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Mehr Rücksicht auf Wildtiere im Winter

Im Winter sind Wildtiere wie z.B. der Hirsch besonders anfällig auf Ruhestörungen durch Menschen. Keystone

Die Wintersaison hat begonnen, und der Wintersport abseits der Pisten boomt. Dadurch werden die Wildtiere stark gefährdet. Über Vorschläge und Massnahmen zu deren Schonung hat sich swissinfo.ch mit einem Wildhüter im Kanton Schwyz unterhalten.

“In den Wintersportgebieten sind es Skifahrer und Snowboarder, die neben den markierten Pisten fahren, welche die Wildtiere aufscheuchen und gefährden. Aber auch Skitourengänger oder Snowboarder, die in Gebieten, wo es keine Skilifte mehr hat, mit Schneeschuhen hinaufsteigen und dann hinunterfahren”, sagt Andres Overturf. Er arbeitet in der Jagdverwaltung im Kanton Schwyz als Wildhüter.

“In den Voralpenregionen, wo weniger Ski gefahren wird, sind für die Tiere Schneeschuhläufer ein Problem, die sich abseits der öffentlichen Wege und markierten Routen kreuz und quer durch die Wälder bewegen.”

Das Hauptproblem sei eigentlich die Unberechenbarkeit der Leute, erklärt der Wildhüter. “Wenn die Tiere wissen, wo die Leute durchgehen, können sie sich daran gewöhnen. Wenn die Leute aber einmal hier und einmal dort, kreuz und quer durch die Landschaft gehen, dann ist das ein Riesenproblem für die Tiere. Ihr Ruheraum wird dadurch immer kleiner.”

Gravierende Auswirkungen

Wenn Wintersportler in den Lebensraum der Wildtiere eindringen, müssen diese als erstes flüchten. “Dabei verlieren die Tiere Energie, mit der sie wegen der Kälte und der erschwerten Mobilität im Schnee besonders haushälterisch umgehen müssen”, sagt Overturf. “Das Tier hat weniger Zeit zur Aufnahme von Nahrung, die besonders im Winter knapper ist. Durch den Stress ist weniger Zeit zum Ausruhen vorhanden.”

Viele Tiere könnten während der Ruhe viel Energie einsparen. “Die Rothirsche zum Beispiel verfallen in einen Zustand, der fast einem Winterschlaf ähnelt. Sie können ihre Temperatur stark senken; aber nur dann, wenn sie in Ruhe gelassen werden.”

Wenn ein Tier ein- oder zweimal über eine längere Zeit gestört wird, ist das kein Problem. Aber wenn es oft verscheucht wird, kann es die verlorene Energie nicht mehr wettmachen und verhungert vor Erschöpfung. “Oder es überlebt zwar den Winter, hat aber im Frühling wenig oder keine Reserven mehr für die Fortpflanzung”, so der Wildhüter.

Besonderer Schutz für Auerhühner

“Für gewisse Tierarten wie die Auerhühner müssen wir eine besondere Schutzverantwortung übernehmen, damit diese Population in zehn Jahren noch existiert.” Das Auerhuhn kam früher im ganzen Jurabogen und im Alpenraum flächendeckend vor. In den letzten Jahrzehnten ging der Bestand stetig zurück. Grund: Die Wälder sind dunkler geworden, es gibt immer weniger Unterwuchs.

Der Bund habe viel Geld investiert in die Forstwirtschaft, damit sie den Lebensraum wieder verbessern könne, erklärt Overturf. “Das kann aber nur funktionieren, wenn wir auch im Winter dafür sorgen, dass die Auerhühner Inseln der Ruhe haben, wo sie Energie einsparen und sich somit im Frühling wieder gut fortpflanzen können.”

“Respektiere deine Grenzen”

Mit der Kampagne “Respektiere deine Grenzen”, die jüngst vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) und vom Schweizer Alpen-Club (SAC) lanciert wurde, sollen die Wintersportler angehalten werden, abseits von Pisten und Routen möglichst Rücksicht auf die Wildtiere zu nehmen.

Zentrales Element der Kampagne sind vier wichtige Verhaltensregeln: Schneesportler sollen demnach speziell markierte Wildruhe- und Wildschutzgebiete meiden; im Wald sollen sie auf den markierten Routen und Wegen bleiben, damit sich die Tiere an Wintersportler gewöhnen können; zudem sollen sie Waldränder und schneefreie Flächen – die Lieblingsplätze von Wildtieren – meiden und Hunde an der Leine führen.

Kantonale Unterschiede

Da stellt sich die Frage der Umsetzung: Gibt es eine rechtliche Handhabung, können Sünder gebüsst werden? Dazu Andres Overturf: “Einige Kantone, wie zum Beispiel Graubünden, sind da schon sehr weit. Dort wurden schon sehr früh gesetzlich verankerte Wildruhezonen geschaffen. Mit Hilfe der Wildhüter wird dies auch durchgesetzt. Es gab schon einen Fall bis vor Bundesgericht. Wildhüter hatten Skitourengänger in einer Wildruhezone erwischt. Das Bundesgericht bestätigte die Geldbussen für diese.”

Im Kanton Schwyz gibt es vorerst lediglich spezifische Naturschutz- und Jagdbanngebiet-Zonen, welche die Leute nicht betreten dürfen. “Vom Gesetz her können wir Sünder büssen. Was noch nicht existiert im Kanton sind Wildruhezonen, wie sie schon viele Kantone haben.”

Zusammenarbeit mit Tourismusbranche

Die Kampagne “Respektiere deine Grenzen” wird von einer breiten Trägerschaft aus den Bereichen Landschafts- und Naturschutz (Bafu, SAC), Jagd, Sport, Tourismus und Handel, unterstützt. Die Zusammenarbeit im Bereich Tourismus und Bergbahnen in grossen Wintersportkantonen laufe zum Teil schon sehr gut, sagt Overturf.

Im Kanton Schwyz, einem Voralpenkanton, sei das Problem Bergbahnen nicht so gross. Hier gebe es mehr Skitourengänger und Schneeschuhläufer. “Wir arbeiten gut zusammen mit der Tourismusbranche. Diese ist interessiert an sicheren und markierten Routen.”

Da der Wintersport zunehmend über die Landesgrenzen hinaus betrieben wird, ist die Kampagne mit Österreich koordiniert, eine Ausweitung in andere Alpenländer ist geplant.

Jean-Michel Berthoud, Schwyz, swissinfo.ch

Die Winterlandschaft bietet Raum für Mensch und Tier, wenn man sich an folgende Regeln hält:

Wildruhe- und Wildschutz-Gebiete beachten: Wildtiere ziehen sich dorthin zurück.

Im Wald auf den markierten Routen und Wegen bleiben: So können sich Wildtiere an Wintersportler gewöhnen.

Waldränder und schneefreie Flächen meiden: Sie sind die Lieblingsplätze von Wildtieren.

Hunde an der Leine führen, besonders im Wald: Wildtiere flüchten vor freilaufenden Hunden.

Wildtiere brauchen Raum, Nahrung und Ruhe zum Leben.

In der dicht besiedelten Schweiz sind das hohe Anforderungen, denn intakte Lebensräume werden immer rarer.

Aber auch die Jagd wird von Tierschützern und der Gesellschaft zunehmend in Frage gestellt.

Dabei schliessen sich Schutz und Nutzung nicht aus; sie bedingen sich sogar. Deshalb sollten sich Schützer wie Nutzer auf gemeinsame Interessen besinnen. (Bundesamt für Umwelt – Bafu)

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