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Mühlebergs Arrangement mit dem AKW

(Schein)idyllisches Dorf Mühleberg. swissinfo.ch

Das 40-jährige Atomkraftwerk Mühleberg soll durch ein neues ersetzt werden. Die Gemeinde Mühleberg scheint sich mit dem Werk arrangiert zu haben. Doch es gibt auch kritische Stimmen. Dennoch will sich niemand so richtig exponieren. Ein Besuch vor Ort.

In Mühleberg Dorf im Westen der Hauptstadt Bern hängt weit und breit kein einziges Plakat zur bevorstehenden Abstimmung.

Auch das Atomkraftwerk selber, über dessen Ersatz am 13. Februar im Kanton Bern abgestimmt wird, sieht man nicht. Es liegt gut versteckt rund drei Kilometer entfernt am Wohlensee.

Dass sie das Werk nicht ständig vor Augen haben, scheint den Dorfbewohnerinnen und -bewohnern nur recht zu sein. Im Restaurant Traube jedenfalls sind die lokalen Gäste des Themas müde und beantworten die Fragen bezüglich Abstimmung und AKW mit Skepsis.

“Klar ist das AKW bei uns auch Thema, aber nicht mehr so sehr wie früher”, sagt die Wirtin. Angst habe sie keine. “Wenn’s polet, de polet’s.” Will heissen: wenn es kracht, dann kracht es halt.

Das Dorf sei in zwei Lager gespalten, meint eine Frau am Tisch. Für sie sei das AKW kein Problem. “Je nachdem, woher der Wind kommt, wären wir sogar weniger gefährdet als andere”, meint sie. Und damit ist das Thema erledigt.

Der Realist

“Organisierten Widerstand gibt es hier nicht. Der Grossteil der Gemeinde akzeptiert das AKW und hat sich daran gewöhnt, wir kennen die Leute, die dort arbeiten, haben Vertrauen. Nie gab es Vorfälle oder Alarm. Es ist dort und läuft und läuft”, sagt Gemeindepräsident Kurt Herren von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei.

Bis zu seiner Pensionierung 2001 war er Pilot bei der Swissair. Zur Zeit ist Herren ein gefragter Mann. Die Journalisten geben sich im Gemeindehaus die Klinke in die Hand. Herrens Arbeitspensum ist von 25 auf 70 Prozent angestiegen.

Wohl zum x-ten Mal erläutert der Gemeindepräsident, wieso die Schweiz auf Atomenergie angewiesen sei: “Wir müssen die Energiesicherheit gewährleisten. Da die alten AKW vom Netz gehen und die Lieferverträge mit Frankreich bald wegfallen, braucht es neue AKW.”

Er sei ein Befürworter erneuerbarer Energien, fahre ein Hybrid-Auto und habe zu Hause eine Erdsonde installiert. “Aber ich bin auch Realist. In den nächsten 50 Jahren kann die Atomenergie nicht durch erneuerbare Energien ersetzt werden, das ist eine Illusion.” Man solle jedoch nicht das eine gegen das andere ausspielen. Im Moment brauche es beide Energiearten.

In der SVP-dominierten Gemeinde Mühleberg, die aus 13 Dörfern besteht, leben knapp 3000 Personen. 50 bis 60 von ihnen arbeiten im AKW, das der Gemeinde beträchtliche Steuereinnahmen beschert. Laut einer Umfrage von 2009 stehen 62% hinter einem neuen Kraftwerk.

Es geht ums Geld

Diese Zahlen bezweifelt Beat Gerber. Er wohnt seit 21 Jahren im alten Dorfkern von Mühleberg und ist Zentralsekretär der Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie SSES. “Die Studie war klar getürkt. In der von den Bernischen Kraftwerken BKW in Auftrag gegebenen Umfrage wurden gezielt Pro-Leute gesucht.”

Aber auch der Atomkraftkritiker hat sich ein Stück weit mit dem AKW arrangiert, denn mit den Nachbarn will man es sich nicht verderben. “Man weiss in der dörflichen Struktur, wer wo steht und wer im AKW arbeitet. Einzelpersonen wollen sich hier nicht exponieren.”

Mit dem Produkt Energie wird laut Gerber zu wenig haushälterisch umgegangen, “weil gewisse Kreise Interesse daran haben, möglichst viel Strom zu verkaufen”.

Er ist überzeugt, dass mit Massnahmen bei der Energieeffizienz, strengeren Bauvorschriften und der Förderung erneuerbarer Energien die Atomenergie abgelöst werden könnte. “Das muss ja nicht von einem Tag auf den anderen geschehen, sondern kontinuierlich.”

Atomare Strahlen

Die Gefahr eines möglichen Unfalls im Atomkraftwerk ist im Dorf kein Thema. Beat Gerber spricht von einem Verdrängungs-Mechanismus. Mehr Gedanken machten sich einige Leute über die Häufung von Krebserkrankungen in der Nähe von Atomkraftwerken und sammelten Daten.

Für den Gemeindepräsidenten sind solche Ängste und Behauptungen unbegründet, entsprechende Studien aus Deutschland findet er “unseriös und wenig aussagekräftig”.

Die Strahlung in der Umgebung des AKW sei geringer als die natürliche Strahlung. “Und ich als Pilot habe sicher mehr Strahlendosis erwischt als jeder Einwohner in Mühleberg.”

Auch wenn es keine hundertprozentige Sicherheit gebe, legt er für sein Werk die Hand ins Feuer: “Ich bin bei der jährlichen Revision jeweils dabei, da wird jeder cm2 untersucht. Zudem fliegt ein AKW nicht plötzlich in die Luft. Es gibt eine Vorwarnzeit.”

Beat Gerber, der Sonnenenergie-Experte, ist da vorsichtiger. “Ich halte mich an Albert Einstein, der gesagt hat, dass die Atomenergie die Menschheit überfordern werde.” Noch nie sei zum Beispiel ein stillgelegtes AKW zurückgebaut worden, es fehle der Erfahrungswert. Die Überforderung zeige sich auch bei der ungelösten Endlagerung radioaktiver Abfälle.

Atommüll

Auch dieses Problem ist für den Gemeindepräsidenten lösbar. Er jedenfalls würde lieber neben einem Endlager für hochradioaktive Abfälle wohnen als neben einem Chemiewerk in Basel, betont er gegenüber swissinfo.ch.

Den Atommüll soll Mühleberg auf dem eigenen Boden lagern, sagt Christian Minder. Der Bauer aus der Nachbargemeinde Frauenkapplen ist wütend: Sollte ein neues AKW gebaut werden, möchten die Betreiber auf seinem Boden eine Container-Siedlung für 1700 Arbeiter errichten. Die Bauzeit dürfte 10 bis 12 Jahre dauern.

“Die BKW wollen eine temporäre Umzonung des Kulturlandes beantragen. Damit bin nicht einverstanden.” Minder, der etwa gleich alt ist wie das AKW Mühleberg, das gut zwei Kilometer von seinem Hof entfernt liegt, will weder Container, noch Parkplätze noch mehr Verkehr auf seinem Ackerland. “Ich denke langfristig und produziere nachhaltig. Dieses Projekt wäre einschneidend für das Geschäft und unsere Lebensqualität.”

Das AKW war für ihn bislang normal wie “der Stausee, die Hochspannungsleitung, die Kehrichtdeponie. Ich habe auch nicht Angst. Jetzt aber bin ich konfrontiert und kritischer geworden”.

Die Milliardenbeträge, die für den Bau neuer AKW nötig wären, würde man seiner Ansicht nach besser in erneuerbare Energien investieren. “Es geht nicht, dass eine Generation sich bereichert und den nächsten 4000 Generationen diese Hypothek hinterlässt.”

Am 13. Februar findet im Kanton Bern eine Konsultativ-Abstimmung über einen Ersatz des AKW Mühleberg statt.

Das AKW Mühleberg ist seit 1972 in Betrieb und muss in rund 10 Jahren vom Netz genommen werden.

Die Abstimmung gilt als Stimmungsbarometer. denn in zwei bis drei Jahren wird das Schweizer Stimmvolk über neue Atomkraftwerke entscheiden.

Es geht bei der Abstimmung aber auch um den Standort Mühleberg: Sagt das Stimmvolk nein, dürften sich die Chancen für Mühleberg II verringern.

Die Stromkonzerne Axpo, Alpiq und BKW haben sich nämlich darauf geeinigt, gemeinsam zwei neue Kernkraftwerke zu bauen.  Im Rennen sind jedoch drei Standorte, nämlich Gösgen im Kanton Solothurn, Beznau im Kanton Aargau und eben Mühleberg im Kanton Bern.

Beznau I
Inbetriebnahme: 1969
 
Beznau II
Inbetriebnahme: 1972
 
Mühleberg
Inbetriebnahme: 1972
 
Gösgen
Inbetriebnahme: 1978
 
Leibstadt
Inbetriebnahme: 1984

Wasserkraft: 55,8%
 
Kernkraft: 39,3%
 
Andere: 2,9%
 
Neue erneuerbare Energien
(aus Abfall, Biomasse und Biogas, Sonne, Wind): 2%
 
(Quelle: Bundesamt für Energie)

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