
Konsulats-Eindringlinge auf der Flucht

Die Polizei jagt die drei bewaffneten Angreifer, welche am Montagmorgen das spanische Generalkonsulat in Bern überfallen haben.
Beim Sturm durch eine Spezialeinheit am frühen Nachmittag war das Gebäude leer.
Was stundenlang von der Polizei als Geiselnahme behandelt wurde, stellte sich als ein Überfall heraus. «Inzwischen ist klar, dass die Täter noch vor Eintreffen der Polizei das Weite suchten», sagte Peter Theilkäs, Einsatzleiter der Stadtpolizei Bern am Nachmittag vor den Medien.
Chauffeur verletzt
Laut der Polizei hatten sich drei Männer kurz nach 8 Uhr Ortszeit Einlass ins spanische Generalkonsulat im Berner Kirchenfeld-Quartier verschafft. Alle versteckten ihre Gesicht hinter Masken. Sie hatten eine Pistole und ein 40 Zentimeter langes Messer dabei. Sie forderten einen Angestellten auf, den Tresor zu öffnen.
Gleichzeitig fuhr draussen vor dem Haus der Botschafts-Chauffeur vor. Einer der Täter ging hinaus und bedrohte ihn mit einem Messer. Der Fahrer wehrte sich, konnte verletzt fliehen und eine Patrouille des Botschaftsschutzes alarmieren.
Polizei: «Geiselnahme»
Eine weitere Angestellte, die ebenfalls zu diesem Zeitpunkt bei dem Konsulat eintraf, wurde von den Tätern ins Innere des Gebäudes gezerrt und zusammen mit dem anderen Angestellten in ein Zimmer gebracht. Deshalb spricht die Polizei von einer Geiselnahme. Noch vor dem Eintreffen der Einsatzkräfte müssen die Täter geflüchtet sein.
Nachdem die Polizei kurz nach 8 Uhr vor dem Gebäude Stellung bezogen hatte, herrschte im beschaulichen Diplomatenquartier lange Zeit angespannte Ruhe. Die Zufahrtsstrasse zum Konsulat war abgesperrt, und vor dem Gebäude flatterte die spanische Flagge im Wind.
Kontakt ins Konsulat
Einer Sekretärin der Gewerkschaft Unia, die mit den Angestellten des Konsulats privat befreundet ist, war es inzwischen gelungen, über eine direkte Büronummer mit einer der angeblichen Geiseln zu telefonieren.
Gegenüber swissinfo erklärte Carmen Rocha, der Mann habe sehr verängstigt gewirkt. Er habe ihr gesagt, sie würden von drei sehr aggressiven Eindringlingen bedroht.
«Er sagte mir, er wisse nicht, warum die Polizei noch nicht aufgetaucht ist», sagt Rocha weiter. Mit der Bemerkung, er könne jetzt nicht mehr weitersprechen, habe er dann aufgehängt.
Die beiden Angestellten konnten per Telefon und Handzeichen die Polizei kontaktieren und gegen 10.30 Uhr aus dem Gebäude flüchten.
Spezialeinheit stürmt Gebäude
Am frühen Nachmittag stürmte ein rund 12 Mann starkes Sonderkommando der Berner Stadtpolizei das Gebäude, fand es aber leer vor. Im Einsatz standen insgesamt rund 100 Polizei- und Sicherheitskräfte. Justizminister Christoph Blocher brach seine Ferien ab und reiste nach Bern. Weil das Konsulat als exterritorialer Raum gilt, musste die Polizei vor dem Zugriff die Einwilligung von Spanien erhalten.
Zum Inhalt des Tresors machten die Behörden am Nachmittag keine Angaben. Noch wird abgeklärt, ob etwas aus dem Tresor gestohlen wurde.
Auf Stempel und Visa abgesehen?
Alexander Gschwind, Iberien-Korrespondent des Deutschschweizer Radios DRS, verwies in einer Einschätzung am Radio als mögliches Motiv auf die Rekordpreise, welche spanische Blanko-Dokumente derzeit auf dem Schwarzmarkt erzielen.
Gerade habe eine dreimonatige Frist zur Regularisierung von Papierlosen in Spanien begonnen: «Dafür notwendige Dokumente sind gegenwärtig bis zu 8000 Franken wert», sagte er.
swissinfo und Agenturen
Erstmals seit sechs Jahren wurde der Sonderstab Geiselnahme und Erpressung (SOGE) des Bundes aktiviert. Er dient dem Bundesrat zur Bewältigung einer erpresserischen Krisensituation.
Um das Konsulat zu stürmen, brauchte die Berner Polizei die Einwilligung der Regierung Spaniens.
Gemäss den Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen gelten Räumlichkeiten von ausländischen Missionen als unverletzlich.
Das Wiener Übereinkommen wurde 1961 geschlossen. In der Schweiz ist es seit 1964 in Kraft, in Spanien seit 1967.
Zwischenfälle in ausländischen Vertretungen:
16. Februar 1999: Kurden besetzen die griechische Botschaft in Muri bei Bern, das Konsulat in Zürich sowie UNO-Gebäude und die SP-Zentrale in Genf.
14. Dezember 1988: Sechs unbewaffnete iranische Regimegegner besetzen das iranische Konsulat in Genf.
12. Juli 1988: Kurden besetzen das Honorarkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Basel.
6. September 1982: Ein bewaffnetes Kommando überfällt die polnische Botschaft in Bern.
14. Februar 1955: Sechs bewaffnete Exilrumänen überfallen die Gesandtschaft Rumäniens in Bern.

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