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Wie weiter nach dem Gletscherabbruch in Blatten?

Kirche und im Hintergrund der Schuttkegel
Ein Blick auf den Schuttkegel am 6. Juni, wo Millionen Tonnen Fels, Eis und andere Trümmer das Bergdorf Blatten im Lötschental verschlungen hat. Keystone / Michael Buholzer

Zwei Wochen nach dem verheerenden Bergsturz in den Schweizer Alpen, der einen Grossteil des Bergdorfs Blatten zerstört hat, wird der Wiederaufbau vorangetrieben. Es gibt jedoch noch grosse Herausforderungen. Ein Überblick über die neuesten Entwicklungen.

Am 28. Mai hat ein gewaltiger Erdrutsch aus Schlamm, Eis und Geröll das Dorf Blatten im Lötschental im Kanton Wallis verschlungen. Zehn Millionen Tonnen Gestein vom bröckelnden Kleinen Nesthorn fielen auf den Birchgletscher und brachten ihn zum EinsturzExterner Link. Dabei donnerten gewaltige Schuttmassen den Berg hinunter.

Die Gebäude, die nicht vom Bergsturz begraben wurden, versanken in einem See, der entstand, als die Masse den nahe gelegenen kleinen Fluss Lonza aufstaute. Die Behörden schätzen, dass 90% des Dorfs zerstört wurden.

Die 300 Einwohner:innen wurden vor der Katastrophe evakuiert, doch ein 64-jähriger Mann wird noch immer vermisst. Die Gemeinde Blatten bleibt wegen der anhaltenden Gefahr weiterhin gesperrtExterner Link.

«Blatten hat noch eine Zukunft», erklärte Gemeindepräsident Matthias Bellwald unmittelbar nach der Katastrophe. «Wir werden zurückkehren.»

Wo und wie wird das «Neu Blatten» gebaut?

An einer öffentlichen Versammlung in Wiler am 12. Juni überraschten die Behörden von Blatten die Anwesenden mit einem Plan für den Wiederaufbau des Dorfs innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre.

Laut Bellwald sind die beiden nahegelegenen Weiler Eisten und Weissenried vom Bergsturz verschont geblieben und könnten zusammen mit dem bestehenden Ortskern von Blatten zu „Neu Blatten” entwickelt werden.

Die ersten Arbeiten zur Erschliessung der beiden Weiler sollen noch in diesem Jahr beginnen. Eine Notzufahrtsstrasse ist bereits im Bau und die Wasser-, Abwasser- und Stromversorgung soll provisorisch installiert werden. Für das Jahr 2026 sind weitere Aufräum- und Aushubarbeiten geplant, darunter die Entleerung des gestauten Sees und die Kanalisierung der Lonza.

Der ehrgeizige Plan sieht vor, dass die ersten provisorischen Gebäude im Jahr 2027 errichtet werden und der Bau eines neuen Dorfzentrums mit Mehrzweckgebäuden, einer Kirche, einem Dorfladen und Hotels im Jahr 2028 beginnen soll.

Die Gemeinde plant zudem die Erschliessung neuer Wohngebiete. Bis 2030 sollen sich die ersten Menschen wieder im Dorfkern von Blatten niederlassen können.

Wie die Neue Zürcher ZeitungExterner Link berichtet, hat das Architekturbüro Herzog & de Meuron bereits visuelle Pläne erstellt.

Blick auf das Dorf am 6.06.2025
Etwa 90% von Blatten, ein 300-Seelen-Dorf, wurden durch den gewaltigen Gletscherabbruch zerstört. Das Foto wurde am 6. Juni 2025 aufgenommen. Keystone / Michael Buholzer

Bellwald sagte: «Ich bin kein Utopist. Ich habe eine machbare Vision. Es ist eine Menge Arbeit, das ist sicher.» Die 200 Anwesenden begrüssten den Plan mit stehenden Ovationen.

Trotz des grossen Optimismus zwei Wochen nach der Katastrophe gibt es noch viele offene Fragen: Wie sehen die Genehmigungsverfahren aus, wie der politische Prozess, wie die Finanzierung? Wie sieht es mit der Sicherheit aus? Und werden die evakuierten Menschen tatsächlich zurückkehren?

Was sagen Einheimische und Expert:innen zum Wiederaufbau des Dorfs?

Der im Tal wohnende Walliser Ständerat Beat Rieder sieht ebenfalls Möglichkeiten, zumindest einen Teil der Dorfbewohnerinnen und -bewohner in die Weiler Weissenried und Eisten weiter oben an der Südflanke umzusiedeln. Die Behörden müssten jedoch die Verfahren beschleunigen, denn die Zeit drängt, mahnt er.

Doch: Eine Bebauung des bis zu 35 Meter dicken Schuttkegels ist höchst unwahrscheinlich, da er extrem instabil ist. Die Vorstellung, die riesigen Schuttmassen – neun Millionen Kubikmeter – in absehbarer Zeit abzutragen, ist ebenfalls unrealistisch und gefährlich.

Aufgrund früherer Erfahrungen mit Eislawinen, wie jener in der Karmadon-Schlucht im russischen Nordossetien vor 20 Jahren, wird es Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern, bis das Eis im Blattener Schuttkegel schmilzt, sagt Christian HuggelExterner Link, Klimaforscher und Geograf an der Universität Zürich.

Video des Gletscherabbruchs in Blatten am 28. Mai 2025:

Die Wahl eines neuen Standorts für Blatten ist heikel. Die kantonale Gefahrenkarte des Wallis zeigt, dass fast das gesamte Lötschental als rote Zone eingestuft ist. Das bedeutet, dass es als stark erdrutsch-, hochwasser- und vor allem lawinengefährdet gilt. Ausserhalb dieser Zonen ist das Gelände sehr steil und der verfügbare Raum begrenzt, wie die NZZ am SonntagExterner Link schreibt.

Laut Andreas Zischg, Naturgefahrenexperte an der Universität Bern, wäre ein Wiederaufbau mit neuen Infrastrukturen und Barrieren gegen Erdrutsche in einer der vielen roten Zonen im Lötschental möglich.

«Wir können entweder Lawinenschutzbauten errichten oder grosse Schutzmauern aufstellen, um die Gefahr auf ein mittleres oder restliches Niveau zu reduzieren. In dieser Zone können wir dann wieder aufbauen», sagte er dem Westschweizer Radio RTS.

Doch diese Art von Infrastruktur ist teuer. Bondo, ein Bergdorf mit 200 Einwohnerinnen und Einwohner im Kanton Graubünden, wurde 2017 von einem Erdrutsch verwüstet. Der Bau neuer Schutzmauern, Brücken und Rückhaltebecken kostete 52 Millionen Franken, wovon fast die Hälfte vom Bund übernommen wurde.

Dieses Luftbild wurde am 29. Mai aufgenommen, kurz nach dem Gletscherabbruch
Dieses Luftbild wurde am 29. Mai aufgenommen, kurz nach dem Gletscherabbruch. Keystone / Jean-Christophe Bott

Wie ist die finanzielle Situation nach der Blatten-Katastrophe?

Die Gesamtkosten des Schadens werden von Schweizer Privatversicherern in einer ersten Schätzung auf rund 320 Millionen Franken geschätzt.

Bund, Kantone und Gemeinden in der ganzen Schweiz haben sich rasch solidarisch gezeigt und Gelder für die Opfer sowie für den Wiederaufbau zugesagt. Das Parlament bewilligte eine Soforthilfe in der Höhe von 5 Millionen Franken. Die Glückskette, der humanitäre Arm der SRG, der Muttergesellschaft von Swissinfo, hat 17 Millionen Franken gesammeltExterner Link. Der Kanton Wallis hat ebenfalls zehn Millionen Franken gesprochen und eine Strategiegruppe für den Wiederaufbau eines neuen Dorfs gegründet.

Umweltminister Albert Rösti spricht sich grundsätzlich für den Wiederaufbau von Blatten aus.

«Wir wollen den Menschen im Lötschental eine Zukunft geben», sagte er letzte Woche vor Journalistinnen und Journalisten in Bern. Letztlich müsse aber die Bevölkerung selbst entscheiden, ob man das Dorf wieder aufbaue. Der Bund wolle die dafür nötigen Rahmenbedingungen schaffen. […] Der Weg sei steinig, im wahrsten Sinne des Wortes. «Es stellen sich komplexe Fragen», so Rösti.

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Wie ist die aktuelle Situation in Blatten?

Ein riesiger, graubrauner Schuttkegel – eine kegelförmige Masse aus Gestein, Schlamm, Eis und anderem Material – erstreckt sich auf einer Länge von etwa zwei Kilometern über das Tal. Der Pegel des neu entstandenen Sees ist leicht gesunken. Der Fluss schlängelt sich nun durch die Trümmer, von denen ein Drittel aus Eis besteht. Gelegentlich rollen noch kleine Bergstürze das Kleine Nesthorn hinunter. Der grösste Teil des Gletschers ist verschwunden.

Raphaël Mayoraz, der Walliser Kantonsgeologe, beobachtet die Lage genau. «Auf dem Kleinen Nesthorn sind immer noch eine Million Kubikmeter Gestein in Bewegung, von denen gelegentlich einige herunterfallen. Es bewegt sich viel weniger schnell als früher. Aber Felsstürze von dort oben könnten den Schuttkegel im Tal erreichen», sagte er kürzlich gegenüber RTS.

«In der vom Gletscher hinterlassenen Vertiefung befindet sich eine von Eis bedeckte Schuttschicht.» Die Vertiefung stelle eine gute Falle für herabfallende Felsen dar, doch einige können sie überwinden. «Dies stellt nach wie vor eine Gefahr dar, denn bei einem grossen Sturm könnte eine riesige Schlammlawine entstehen, die sich über den Schuttkegel ausbreiten würde», so Mayoraz.

Er ist auch besorgt über den See, der bei einem plötzlichen Durchbruch zu einer Überschwemmung mit Seeausbruch führen könnte, ähnlich wie beim tödlichen Giétro-GletscherfallExterner Link von 1818. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Tals wären dann gefährdet. Die Gefahrenstufe liegt immer noch bei neun von zehn, warnt er. «Erst wenn sie Stufe zwei ist, können wir uns entspannen», sagte er gegenüber RTS.

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Rund 30 Bewohnerinnen und Bewohner der tiefer gelegenen Ortschaften Ferden, Kippel und Wiler, die am 29. Mai vorsorglich evakuiert worden waren, konnten in der vergangenen Woche dennoch nach Hause zurückkehren. Auch Touristinnen und Touristen durften am vergangenen Wochenende den unteren Teil des Tals besuchen.

Inzwischen haben rund 200 Mitarbeitende des Zivilschutzes, die den Fluss und den See überwachen und die Sperrzone kontrollieren, mit ersten Aufräumarbeiten begonnen.

>>Blatten liegt im Lötschental im Kanton Wallis in der Südschweiz.

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Editiert von Gabe Bullard; Übertragung aus dem Italienischen mithilfe des AI-Tools Claude: Melanie Eichenberger

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