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Swissair- Piloten: Aus Stolz ist Unsicherheit geworden

Alex Schönenberger: Ehemaliger Swissair-Pilot im Dienste der Swiss. swissinfo.ch

Die Swissair-Piloten haben das Ende ihrer Fluggesellschaft als Schock erlebt. Selbst wenn sie ihren Job behalten - einen Traum haben sie verloren.

Im vergangenen Herbst verfolgte die ganze Nation fassungslos den Zusammenbruch eines der grössten Mythen des Landes: das Ende der Swissair. Auch das Personal der glorreichen Fluggesellschaft fiel buchstäblich aus den Wolken: Tausende von Personen standen plötzlich ohne Arbeit da oder zumindest vor einer höchst ungewissen Zukunft. Darunter auch Angestellte, die bisher als Mitglieder einer privilegierten Elite galten: die Piloten.

«Im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen träumte ich als Kind nicht davon, Pilot zu werden, zumindest nicht bewusst», vertraut Alex Schönenberger swissinfo an. Der 38-jährige Senior First Officer von Swissair ist jedoch in Belp aufgewachsen, ganz in der Nähe des Berner Flugplatzes.

Die Präsenz von Flugzeugen war ihm daher von Kindheit an vertraut. Die grossen Metallvögel und die Weite des Himmels faszinierten ihn. Vielleicht entschied er sich deshalb, Physik, Geographie und Meteorologie zu studieren.

Ausgeprägte Charaktere bei Swissair

Als Alex Schönenberger erstmals Kontakt mit der Swissair aufnahm, hatte er sein Studium noch nicht beendet. Er bat die Fluggesellschaft, vor einer Pilotenausbildung das Universitätsstudium abschliessen zu können. Diese Bitte wurde ihm nicht als Nachteil angerechnet, sondern umgekehrt als Pluspunkt in seinen Curriculum.

«Das war sicherlich ein entscheidender Unterschied zwischen Swissair und Crossair,» erinnert sich Schönenberger. «Swissair war immer auf der Suche nach Charakterpersonen: die diversen Ausbildungsvergangenheiten wurden als Reichtum betrachtet». Crossair habe hingegen Piloten gesucht, die bereits ihre Fluglizenz besassen. Es habe niemanden interessiert, wo sie herkamen oder wie lange sie bei der Fluggesellschaft bleiben wollten.

Bei Swissair zu arbeiten war wie zu einer Familie zu gehören. Um Swissair-Pilot zu werden, musste man nicht nur fliegen können, sondern auch die Bereitschaft zeigen, lange bei der Gesellschaft bleiben zu wollen. «Meine Arbeit als Pilot machte mich stolz», berichtet Alex Schönenberger, «das Identifikationsgefühl mit der Airline war extrem ausgeprägt. Jetzt ist es nicht mehr dasselbe.»

Der Konkurs und seine Folgen

Die Swissair-Krise lag vielleicht schon einige Jahre in der Luft. «Niemand unter uns Piloten hat sich jedoch einen solchen Absturz vorstellen können. Es war ein harter Schlag, auf den wir nicht vorbereitet waren», meint der Kopilot, der über 5000 Flugstunden hinter sich hat.

Nach dem Grounding nutzten einige Kollegen den psychologischen Beistand, den Swissair angeboten hatte. Alex Schönenberger nahm diesen nicht in Anspruch, obwohl er reichlich Stress erlebte. Es empfand es als hart für eine absterbende Gesellschaft zu arbeiten, ohne zu wissen, ob man im kommenden April noch einen Job hat. In der Teamarbeit zwischen lauter enttäuschten und traurigen Leuten wurde er auf eine harte Probe gestellt.

Drei Monate dauerte die psychologische Belastung: Januar, Februar, März. Erst dann – vor einigen Tagen – erhielt er den Vertrag von der neuen Fluggesellschaft Swiss. Jetzt weiss Alex Schönenberger, dass er Arbeit haben wird. Aber sein Einkommen und seine Pensionskassenleistungen sind um 35 Prozent reduziert worden.

Bis anhin verdienten Piloten bei der Swissair nicht viel mehr als bei vergleichbaren Fluggesellschaften. Gemäss Christoph Ulrich von der Pilotenvereinigung Aeropers, liegen aber die neuen Ansätze rund 35 Prozent unter den europäischen Durchschnittslöhnen. Der Unterschied fällt im Vergleich mit den in den USA üblichen Gehältern von Piloten noch krasser aus.

Faszination Fliegen

Trotz dieser Lohnreduktion hat Alex Schönenberger keinen Moment daran gedacht auszuwandern. Sein Leben ist in der Schweiz, die Freizeit verbringt er – wenn möglich – mit seiner Familie und seinen Freunden.

Dagegen hat er ernsthaft daran gedacht, den Beruf zu wechseln. Vielleicht wird er dies auch irgendwann machen. Bis anhin hat ihn die Faszination des Fliegens noch fest im Griff: «Ich habe mich immer für die angewandten Naturwissenschaften interessiert, die wahre Aktion in Wind und Wetter, die niemand im Labor simuliert hat.»

Für diese Leidenschaft hat Schönenberger auch Opfer gebracht. Er akzeptierte unregelmässige Arbeitszeiten und die häufige Abwesenheit von zu Hause. Er musste stets psychisch und physisch in Höchstform sein. All dies waren Gründe, die bis anhin den hohen Lohn rechtfertigten.

Jetzt ist sich Schönenberger nicht mehr so sicher, ob er all dies auf sich nehmen will. Sein Sohn hat noch nicht den Wunsch geäussert, Pilot zu werden. Und wenn er es doch täte? «Warum nicht? Aber ich glaube, er hat noch Zeit, seine Meinung zu ändern.»

Raffaella Rossello

Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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