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Multikultureller Arbeitsplatz im Berner Inselspital

Das Team der Rückwärtigen Dienste in der Küche des Inselspitals beim Schöpfen des Mittagessens für die Patientinnen. Susanne Schanda / swissinfo.ch

Die Schweiz ist ein Einwanderungsland, ein multikultureller Schmelztiegel, in dem fast ein Viertel der Wohnbevölkerung aus dem Ausland stammt. Ein Beispiel für gelebte Integration ist die Küche des Inselspitals in Bern.

An der Spitze des Fliessbands steht eine Vietnamesin, das Haar von einem Netz zusammen gehalten. “Kopfbedeckung obligatorisch” ist auf einem an einer Säule befestigten Schild zu lesen.

Bei kurzen Haaren reicht ein Käppi, lange Haare kommen unter ein Netz. Sie schiebt die Essenstabletts mit den noch leeren Tellern für das Mittagessen der Patienten weiter zu zwei spanischen Kollegen, von denen der erste Spinat auf einen Teller schöpft, dann, nach einem Blick auf die Patientenkarte, Reis.

Kaum ein Menü ist gleich wie das andere. Auf jeder Seite des Bands stehen je sechs bis sieben Personen hintereinander, jede einen Metallwagen mit Behältern für die unterschiedlichen Gerichte neben sich, aus denen sie gemäss den Angaben auf den Patientenkarten auf die Teller schöpfen.

Die Arbeit erfordert Konzentration und lässt nicht viel Zeit für Geplauder, auch wenn die beiden Frauen aus Ex-Jugoslawien sich vielleicht einiges zu erzählen hätten.

Gut organisiertes Babylonien

Die Kommunikation läuft über Blicke, kurze Bemerkungen und Lachen. Deutsch, Italienisch, Spanisch, Albanisch ist neben dem Surren des Fliessbands und dem metallischen Geklapper des Schöpfbestecks in den Schüsseln zu hören. Unter den 15 Mitarbeitenden dieser Schicht sind nur gerade zwei Schweizerinnen.

Nach der Kontrolle durch die Diätköchin nimmt ein türkischer Mitarbeiter die Tabletts in Empfang, stapelt sie in ein Metallgestell auf Rädern und rollt dieses energisch in den Lift – auf den Weg zu den Patientinnen der Frauenklinik. Es ist 11.40 Uhr.

“Wir sind heute früh dran”, sagt René Zedi und weist auf den Zeitplan. Hier steht auf die Minute genau, wann das Essen für die jeweiligen Abteilungen die Küche verlassen muss. Das Mittagessen für die Frauenklinik wäre eigentlich erst zehn Minuten später dran. Aber das liegt im Toleranzbereich.


René Zedi ist in der Abteilung Gastronomie Chef von 56 Mitarbeitenden der Rückwärtigen Dienste, die drei Mal am Tag das Essen für die Patienten und die sieben Restaurants des Inselspitals bereitstellen und danach die leeren Tabletts mit den Resten abräumen, Geschirr und Besteck sortieren und alles in riesige Abwaschmaschinen stellen.

Toleranz und Rücksicht

Er versteht sich gut mit seinen Leuten, von denen zahlreiche im Teilzeitverhältnis angestellt sind. So wie I. S., die 41-jährige Kosovo-Albanerin, die seit zehn Jahren in der Abteilung Gastronomie des Inselspitals arbeitet, wo rund 70 Prozent der Mitarbeitenden Ausländer sind.

“Ich arbeite unregelmässig, manchmal nur zwei oder drei Stunden am Abend. Am liebsten ist mir die Morgenschicht von 6.30 bis 15.30 Uhr wie heute, weil ich dann den Abend mit meiner Familie verbringen kann”, sagt sie gegenüber swissinfo.ch. Sie sei Muslimin, bete allerdings nur selten, wie sie etwas verschämt gesteht, und fügt hinzu: “Aber ich praktiziere jedes Jahr den Ramadan.”

Dabei würden die Muslime vom Betrieb unterstützt. Je nach Arbeitsschicht könne das letzte Essen vor oder das erste nach dem Fasten in die Arbeitszeit fallen.

“Diese Mahlzeit dürfen wir während der Schicht einnehmen, allerdings nehmen wir dann auch Rücksicht auf die andersgläubigen Kollegen und bleiben nicht zu lange weg”, sagt sie. Es gebe nur wenige praktizierende Muslime in seiner Abteilung, ergänzt René Zedi, deshalb gebe es keinen Gebetsraum: “Es wurde bisher kein Bedarf geltend gemacht.”

Bei Konflikten sofort das Gespräch suchen

Während kürzlich bekannt wurde, dass die Schweizer Armee ein Merkblatt mit Sonderregelungen für muslimische Rekruten und Soldaten verfasste, organisieren sich die Leute hier individuell im Team. “Es kümmert mich nicht, ob ein Mitarbeiter fünf Minuten Pause macht, um draussen eine Zigarette zu rauchen oder in der Garderobe zu beten”, sagt Zedi.

Und wenn jemand für einen religiösen Feiertag frei nehmen wolle, müsse er dies nur rechtzeitig beantragen. Zedi empfindet die Zusammenarbeit mit Menschen aus 13 Nationen als bereichernd. Die Fluktuation sei gering, viele Mitarbeitende blieben bis zur Pensionierung, was den Zusammenhalt im Team stärke.

“Konflikte mit und unter Ausländern sind oft weniger problematisch als mit Schweizern, weil sie direkter sind. Wenn’s kracht, rede ich sofort mit den Leuten”, sagt Zedi, der eher mit der “Schweizer Friedhöflichkeit” seine Mühe hat. Er sei selber zur Hälfte Italiener, spreche zahlreiche Fremdsprachen und könne auch mal laut werden.

Kopftuch ist kein Thema

Die Kopftuch-Frage, die Schweizer Medien und Politiker seit einem halben Jahr umtreibt, war bisher kein Thema in Zedis Abteilung. Die Kosovo-Albanerin I.S. bedeckt ihr blondes Haar in der Küche nur mit dem hygienischen Netz.

Sie sagt: “Ich habe grundsätzlich nichts gegen das Kopftuch, aber es kommt darauf an, wo es getragen wird. Wenn eine Muslimin in der Schweiz ein Kopftuch trägt, finde ich das nicht gut, denn es geht dann immer auch um eine Demonstration es Glaubens. Das schadet der Integration.”

In der Küche des Inselspitals erübrigen sich solche Fragen, denn hier sind Berufskleider Vorschrift. Dazu gehört: “Kopfbedeckung obligatorisch.” Muslimisch hin oder her.

Susanne Schanda, Bern, swissinfo.ch

Das Inselspital beschäftigt insgesamt 8703 Mitarbeiter.

Von den 1844 Ausländern kommt fast die Hälfte aus Deutschland (Zahlen 2010, Direktion Personal Inselspital).

Von den 1459 Ärzten kommen 521 aus dem Ausland, davon 395 allein aus Deutschland. Auch beim Pflegepersonal sind mehr als die Hälfte der ausländischen Mitarbeiter Deutsche.

Den grössten Ausländeranteil haben die Abteilungen Hauswirtschaft und Gastronomie. Von den 320 Mitarbeitenden in der Gastronomie (228 Stellenprozente) sind rund 40% Ausländer. Diese kommen vorwiegend aus Portugal, Ex-Jugoslawien, Lateinamerika und Osteuropa.

Das Inselspital betreibt sieben Restaurants, zwei davon sind Personalrestaurants mit 380 und 500 Sitzplätzen, die jeden Mittag drei Mal belegt werden.

Im Inselspital werden jährlich rund 260’000 Patienten behandelt.

Ende 2009 lebten in der Schweiz 1,68 Mio. Personen aus dem Ausland. Das ist fast ein Viertel der gesamten Wohnbevölkerung.

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