
Die Schweiz bietet Forschenden aus den USA keine Rettungsleine an

Seit die US-Regierung Forschungsgelder kürzt und Universitäten bedroht, suchen viele Wissenschaftler:innen nach neuen Standorten. Während Europa ihnen den roten Teppich ausrollt, versucht die Schweiz nicht, sie für sich zu gewinnen.
In diesem Frühjahr, vor der historischen Kulisse der Sorbonne-Universität in Paris, haben der französische Präsident Emmanuel Macron und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula Von der Leyen, einen 500 Millionen Euro (466 Millionen Franken) schweren Willkommensgruss für amerikanische Wissenschaftler:innen ausgerollt.
Das EU-Programm «Choose Europe»Externer Link ist die erste zentralisierte Initiative, um internationale Wissenschaftler:innen nach Europa zu locken, und ergänzt die Bemühungen einzelner Länder, amerikanische Forscher:innen für ihre Institutionen zu gewinnen. Die Initiative kommt als Reaktion auf den zunehmenden Druck der US-Regierung auf die amerikanische Forschung: Kürzungen an Forschungsgeldern in Milliardenhöhe, die Ablehnung etablierter Forschungsergebnisse in der Medizinpolitik und die Forderung, Universitäten sollen ihre Lehrpläne ändern.

Die Schweiz, selbst kein EU-Mitglied, beteiligt sich nicht an dem neuen Programm. Sie plant auch keine ähnlichen Initiativen. Viele in der Schweiz ansässige Forscher:innen und Institutionen halten solche Massnahmen für opportunistisch und überflüssig; sie halten das Forschungssystem für ausländische Wissenschaftler:innen bereits für attraktiv genug.
Das Schweizer Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) bezeichnete das EU-Programm in einer StellungnahmeExterner Link gegenüber dem Schweizer Fernsehen SRF als «Widerspruch zum Grundsatz des Wettbewerbs und der Exzellenz im Hochschulbereich». Andere in der Schweiz glauben jedoch, dass die Krise in den USA eine einmalige Gelegenheit bieten könnte, kluge Köpfe anzuziehen und die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Forschungsstandorts zu stärken.
Forscher:innen werden von den USA verdrängt
Die USA sind seit langem die wissenschaftliche Supermacht der Welt. Von den insgesamt 900 Milliarden Dollar, die jedes Jahr in den USA für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden, stammen fast 200 Milliarden Dollar aus staatlichen Mitteln. Das entspricht rund 3,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP).
Europa gibt insgesamt 500 Milliarden Dollar für Forschung und Entwicklung aus, die Schweiz im Jahr 2023 etwa 24,6 Milliarden Franken oder 3,3% ihres BIPs.
Seit Donald Trump im Januar 2025 sein Amt als Präsident antrat, hat die US-Bundesregierung Tausende von Fördermitteln gestrichen und plant bis 2026 Kürzungen in Höhe von 43 Milliarden US-Dollar, insbesondere bei Institutionen wie den National Institutes of Health (NIH – die weltweit grössten Forschungseinrichtung im Gesundheitsbereich) und der National Science Foundation (NSF).

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Ausserdem droht die Trump-Regierung damit, wissenschaftlichen Einrichtungen und Universitäten die Mittel zu streichen, wenn sie weiterhin Forschung oder Programme zu Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion (DGI), zu Impfstoffen und Klimawandel durchführen. Andere Themen wie Künstliche Intelligenz (KI) und Quantentechnologie bleiben hingegen weiterhin oberste Priorität auf der Agenda der US-Regierung.
Claudia Brühwiler, Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Amerikanistik an der Universität St. Gallen, sieht in all dem einen beispiellosen Angriff auf die akademische Freiheit. Kürzlich erklärte sie gegenüber dem Magazin HorizonsExterner Link, die US-Regierung habe «im Namen der Meinungsfreiheit die Meinungs-, Ideen- und Forschungsfreiheit beschnitten».
Die Association of American Universities (AAU) erklärte im MärzExterner Link, dass «die Streichung von Forschungsgeldern aus Gründen, die nichts mit der Forschung zu tun haben, einen gefährlichen und kontraproduktiven Präzedenzfall schafft».
«Es ist eine sehr schwierige Situation für Menschen, die in der Immunologie und Virologie arbeiten», sagt Volker Thiel, Virologe an der Universität Bern und am Institut für Virologie und Immunologie (IVI). «US-Kolleg:innen befürchten den Verlust ihrer Fördermittel, einige von ihnen wurden aus ihren Labors ausgesperrt, andere haben die Wissenschaft ganz verlassen.»
Im März beschlossen drei prominente Wissenschaftler:innen der Yale UniversityExterner Link, die USA zu verlassen und nach Kanada zu ziehen, weil sie die Politik der Trump-Regierung fürchten. Ebenfalls im März gaben 1200 von 1600 in den USA ansässigen Forscher:innen, die an einer Umfrage der Wissenschaftszeitschrift NatureExterner Link teilnahmen, an, dass sie einen Umzug ins Ausland in Betracht ziehen.
Europa reagiert
Die europäischen Länder reagierten auf diesen möglichen Exodus mit Initiativen auf lokaler, nationaler und EU-Ebene. Die Universität Aix in Marseille machte den Anfang und stellte 15 Millionen Euro für ausländische Forscher:innen bereit, die in den Bereichen Klima, Gesundheit, Umwelt und Sozialwissenschaften tätig sind. Frankreich setzte sich auch aktiv für das Programm «Choose Europe» ein, das bis 2027 laufen wird.
Spanien hat ein Programm im Wert von 50 Millionen Euro pro Jahr lanciert. Deutschland startete das Programm «1000-Köpfe-Plus»Externer Link, das nicht nur Emigrant:innen aus dem US-System anziehen soll, sondern auch Forscher:innen, die eigentlich in die USA gehen wollten und nun nach anderen Möglichkeiten suchen. Im Mai 2025 hat der Europäische Forschungsrat (ERC) die Mittel für Stipendiat:innen, die nach Europa umziehen, die bisher bei rund 1 Million Euro lagen, verdoppelt.

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«Der Wissenschaftliche Rat des ERC hat diese Startfinanzierung erhöht, um Forscher:innen mit Sitz in den USA in ihrer aktuellen Situation zu helfen», sagte ERC-Präsidentin Maria Leptin. «Aber sie steht natürlich weltweit allen offen, die nach Europa ziehen.»
Keine dieser Investitionen kommt auch nur annähernd an die Kürzungen der US-Regierung heran. Und Kritiker:innen befürchten, dass diese Initiativen nicht ausreichen werden, um die erhebliche Lücke zwischen Europa und den USA bei den F&E-Ausgaben zu schliessen.
«Ich habe meine Zweifel, dass Europa viele US-Wissenschaftler:innen anziehen kann», sagt Marcel Salathé, Co-Direktor des AI Center an der Eidgenössisch Technischen Hochschule Lausanne (EPFL). «Die Gehälter im akademischen Bereich sind in den meisten europäischen Ländern viel zu niedrig.»
Die Schweiz sei auch in Bezug auf die Gehälter nach wie vor attraktiv, sagt Salathé. Das durchschnittliche Gehalt ordentlicher Professor:innen liegt in den USA bei über 150’000 US-Dollar pro Jahr, während es in den meisten europäischen Ländern deutlich unter 100’000 Euro liegt. In der Schweiz kann es über 200’000 Schweizer Franken betragen.
Der Schweizer Ansatz: Wir sind gut genug
Angesichts all dieser EU-Initiativen reagieren die Schweizer Institutionen gelassen. «Wir wissen, dass talentierte Wissenschaftler aus aller Welt durch attraktive Forschungsumgebungen, hohe akademische Standards und internationale Kooperationen angezogen werden», erklärte ein Sprecher des SBFIExterner Link gegenüber SRF. «Unsere Hochschulen bieten solche Bedingungen und sind darum im Wettbewerb um Talente in einer guten Ausgangslage.»
Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS)Externer Link stammen mehr als die Hälfte der 4793 Professor:innen an den zwölf Universitäten und zwei Bundesinstituten in der Schweiz aus dem Ausland, darunter 121 aus den USA. Viele ausländische Professor:innen lehren und forschen an den Eidgenössischen Technischen Hochschulen Zürich (ETH) und Lausanne (EPFL): 66%, respektive 70% des Lehr- und Forschungspersonals sind Nicht-Schweizer:innen. An diesen beiden Institutionen, zusammen mit der Universität Zürich, sind zwei Drittel aller in den USA geborenen Professor:innen in der Schweiz tätig.
Die Schweiz hat sich auch für einige der Wissenschaftler:innen, die an der Umfrage von Nature teilgenommen haben, als bevorzugtes Ziel herausgestellt – ein Trend, der von Schweizer Institutionen bestätigt wird.
«Die ETH Zürich hat, wie andere Schweizer Universitäten auch, in den letzten Wochen und Monaten eine steigende Zahl von Bewerbungen von Forscher:innen aus den Vereinigten Staaten erhalten», sagt deren Sprecher Markus Gross gegenüber Swissinfo.
Wer keine Forschenden verlieren will, sollte auch keine abwerben
Es ist nicht nur das Vertrauen in das bestehende System, das die Schweiz davon abhält, amerikanische Wissenschaftler:innen abzuwerben. Als die Schweiz von Horizon Europe ausgeschlossen wurde, dem 95,5 Milliarden Euro schweren Forschungs- und Innovationsprogramm der EU für 2021-2027, hätten andere Länder finanzielle Anreize geboten, um Schweizer Forscher:innen abzuwerben, sagte Joël Mesot, Präsident der ETH Zürich, auf einer Pressekonferenz im April.
«Wir wollen kein ähnliches Spiel mit den USA spielen. Das wäre unethisch, und wir wollen uns nicht auf unethische Praktiken einlassen», so Mesot.
Aber nicht alle sind mit der Zurückhaltung der Schweiz einverstanden. «Wir verpassen einige wirklich gute Gelegenheiten, die sich durch diese von aussen gekommener Chance bieten», sagt Salathé. «Wahrscheinlich würden die besten Leute relativ schnell kommen, wenn wir ihnen mit den entsprechenden Finanzmitteln unsere Türen öffnen würden.»
Kürzungen für die Schweizer Wissenschaft drohen
Unterdessen steht die Schweiz vor eigenen Herausforderungen bei der Finanzierung ihrer Wissenschaftler:innen. Der Bundesrat strebt einen ausgeglichenen Bundeshaushalt an und plant Kürzungen im Bereich Bildung, Forschung und Innovation in Höhe von mehr als 460 Millionen Schweizer Franken pro Jahr – allein die ETH und die EPFL etwa müssen ab 2025 jährlich 100 Millionen Schweizer Franken einsparen.
Dieser Schritt wurde im Februar dieses Jahres in einer StellungnahmeExterner Link führender akademischer Einrichtungen, darunter der Vorstand der ETH Zürich und der Schweizerische Nationalfonds (SNF), scharf kritisiert. Die vorgeschlagenen Kürzungen könnten schwerwiegende Folgen für die Fähigkeit der Schweiz haben, ihren Wettbewerbsvorteil in Forschung und Innovation zu erhalten, einschliesslich ihrer Attraktivität für die besten Wissenschaftler:innen, warnen sie.
«Ich bin mir nicht sicher, ob die Schweiz etwas tun kann, um US-Wissenschaftler:innen anzuziehen», sagt Thiel. «Wir haben nicht einmal Stellen für die Leute, die bereits hier sind.» Selbst wenn die Finanzierung gesichert wäre, müsste man etablierten US-Wissenschaftler:innen ein wettbewerbsfähiges Paket anbieten, das möglicherweise die Leitung eines ganzen Instituts beinhaltet, argumentiert Thiel. Er glaubt, dass es einfacher sein könnte, Nachwuchsforscher:innen anzuziehen.
Thiel sieht eine gewisse Hoffnung darin, dass der Bundesrat und die EU-Kommission auf eine Vereinbarung zusteuern, die der Schweiz uneingeschränkten Zugang zu Horizon Europe und zu Mitteln des Europäischen Forschungsrats gewähren würde.
Seit diesem Jahr können Forscher:innen, die einer Schweizer Institution angehören oder bereit sind, sich einer solchen anzuschliessen, sich um renommierte ERC-Stipendien bewerben. ERC-Programme, die sich an Personen richten, die nach Europa umziehen, könnten US-Wissenschaftler:innen das attraktive Paket bieten, das sie suchen.
Ein weiterer wichtiger Grund, der laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für die Wahl Europas spricht, sei das Versprechen einer breiten Zusammenarbeit und Freiheit. Wenn die Kürzungen im Wissenschaftsbereich und der Druck auf die Universitäten in den USA anhalten, werden andere Länder zunehmend attraktiver.
«Die Führungsrolle der USA in der Forschung wird derzeit in Frage gestellt», sagt Thiel. «Wenn die Schweiz und Europa zumindest mit den derzeitigen Ressourcen und dem wissenschaftlichen Niveau Schritt halten können, könnten wir an Bedeutung gewinnen.»
Editiert von Gabe Bullard/vdv, Übertragung aus dem Englischen: Meret Michel

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