieförderung im Ausland auch wegen ihrer Verbindung mit aussenpolitischen Interessen und Diplomatie kritisch betrachtet. «Die USA hat die Demokratieförderung gerade in bestimmten Regionen sehr mit geopolitischen Interessen verknüpft», so Mross. Dies habe Legitimität und Neutralität untergraben.

Doch vielerorts habe das US-Engagement einen nachhaltig positiven Effekt gehabt – dank grosser Ressourcen und den Möglichkeiten diplomatisch Druck zu leisten. «Für Liberia konnte ich aufzeigen, dass manchmal externer Druck einen Unterschied machen kann, wenn die eigenen Institutionen noch nicht stark genug sind, um autoritäre Tendenzen zu verhindern», führt Mross aus.

Die entscheidende Frage sei für Mross: Gilt im Zweifel das Primat der Demokratieförderung – oder jenes wirtschaftlicher oder anderer Interessen? Wenn dann die Demokratie hintenangestellt wird, sei dies ein grosses Problem «für die Glaubwürdigkeit und die Effektivität der Demokratieförderung».

Doch, wenn sich die «Diplomatie tatsächlich auf die Sache der Demokratie» ausrichte, sieht es Mross als positiv, wenn Diplomatie und Demokratieförderung eng verzahnt seien. Dies habe sie im Bezug auf die Schweiz in Nepal beobachten können. Seit Ende des Bürgerkriegs 2006 unterstützt die Schweiz dort den Friedensprozess und den Aufbau stabiler, demokratischer Institutionen.

Lesen Sie auch unseren Artikel, wie, in welchen Ländern und mit welchen Zielen die Schweiz die Demokratie im Ausland fördert:

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Bringt die Autokratisierung mehr Konflikte?

Betrachtet man den momentanen globalen Trend zur AutokratisierungExterner Link, zeichnet sich das Bild von vielen Staaten in hybriden Situationen oder mit hybriden Regimen. Diese «Regime in der Mitte», wie Mross sie nennt, waren in den letzten 80 Jahren ursprünglich autoritäre Staaten, die sich in unterschiedlichem Mass gesellschaftlich geöffnet haben. Heute gibt es neue «Regime in der Mitte»: Staaten, die einen Demokratieabbau hinter sich haben. Und nun als kompetitive Autokratien oder illiberale Demokratien im Spannungsfeld zwischen Autokratie und Demokratie stehen.

Ob diese Welle der Autokratisierung in den betroffenen Ländern das Bürgerkriegsrisiko erhöht, ist noch unbekannt. Mross und ihr Team befassen sich momentan mit der Frage. «Wir sehen einerseits: Die Anzahl der Konflikte ist gerade auf einem extremen Höchststand. Und andererseits: Viele autokratische Länder und Länder, die sich autokratisieren. Da kann es einen Zusammenhang geben – muss es aber nicht», so Mross.

Deswegen wollen sie das sauber untersuchen. «Verschiedene Argumente legen die Vermutung nahe, dass es zu einer höheren Anzahl von Konflikten kommt». Entscheidend sei wahrscheinlich, wie schnell der Repressionsapparat eines «Regimes, das sich autokratisiert» in der Lage sei, «destabilisierende Tendenzen zu unterdrücken.»

Offen ist, wie es sich auswirkt, dass Staaten, die einst Demokratieförderung betrieben, momentan selbst Demokratieabbau erleben. Und parallel dazu auch die internationalen Organisationen einen langsamen, grundlegenden Wandel durchlaufen. So erhalten beispielsweise UNO-Friedensmissionen heute seltener als vor einem Jahrzehnt das Mandat, auch Demokratisierung zu unterstützen – obwohl Smidts Forschung ergab, dass solche Demokratiefördermandate einen positiven EffektExterner Link haben.

Womöglich sind die Missionen ohne Demokratiemandate, weil sich die Machtverhältnisse in internationalen Organisationen zu den Autokratien verschieben.

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Editiert von Giannis Mavris

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