
Nur diese paar Länder lagern genügend Nahrungsmittel, um eine Krise zu überstehen

Kriege, fragile Lieferketten und der Klimawandel gefährden die weltweite Ernährungssicherheit. Doch nur 30 Länder halten strategische Getreidereserven, unter ihnen die Schweiz. Ein Blick auf Vorratspolitik, globale Abhängigkeiten – und Mühlen.
Nach mehreren schlechten Erntejahren mit geringen Niederschlägen verfügt der Irak heute über ausreichende Weizenreserven. Die Getreidereserven des Landes belaufen sich auf 5,5 Millionen Tonnen und reichen aus, um die eigene Bevölkerung ein Jahr lang zu versorgen.
Allerdings hat das Land eine Schwachstelle: Es importiert immer noch Weizenmehl im Wert von rund 750 Millionen Dollar (600 Millionen Franken) pro Jahr, da es nicht über genügend Silos und Mühlen verfügt, um seinen Weizen zu lagern und zu verarbeiten. Dem will die irakische Regierung nun Abhilfe schaffen.
Am 19. Juni weihte Premierminister Mohammed Shia Al-Sudani in der zentral gelegenen Provinz Babil ein Mehlmühlenprojekt der Etihad Group ein, das jährlich eine Million Tonnen Premiummehl produzieren wird – die Hälfte des Landesbedarfs.

Die Mühle ist mit sechs Mehlproduktionslinien des Schweizer Technologieunternehmens Bühler ausgestattet. Der Lebensmittelverarbeitungsriese stellt Maschinen zur Verarbeitung von Getreide, Hülsenfrüchten, Kakao und Kaffee her, die täglich von zwei Milliarden Menschen konsumiert werden. Bühler verzeichnet welweit eine steigende Nachfrage nach Lebensmittelsicherheit, insbesondere im Nahen Osten und in Afrika.
«Milling Solutions, Bühlers grösster Geschäftsbereich, verzeichnete zweistellige Umsatzzuwächse (725 Millionen CHF, 910 Millionen US-Dollar, +17,1%) und erreichte dank der weltweiten Nachfrage nach grossen Getreideverarbeitungsprojekten […] einen neuen Rekordwert», heisst es im Jahresbericht 2024 von Bühler.
Allein in den letzten zwei Jahren sicherte sich das Schweizer Unternehmen mehr als 150 Weizenmühlenprojekte mit einer Gesamtkapazität von 30’000 Tonnen pro Tag – genug, um 60 Millionen Menschen zu ernähren.
«Derzeit kommen mehrere Faktoren zusammen. Erstens wächst die Bevölkerung in Ländern wie Nigeria, Pakistan und Indonesien rasant, und die Regierungen dieser Länder müssen ihre Bürger irgendwie ernähren», erklärt Thomas Widmer, Leiter des Geschäftsbereichs Getreideverarbeitung bei Bühler, gegenüber Swissinfo.
«Der zweite Faktor, der die Nachfrage nach unseren Produkten beschleunigt hat, waren globale Ereignisse wie die Covid-19-Pandemie, der Krieg in der Ukraine und die sechs Tage andauernde Blockade des Suezkanals durch das Containerschiff Ever Given.»

Mit einer Länge von 400 Metern und einem Gewicht von 220’000 Tonnen ist die Ever Given eines der grössten Containerschiffe der Welt. Am 23. März 2021 lief das Schiff aufgrund starker Winde aus einem Staubsturm auf Grund. Es verkeilte sich in einem engen Teil des Suezkanals und blockierte die Wasserstrasse vollständig. In den sechs Tagen, die es dauerte, um das Schiff wieder freizulegen, waren 0,3% des weltweiten Warenhandels direkt von den Verkehrsbeeinträchtigungen im Suezkanal betroffen.
Anfällige Lieferketten
Laut dem britischen Thinktank Chatham House werden etwa 15% des weltweiten Getreidehandels über den Suezkanal abgewickelt. Die Abhängigkeit von solchen «globalen maritimen Engpässen» macht die Lebensmittelversorgungsketten anfälliger.
«Der Verkehr durch den Panamakanal und den Suezkanal – wichtige Arterien des globalen Handels – ging bis Mitte 2024 im Vergleich zu seinen Spitzenwerten um über 50% zurück. Dieser Rückgang wurde durch klimabedingte niedrige Wasserstände im Panamakanal und den Ausbruch von Konflikten in der Roten Meer-Region, die sich auf den Suezkanal auswirkten, verursacht», heisst es in einem BerichtExterner Link der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD).
Es wird immer anspruchsvoller, die richtige Menge an Lebensmitteln zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen. Um mit Unsicherheiten umzugehen, werden strategische Vorratreserven («Strategic Grain Reserves», SGR) für die Ernährungssicherheit immer wichtiger, so ein aktueller BerichtExterner Link, der im April gemeinsam von der Weltbank, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen veröffentlicht wurde.
Strategische Getreidereserven sind definiert als «staatliche Vorräte an Getreide, die für den Fall einer akuten Ernährungsunsicherheit aufgrund von Handels- und Lieferkettenstörungen angelegt werden». Sie können genutzt werden, um die Lebensmittelversorgung auf dem Markt bei kurzfristigen Handels- und Lieferkettenstörungen zu ergänzen. SGR können auch als Vorratslager für Getreide für Nahrungsmittelhilfeprogramme bei Marktstörungen dienen und in Form von öffentlichen Verteilungsvorräten oder Notvorräten angelegt werden.
Selbst wohlhabende Länder zeigten Interesse an strategischen Getreidereserven, nachdem ihre Verbraucher:innen zu Beginn des Ukraine-Krieges mit höheren Lebensmittelpreisen zu kämpfen hatten. Norwegen, das 2005 seine Getreidelagerbestände aufgelöst hatte, begann mit der Einlagerung von 30’000 Tonnen Getreide für 2024 und 2025. Das Land wird über Verträge mit privaten Unternehmen jährlich 63 Millionen Kronen (5 Millionen CHF) für die Getreidelagerung für seine 5,6 Millionen Einwohner ausgeben.
«Wir sehen derzeit weltweit zahlreiche politische und strategische Aktivitäten zum Wiederaufbau strategischer Getreidereserven», sagt Widmer.
Die Schweiz verfügt seit dem Kalten Krieg über obligatorische Lebensmittelvorräte. Das Land muss jederzeit über Vorräte für drei bis vier Monate an Brotweizen, Hartweizen, Reis, Zucker, Speiseölen und -fetten und sogar Kaffee verfügen. Rund 100 Unternehmen wie Mühlen werden für die Lagerung der Vorräte entschädigt, die pro Einwohner jährlich 7 Schweizer Franken kosten.
Weitere wohlhabende Länder mit strategischen Nahrungsmittelreserven sind Südkorea, Japan und Saudi-Arabien. Die meisten der 30 Länder mit aktiven öffentlichen Nahrungsmittelvorräten sind jedoch Länder mit niedrigem bis mittlerem Einkommen, die auf Importe von Grundnahrungsmitteln wie Weizen angewiesen sind. Der Anteil der Lebensmittel an den Haushaltsausgaben kann zwischen etwa 20% in Indonesien und über 50% in Ghana schwanken.
Vorbereitung auf das Schlimmste
«Alle Länder verfügen über gewisse Nahrungsmittelreserven, selbst Länder wie Jemen werden welche haben. Dann stellt sich die Frage, wer diese Vorräte verwaltet und wer Zugang dazu hat», sagt Monika Tothova, leitende Ökonomin in der Abteilung Handel und Märkte der FAO.
Laut Tothova sind strategische Getreidereserven kein Mechanismus, um die Lebensmittelpreise in Schach zu halten oder in Notfällen alle Menschen zu ernähren. Stattdessen sind sie in der Regel klein und für einen begrenzten Zeitraum für einen kleinen Teil der Bevölkerung gedacht.
«Wenn man ein reicher Golfstaat ist, kann man wahrscheinlich mit seinen strategischen Reserven alle versorgen», sagt sie. «Aber in ärmeren Ländern sind die strategischen Reserven gering, und wenn wirklich eine Notlage eintritt, kann man diese Vorräte an die Bedürftigsten der Bevölkerung abgeben.»
Nahrungsmittelreserven zu unterhalten ist kostspielig und logistisch komplex. Grosse Mengen müssen beschafft, sicher gelagert und über lange Zeiträume geschützt werden. Getreide beispielsweise kann bei richtiger Lagerung jahrzehntelang gelagert werden, da es keine feste Haltbarkeitsdauer hat. Schlechte Lagerbedingungen können jedoch zu Schädlingsbefall führen – Mäuse, Insekten und Feuchtigkeit können die Vorräte mit der Zeit beeinträchtigen und zu erheblichen Verlusten führen.

Im Jahr 2024 zahlte die Schweiz 60,3 Millionen Franken an private Unternehmen für die Lagerung von Pflichtvorräten. Andere Länder entscheiden sich möglicherweise dafür, selbst in Lager- und Mahlanlagen zu investieren, um Kosten zu senken oder weil es keine Partner aus der Privatwirtschaft gibt. Unternehmen wie Bühler, die solche Lösungen anbieten, müssen ihr Angebot an die lokalen Gegebenheiten anpassen, um staatliche Aufträge zu erhalten.
«Ein staatlicher Silo oder eine staatliche Mühle funktioniert anders als ein spezialisiertes Privatunternehmen, das einen Nischenmarkt bedient. Das liegt zum Teil daran, dass die Art des produzierten Mehls von den lokalen Ernährungsgewohnheiten geprägt ist – Mehl ist kein weltweit standardisiertes Produkt, da die Essgewohnheiten von Region zu Region sehr unterschiedlich sind», sagt Widmer von Bühler.
Je nachdem, ob der Standort bereits vorbereitet ist, benötigt Bühler 12 bis 18 Monate, um eine moderne Lager- und Mahlanlage zu errichten.
«Allen gemeinsam ist, dass nach der Entscheidung, in Infrastruktur zu investieren, diese schnell gebaut, in Betrieb genommen und dann so schnell wie möglich rentabel gemacht werden muss», fügt Widmer hinzu.

Wie sieht es mit Ländern aus, die über keine aktiven strategischen Nahrungsmittelreserven verfügen? Tothova von der FAO empfiehlt diesen Ländern dringend ihre Importquellen zu diversifizieren. Laut dem aktuellen halbjährlichen Bericht FAO Food OutlookExterner Link vom Juni 2025 waren 40 Nettoimporteure von Weizen im Jahr 2021 zu 30% von Russland und der Ukraine abhängig. Im Jahr 2024 waren 40 Nettoimporteure von Weizen zu 49% von den beiden Ländern abhängig, die sich im Krieg befinden.
Armenien, Georgien und die Mongolei waren beispielsweise vollständig auf russische Importe angewiesen, während die Türkei, Pakistan und Israel fast ihren gesamten Weizen aus der Ukraine und Russland bezogen.
«Man sollte nicht alles auf eine Karte setzen, denn genau das ist 2022 passiert. Nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine brach Panik aus, weil die Länder nicht wussten, woher sie ihre Vorräte beziehen sollten», sagt Tothova.
Editiert von Virginie Mangin/ts. Übertragung aus dem Englischen von Michael Heger
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