
Zögerliche Haltung der Kirche zur Apartheid

Die katholische Kirche der Schweiz hat sich lange nur zögerlich mit dem Thema Apartheid in Südafrika befasst. Sie hätte mehr auf die engagierte Basis und weniger auf die Wirtschaftsvertreter hören sollen, heisst es in einem Bericht von Justitia et Pax.
In den 70er- und frühen 80er-Jahren habe in der katholischen Kirche eine «vorsichtige und eher zögerliche Haltung gegenüber dem Thema Südafrika und Apartheid» überwogen. Die Kirchenleitung habe oft mit Abwehr und Verzögerung auf Forderungen reagiert, sich verstärkt gegen die Apartheid zu engagieren, heisst es in der Untersuchung «Die Katholische Kirche in der Schweiz und ihre Haltung zur Apartheid in Südafrika (1970-1990)». Erstellt wurde sie im Auftrag der Nationalkommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz (SBK).
«Die Haltung der Kirchenleitung hat die Verhältnisse in der damaligen Schweizer Gesellschaft widerspiegelt», sagt der Historiker Bruno Soliva, Co-Autor der Studie, gegenüber swissinfo.ch. «Die katholische Kirche war stark im bürgerlichen Milieu verankert, vor allem die Kirchenführung war verbunden mit dem Bürgertum und hat dessen Interessen, zum Teil unbewusst, mitgetragen.»
Ab 1980 habe es zudem eine neue Tendenz in der katholischen Kirche in Richtung mehr Konservativismus gegeben, «auch durch den polnischen Papst Johannes Paul II.», so der Historiker. «Dadurch wurde die Position jener Kreise gestärkt, die in Südafrika einen kommunistischen Umsturz befürchteten.»
Bremserrolle der CVP
Bremsend beim Thema Apartheid habe auch die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) gewirkt, die Boykottmassnahmen gegen Südafrika abgelehnt hat. Ob die Partei Einfluss auf die Kirchenführung genommen habe, sei schwierig nachzuweisen, sagt Soliva. Dazu gebe es weniger schriftliche Quellen als mündliche Aussagen von Zeitzeugen.
«Es gab Treffen zwischen der Kirche und der CVP, aber selten wurde das Thema Südafrika angesprochen. Die politische Mitte in der Schweiz beschäftigte sich nur am Rande mit der Apartheid. Das war einerseits ein Thema für die Sozialdemokraten, die sich für Sanktionen aussprachen, andererseits für den rechten Flügel der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) und der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die Gegner von Sanktionen waren.»
CVP-Parlamentarier seien zwar oft in den Verwaltungsräten von Gross- oder mittleren Banken vertreten gewesen. CVP-Politiker habe es auch im Bankmanagement gegeben, «wobei dort vor allem FDP-Leute waren».
Einfluss der Wirtschaftsvertreter
Bischöfe seien kaum an Wirtschaftsfragen interessiert gewesen, aber von Wirtschaftsvertretern oder von Bundesbeamten im Dienste der Wirtschaft beeinflusst worden, sagt Soliva. «Besonders wirksam konnten Wirtschaftsvertreter auf die katholische Kirche einwirken, wenn sie vor einem kommunistischen Umsturz in Südafrika warnten.»
Doch hätten die Banken- und Wirtschaftsvertreter wahrscheinlich grösseren Einfluss auf die reformierte als auf die katholische Kirche gehabt. «Das hängt damit zusammen, dass in jener Zeit die Unternehmer und Bankenleute eher aus der reformierten Kirche kamen. Die katholische Kirche musste auf Grund ihrer Soziallehre den Neoliberalismus eigentlich ablehnen. Es bestand aber bei beiden Kirchen eher ein Misstrauen gegenüber den Wirtschaftskreisen. Doch wollte man es mit ihnen nicht ganz verderben.»
Die Kirchen als Ganzes seien weniger unter Druck von Wirtschaftsvertretern und rechtsbürgerlichen Kreisen gestanden als die kirchlichen Hilfswerke Fastenopfer (katholisch) und Brot für alle (damals Brot für Brüder, evangelisch), so der Historiker.
Antikommunistisches Umfeld
Das Thema Apartheid in Südafrika sei in einem internationalen antikommunistischen Umfeld diskutiert worden. «Gleichzeitig gab es aber auch einen älteren, ‚philosophischen‘ Antikommunismus, der in der katholischen Kirche weiter gepflegt wurde. Und der in Lateinamerika entstandenen Befreiungstheologie misstraute die Kirchenleitung, die vermutete, sie sei sozialistisch unterwandert», so Soliva.
Gleichzeitig habe sich die Kirche auch der Kritik rechtskonservativer Gruppen gebeugt. «Dabei reagierte sie zwiespältig: Sie vertrat immer die Haltung, dass die Menschenrechte verteidigt werden müssen. Wenn es aber darum ging, mutig an die Öffentlichkeit zu treten und zum Beispiel auch Wirtschaftssanktionen gegen das Apartheidregime zu unterstützen, hatte man Angst vor Konflikten.»
Engagierte Basis
Die katholische Kirchenleitung sei überfordert gewesen, sagt der Historiker. «Man wollte diesen Konflikten ausweichen und hat oft einfach nichts oder zu wenig gemacht. Entscheidenden Anteil daran, dass die Apartheid in kirchlichen Kreisen dennoch ein wichtiges Thema wurde, hatten basiskirchliche Gruppierungen wie zum Beispiel die Jeunesse étudiante chrétienne (JEC) sowie die Arbeitsgruppe Kairos der Theologischen Bewegung für Solidarität und Befreiung.»
Etwas mehr Engagement und Entschiedenheit der schweizerischen katholischen Kirchenleitung bei ihrem Einsatz für die Menschenwürde und die Rechte aller Menschen in Südafrika hätte im Nachhinein betrachtet der Glaubwürdigkeit der katholischen Kirchenleitung in diesen Fragen gedient, betont der Co-Autor des Justitia-et-Pax-Berichtes.
Und die Studie schliesst mit folgender Erkenntnis: «Die Kirchenleitung hätte gut daran getan, wenn sie die Stimmen der engagierten Basis und erfahrener Mitglieder von Missionsgesellschaften früher und ernsthafter zur Kenntnis genommen hätte. Menschenrechtsfragen sprengen stereotype politische Links-Rechts-Schemata, und Rücksichtnahmen laufen Gefahr, von der Geschichte eingeholt zu werden.»
Die im September 2011 erschienene Untersuchung «Die katholische Kirche in der Schweiz und ihre Haltung zur Apartheid in Südafrika (1979-1990)» wurde von den Historikern Bruno Soliva und Stephan Tschirren im Auftrag der Nationalkommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) verfasst.
Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) hatte analoge Studien schon vor einigen Jahren in Auftrag gegeben und danach explizit bedauert, dass er zu lange auf Vermittlung und zu wenig auf Parteinahme gesetzt habe.
Dass bei der katholischen Kirche die Untersuchung des Apartheid-Kapitels erst jüngst erfolgt ist, führt Co-Autor Bruno Soliva «zum Teil auf Zufälle oder personelle Konstellationen bei der Bischofskonferenz oder Justitia et Pax zurück, die eine Aufarbeitung gebremst haben», wie er gegenüber swissinfo.ch sagt.
Bei gesetzlicher Verankerung der Rassentrennung in Südafrika 1950 eröffneten die Schweizer Firmen Ciba (heute Novartis), Roche, BBC (heute ABB) und Schweizerische Bankgesellschaft (SBG, heute UBS) Filialen am Kap.
1956 wurde in Zürich die Vereinigung Schweiz-Südafrika gegründet, die als Handelskammer fungierte.
1960 tötete die Polizei in Sharpeville 69 schwarze Demonstranten. Nach einem Generalstreik wurde die Befreiungsorganisation Afrikanischer National-Kongress ANC verboten.
1963 verhängte die UNO ein Waffenlieferungsverbot an Südafrika. Die Schweiz umging dies.
1964 wurden ANC-Führer Nelson Mandela und weitere Aktivisten zu lebenslanger Haft verurteilt.
1968 gründeten Schweizer Banken einen Pool zum Kauf von südafrikanischem Gold.
Bis Ende der 1980er-Jahre kauften Schweizer Banken südafrikanisches Gold für mindestens 300 Mrd. Franken.
1974 beschränkte der Bundesrat die jährlichen Investitionen in Südafrika auf 250 Mio. Franken (300 Mio. Franken ab 1980). Die Obergrenze wurde regelmässig umgangen.
1976 kamen nach dem Aufstand in Soweto im ganzen Land rund 600 Menschen ums Leben.
1986 unterstützte die Schweiz südafrikanische NGO, die sich für das Ende der Apartheid und Demokratie einsetzten.
1990 hob Pretoria den Bann des ANC auf. Am 11. Februar kam Nelson Mandela frei. Am 8. Juni traf er bei seinem Besuch in der Schweiz den damaligen Schweizer Aussenminister René Felber.
Im April 1994 gewann der ANC die Wahlen überlegen, Mandela wurde erster schwarzer Präsident Südafrikas.

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