
Kinderarbeit und Schokolade: Nicht nur Kakao ist problematisch

In ihren Bestrebungen zur Abschaffung von Kinderarbeit konzentriert sich die Schokoladeindustrie primär auf Kakao. Doch auch bei anderen Zutaten wie Zucker, Nüssen oder Vanille ist das Risiko für Kinderarbeit hoch.
Am 11. Juni publizierte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ihren neusten Bericht zur Kinderarbeit, den sie alle vier Jahre gemeinsam mit dem UNO-Kinderhilfswerk UNICEF herausgibt. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Anzahl arbeitender Kinder von 160 Mio. im Jahr 2020 auf 137,6 Mio. 2024 gesunken ist.
Den höchsten Anteil an arbeitenden Kindern weisen nach Wirtschaftszweig die Landwirtschaft (61%) aus, geografisch steht die Region Subsahara-Afrika (21%) an erster Stelle. Für die Schokoladeindustrie sind das keine guten Nachrichten, denn sie bezieht rund 75 % ihres Kakaos aus Westafrika.
In kaum einer Branche ist das Risiko für Kinderarbeit in den Lieferketten grösser. Das Beratungsunternehmen Morningstar Sustainalytics hat zwischen Januar 2014 und Januar 2024 aufgrund von Medienberichten 612 Menschenrechtsvorfälle im Zusammenhang mit Lebensmittel-Lieferketten dokumentiert.
Davon standen 27 % im Zusammenhang mit Kinderarbeit auf Kakaofarmen, die sieben grosse Kakaounternehmen belieferten, darunter drei mit Sitz in der Schweiz: Nestlé, Lindt & Sprüngli und Barry Callebaut.
Die Schokoladenunternehmen sind sich bewusst, dass Kakao ein Reputationsrisiko darstellt, und investieren entsprechend, um die Risiken zu minimieren. So hat Nestlé seit 2012 beispielsweise jährlich rund USD 45 Millionen (CHF 37 Mio.) in die Beschaffung von nachhaltigem Kakao investiert.
Das Unternehmen, das u.a. KitKat und Cailler-Schokolade herstellt, kündigte 2022 eine Verdreifachung seiner jährlichen Investitionen an und verpflichtete sich, bis 2030 insgesamt CHF 1,3 Mrd. zu investieren.
«Dass die Schokoladeunternehmen umfangreiche Anstrengungen unternommen haben, um gegen Kinderarbeit in ihren Kakaolieferketten vorzugehen, ist nur richtig, und wir begrüssen dieses Engagement. Ihre Lieferketten gehen jedoch weit über den Kakao hinaus», erklärt Eleanor Harry, Geschäftsführerin der britischen Nachhaltigkeitsberatung HACE.
«Beweise für Kinderarbeit sehen wir häufig auch bei der Herstellung anderer wichtiger Zutaten wie Zuckerrohr, Nüsse, Vanille und verschiedene Milchprodukte, die in Schokoladeprodukte verarbeitet werden.»
Schweizer Schokoladeunternehmen haben mittlerweile begonnen, die Lieferketten aller anderen Rohstoffe nebst Kakao auf Kinderarbeit zu überprüfen.
So haben Nestlé und Lindt & Sprüngli festgestellt, dass bei ihren Haselnüssen, die grösstenteils aus der türkischen Schwarzmeerregion stammt, ein Risiko für Kinderarbeit besteht.
Da die Haselnussernte während der Schulferien stattfindet, begleiten die Kinder von Saisonarbeitern ihre Eltern auf die Plantagen – womit das Risiko steigt, dass sie bei gefährlichen Arbeiten mitwirken.
Beide Unternehmen möchten nun bei ihren Zulieferern darauf hinwirken, dass für die betreffenden Kinder Sommerschulen eröffnet werden. Harry fordert jedoch, dass die Unternehmen die Kontrolle ihrer Zulieferer auf die gesamte Rohstofflieferkette ausweiten.
«Einige Schokoladeunternehmen haben die Risiken erkannt und punktuell Massnahmen ergriffen. Eine konsequente Kontrolle sowie Investitionen in diese «versteckten» Lieferketten fehlen jedoch. Somit werden die Kinder nicht nur weiter ausgebeutet, die Unternehmen gehen damit auch ein erhebliches betriebliches Risiko ein und nehmen einen gravierenden Imageschaden in Kauf», meint Harry.
Die Schokoladehersteller versuchen, die Beschaffungsstandards für Kakao auch bei den wichtigsten anderen Rohstoffen durchzusetzen.
Lindt & Sprüngli hat eine Liste mit zwölf Zutaten erstellt, die bis 2025 aus verantwortungsvollen Quellen bezogen werden sollen: Kakao, türkische Haselnüsse, Palmöl, Rohzucker (Rohr- und Rübenzucker), Vanille, Sojalecithin, Eier (aus eigener Produktion), Verpackungen aus Zellstoff und Papier, Mandeln, Milchprodukte, Kokosnussöl und Kaffee.
Nestlé listet 14 wichtige Zutaten auf, die das Unternehmen bis 2030 aus verantwortungsvoller Herstellung beziehen will: Getreide und Körner, Kakao, Kokosnuss, Kaffee, Milchprodukte, Fisch und Meeresfrüchte, Haselnüsse, Fleisch, Geflügel und Eier, Palmöl, Zellstoff und Papier, Soja, Gewürze, Zucker und Gemüse. 2024 waren diese Anforderungen jedoch nur für 44,5% dieser wichtigen Inhaltsstoffe erfüllt.
«Eine sorgfältige Prüfung der Lieferketten aller Inhaltsstoffe – nicht nur der am meisten untersuchten – ist für wirklich ethische und stabile Lieferketten unabdingbar», so Harry.
Editiert von Virginie Mangin; Übertragung aus dem Englischen: Lorenz Mohler/mic
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