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Öko-Terrorismus oder eine Bündner Tragödie im Film

Stromanlagen der Nordostschweizerischen Kraftwerke NOK waren das Ziel von Camenischs Anschlag. Keystone

Ein neuer Dokumentar-Film beleuchtet das Schicksal des einzigen Terroristen der jüngeren Bündner Geschichte: Daniel von Aarburgs "Camenisch - Mit dem Kopf durch die Wand" bildete einen Höhepunkt der 8. Alpinen Kulturtage in Thusis GR.

Marco Camenisch sitzt seit 1991 in einem norditalienischen Hochsicherheits-Gefängnis, weil er bei seiner Verhaftung in der Toscana einen Carrabinieri angeschossen hat. Voraussichtlich in zwei Jahren wird er entlassen und an die Schweiz überstellt, wo er erneut vor Gericht kommen wird. Er wird verdächtigt, in Brusio GR einen Grenzwächter erschossen zu haben.

Der Mann, den die Boulevard-Zeitung «Blick» zum «meistgesuchten Verbrecher der Schweiz» erklärte, ist in Daniel von Aarburgs Film der grosse Abwesende. Zwar konnte der Regisseur mit dem Inhaftierten sprechen und traf auf einen «ungebrochenen, charismatischen und dogmatischen Mann, der von seinen Idealen keinen Millimeter abgewichen zu sein scheint». Drehen durfte von Aarburg indes nicht.

Schriftsteller Huonder als Erzähler

In den 87 Minuten des Films kommt Camenisch deshalb nie direkt zu Wort. Sein Schicksal wird vielmehr von drei Protagonisten beleuchtet. Silvio Huonder, der 47-jährige Bündner Schriftsteller, der in Berlin lebt und als Kantonsschüler mit Camenisch in einem Churer Reitstall gearbeitet hat, tritt als Erzähler auf. Huonders Reise zum Zweck der Recherche der Geschichte bildet die Grundstruktur des Films.

René G. Moser half dem «Öko-Terroristen» 1979, Stromanlagen in die Luft zu jagen. Er hat seine Strafe abgesessen und im Gefängnis seine jenischen Wurzeln wieder entdeckt. Moser nimmt mit seiner humorvollen und versöhnlichen Art, mit der er das Geschehene schildert, Aarburgs Streifen viel von der immensen Tragik, die der Geschichte anhaftet.

Beeindruckende Mutter

Annaberta Camenisch, die Mutter des mutmasslichen Mörders, die trotz allem zu ihrem Sohn hält und zwei Mal pro Monat zehn Stunden Zug fährt, um ihn kurz sehen zu können, ist die dritte zentrale Figur des Films. Ihre einfachen Worte bewegen, und ihre Unerschütterlichkeit berührt.

Der Film zeigt auf, dass es keine schlüssigen Antworten auf die Frage gibt, was Camenisch zum Schwerverbrecher machte, während andere, die in den siebziger Jahren ähnliche Ideen im Kopf hatten, heute Stützen der Gesellschaft sind.

Exempel statuiert

Doch es wird klar, dass die drakonische Strafe von zehn Jahren, mit der die Bündner Justiz während der Zeit der Jugendunruhen an Camenisch ein Exempel statuierte, die schlimmste Zäsur in seinem Leben gewesen sein muss.

«Camenisch – Mit dem Kopf durch die Wand» wurde als Dokumentar-Film für das Fernsehen DRS produziert und am Mittwochabend (22.08.) als regionale Vorpremiere in Thusis gezeigt. Das Kino steht denn auch im Mittelpunkt der 8. Alpinen Kulturtage, die noch bis am Sonntag dauern.

Gezeigt wird ein Querschnitt aus Filmen, denen die Alpen als dramatische Kulisse dienten. Allein in den Bündner Südtälern sind in den letzten 100 Jahren mehr als 500 Filme gedreht worden.

swissinfo und Ueli Handschin (sda)

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