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Hintermänner der Zigarettenmafia vor Gericht

Italienische Polizisten kontrollieren geschmuggelte Zigaretten. Keystone

Vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona hat der Mammut-Prozess gegen neun mutmassliche Mitglieder der internationalen Zigarettenmafia begonnen. Sie sollen kriminelle Organisationen Italiens unterstützt und Gelder in Milliardenhöhe gewaschen haben.

Seit Mittwoch, 1. April, wird in Bellinzona der grösste Fall organisierter Kriminalität seit Bestehen des Bundesstrafgerichts debattiert. Die Bundesanwaltschaft (BA) klagt neun in der Schweiz lebende Personen an.

Sie sollen als Teil einer kriminellen Organisation den internationalen Zigarettenschmuggel zwischen Montenegro und Italien mitorganisiert und mehr als eine Milliarde US-Dollar aus dem illegalen Zigarettenschmuggel gewaschen haben. Es handelt sich um vier Schweizer, drei Italiener, einen Spanier und einen Franzosen, die in den Kantonen Tessin, Jura und Waadt leben.

Laut BA sollen zwischen 1994 und 2001 aus verbrecherischer Herkunft stammende Mittel der kriminellen Organisationen Camorra (Neapel) und Sacra Corona Unita (Apulien) über Tessiner Wechselstuben ins Schweizer Bankensystem eingeschleust worden sein. Es handelt sich um Millionenbeträge, die praktisch immer von Kurieren in bar über die Grenze gebracht wurden.

Auf Graumarkt eingedeckt

Dieses Geld wurde dann auf dem internationalen Graumarkt in Zigarettenkäufe investiert. Aus den Zollfreilagern in Rotterdam oder Antwerpen oder von Grosshändlern wurden die unversteuerten Zigaretten nach Montenegro gebracht. Für den Transport griff man gemäss Anklageschrift auch auf anerkannte, in der Schweiz domizilierte Firmen, wie Danzas, Mundotrans oder Swissair Cargo zurück.

Mittels Schnellbooten schaffte die Mafia die Schmuggelware schliesslich von Montenegro über die Adria an die apulische Küste. Von dort wurden die Zigaretten zu den Schwarzmärkten in Neapel und Apulien verschoben und gewinnbringend verkauft.

Im Fernsehen waren in den 1990er-Jahren häufig Bilder vom skrupellosen Vorgehen der Zigarettenmafia zu sehen, die auch Schusswaffen einsetzte, um die Polizei abzuschütteln. Insgesamt sollen auf diesem Weg 4,3 Millionen Kisten oder 215 Millionen Stangen Zigaretten nach Italien geschmuggelt worden sein. Beliefert wurden gemäss Anklageschrift aber auch die Schwarzmärkte in Spanien und England.

Montenegro kassierte mit

An dem Geschäft verdiente damals der politisch isolierte Staat Montenegro kräftig mit. Er vergab Importlizenzen und verlangte Transitgebühren. Die Angeklagten waren im Besitz dieser Lizenzen oder Sublizenzen. Solange die Gebühren nicht bezahlt waren, wurden die Schmugglerboote durch die dortigen Behörden blockiert. In die Schmuggelaktivitäten sollen auch hohe Politiker involviert gewesen sein.

Unter den Angeklagten befinden sich bekannte Namen wie der Financier Franco Della Torre (66), der als Kopf der Aktivitäten gilt, oder Alfredo “Fredy” Bossert (73), der mit seiner Wechselstube in Lugano stets mit illegalen Schmuggelgeschäften in Verbindung gebracht wurde.

Finanzlogistiker der Mafia

Allein Bossert soll Gelder im Gegenwert von 795 Millionen Dollar angenommen und gewaschen haben. “Namentlich durch die Einrichtung und den Betrieb der Finanzlogistik verhalf er den kriminellen Organisationen zur Realisierung von grossen Gewinnen und damit einer nachhaltigen Stärkung von deren Machtpotential”, heisst es in der Anklageschrift. Ganz ähnlich tönt es bei den anderen Beschuldigten.

Die Angeklagten müssen sich alle wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation und qualifizierter Geldwäscherei verantworten. Die Bundesanwaltschaft hatte am 31.August 2004 mit Razzien in allen Landesteilen zu einem Schlag gegen die Zigarettenmafia ausgeholt und etliche Personen verhaftet. Die jetzt Angeklagten kamen in der Regel nach 100 Tagen Untersuchungsgefängnis auf Kaution wieder auf freien Fuss.

swissinfo, Gerhard Lob, Bellinzona

Wegen der gewaltigen Dimension des Verfahrens findet die Hauptverhandlung nicht im Gerichtssaal des Bundesstrafgerichts, sondern im Saal des Grossen Rats des Kantons Tessins statt. Die Bundesanwaltschaft ist gleich mit drei Bundesstaatsanwälten vertreten.

Die Ermittlungsergebnisse sind in 1000 Aktenordnern aufbewahrt. Dabei wurden auch viele Informationen der Anti-Mafia-Ermittler aus Italien verwertet.

Nach einem zweitägigen Auftakt wird der Prozess dann erst am 4.Mai und mit Unterbrüchen bis 19.Juni fortgesetzt. Das Datum der Urteilseröffnung ist offen.

Der Prozess findet merkwürdigerweise in deutscher Sprache statt, obwohl keiner der Angeklagten deutschsprachig ist. Die Angeklagten wehrten sich dagegen, genauso wie der Tessiner Anwaltsverband.

Doch der Protest war vergeblich, da die Vertrauensanwälte gegen den Widerstand der Beschuldigten durch deutschsprachige Pflichtverteidiger ersetzt worden waren.

Juristischen Streit gab es zudem um die Veröffentlichung der Anklageschrift. Akkreditierte Journalisten erhielten neben dem Deckblatt einzig die letzten 30 der 233 Seiten umfassenden Anklageschrift zugestellt.

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