Europa-Skeptiker wird neuer Bundespräsident

Bundesrat Ueli Maurer übernimmt im kommenden Jahr das Bundespräsidium. Die Bundesversammlung hat den 62-jährigen Verteidigungsminister mit 148 von 202 gültigen Stimmen gewählt. Der neue Bundespräsident stellt Europa kein gutes Zeugnis aus.
Der Bundesrat der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) Ueli Maurer ist bekannt als Verfechter der «Schweizer Tugendenden». Die Europäische Union hingegen sieht er in einem schlechten Zustand. Sie habe «ihren Höhepunkt überschritten» und «stark an Glaubwürdigkeit verloren», sagte Maurer kürzlich gegenüber der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit». In der Schweiz wolle «niemand mehr, der noch alle Tassen im Schrank hat, in die EU», sagte Maurer.
Maurer riet der EU, sich an der Schweiz zu orientieren: «Wir sind die beste Volkswirtschaft der Welt, die Leute bewundern unsere Demokratie, wir sind ein Land mit vielen Tugenden», empfahl der rechtskonservative Politiker seine alpenländische Heimat. «Wir sind eigentlich das Zukunftsmodell».
Wenig Auslandreisen
Diverse Reisen ins Ausland will Ueli Maurer Aussenminister Didier Burkhalter überlassen. Dieser wird 2014 das Präsidium übernehmen und kann so während zweier Jahre intensive Auslandkontakte pflegen. Diese Abmachung unter den beiden Regierungsvertretern hatte Schweizer Radio DRS am Dienstag bekannt gemacht.
«Wir leiden etwas unter dem Nachteil, dass wir jedes Jahr das Präsidium wechseln müssen», sagte Maurer. Wenn sie in den Aussenbeziehungen etwas Kontinuität erzielen könnten, dann sei das sinnvoll.
Ganz verzichten auf Auslandreisen will Bundespräsident Ueli Maurer dennoch nicht: «Wenn es den Präsidenten braucht, dann werde ich selbstverständlich gerne reisen, mich präsentieren und die Schweiz vertreten.»
Maurer hatte bereits im November Westschweizer Tageszeitungen angekündigt, dass vorwiegend Aussenminister Burkhalter die Schweiz im Ausland repräsentieren werde.
Mit Repräsentationspflichten hat Maurer – wie er selber gesteht – seine liebe Mühe. «All das Förmliche ist mir persönlich sehr unangenehm», hatte er in einem Interview nach seiner Wahl in den Bundesrat gesagt.
Mit steifen Empfängen ist es indes nicht getan: Als Bundespräsident muss Maurer das Gremium leiten und zusammenhalten, was für einen SVP-Vertreter, der stets mit einem Bein in der Opposition steht und im Bundesrat oft isoliert ist, eine besondere Herausforderung darstellt.
Vor schwierigem Jahr
In Maurers Präsidialjahr fallen Entscheide, von welchen sein Erfolg oder Misserfolg als Verteidigungsminister abhängt. National- und Ständerat werden über den Kauf der umstrittenen Gripen-Kampfjets entscheiden.
Die Diskussion über das heikle neue Nachrichtendienstgesetz wird beginnen, und die Resultate der Untersuchung zum peinlichen Datendiebstahl im Nachrichtendienst werden vorliegen. Im Gegenwind steht Maurer auch mit seinen Plänen, Olympische Winterspiele in die Schweiz zu holen.
Der Spagat zwischen den Ansprüchen seiner Partei und jenen seines Amtes gelang Maurer bisher allerdings erstaunlich gut. Rasch und ohne Nebengeräusche vollzog er den Rollenwechsel vom Scharfmacher, den er als Parteipräsident gegeben hatte, zum Staatsmann.
Anders als Christoph Blocher sah er sich nur selten mit dem Vorwurf konfrontiert, in der Regierung nicht konstruktiv mitzuarbeiten. Anders als Samuel Schmid ging er aber auch nicht auf Distanz zur Partei. Er bemühte sich vielmehr darum, deren Ansprüche zu erfüllen, gerade in symbolträchtigen Momenten wie der Wiederwahl von Eveline Widmer-Schlumpf.
Statt im Bundesratszimmer verfolgte Maurer die Wahl mit seinen Parteikollegen – und schimpfte vor den Kameras über die Missachtung der SVP-Ansprüche. Auch beteuerte der Magistrat immer wieder, er verstehe sich im Bundesrat als «Instrument, um die Politik der SVP durchzusetzen».
Dennoch schwand in letzter Zeit sein Rückhalt in der Partei. Für den Entscheid, Kampfflugzeuge des Typs Gripen zu kaufen, wird Maurer von rechtsbürgerlicher Seite nicht minder kritisiert als von linker.
Zum Wortführer der Gripen-Kritiker wurde denn auch ein Parteikollege, Nationalrat und Pilot Thomas Hurter. Die von ihm präsidierte Subkommission kam zum Schluss, dass sich der Bundesrat für das Flugzeug mit den grössten Risiken entschieden habe.
Maurer erwies sich bisher aber als geschickter Stratege: Am Ende dürfte ihm das Kunststück gelingen, in Zeiten knapper Ressourcen für die Armee mehr Geld herauszuholen als heute zur Verfügung steht.
Mehr als «Blochers Gehilfe»
Zuweilen treibt Maurer ein Verwirrspiel um seine Absichten. Manche sehen auch darin eine Taktik – und einen Beweis dafür, dass Maurer, der früher oft als Gehilfe Blochers belächelt worden war, niemals unterschätzt werden sollte.
Seine Karriere gestartet hatte Maurer in Hinwil im Zürcher Oberland. Er wuchs dort auf einem Bauernhof auf, absolvierte die kaufmännische Lehre, erwarb das Buchhalterdiplom und wurde 1974 Geschäftsführer der Landwirtschaftlichen Genossenschaft, bevor er 1994 Geschäftsführer des Zürcher Bauernverbandes wurde.
Parallel dazu trieb der Vater von sechs Kindern seine Karriere als Politiker voran. Diese brachte ihn in den Gemeinderat von Hinwil (1978-1986), den Zürcher Kantonsrat (1983-1991), den Nationalrat (1991-2008), den Bundesrat (seit 2009) und nun im Alter von 62 Jahren ins Amt des Bundespräsidenten. Gescheitert war Maurer 1991 mit seiner Kandidatur für den Zürcher Regierungsrat.
Mit 148 von 202 gültigen Stimmen machte Ueli Maurer das drittschlechteste Resultat der letzten Jahrzehnte.
Das schlechteste Ergebnis seit Einführung des Proporzwahlsystems im Jahr 1919 hatte Micheline Calmy-Rey (SP) bei ihrer Wahl zur Bundespräsidentin 2011 erzielt. Sie kam lediglich auf 106 Stimmen.
Schon bei ihrer ersten Wahl ins Präsidium vier Jahre vorher war sie nur auf 147 Stimmen gekommen. 148 Stimmen – wie Maurer – erhielt bei der Wahl 1967 Willy Spühler (SP), dies allerdings bei einem absoluten Mehr von 88 Stimmen.
Vor Calmy-Rey hatte Edmund Schulthess (FDP) den Negativrekord gehalten. Er wurde mit 136 Stimmen zum Bundespräsidenten für 1921 bestimmt. Das absolute Mehr lag bei 83 Stimmen.
Marcel Pilet-Golaz (FDP) kam bei seiner ersten Wahl zum Bundespräsidenten im Jahr 1933 auf 137 Stimmen, bei einem absoluten Mehr von 77 Stimmen.
Calmy-Rey war nicht die einzige Präsidentin, die in den letzten Jahren ein schlechtes Resultat eingefahren hatte. Doris Leuthard (CVP) erhielt 2009 158 Stimmen. Glanzlos gewählt wurden in den vergangenen Jahren auch Moritz Leuenberger (SP) und Ruth Dreifuss (SP).
Spitzenresultate mit über 200 Stimmen erzielten dagegen Jean-Pascal Delamuraz (FDP), Hans Hürlimann (CVP) sowie Willi Ritschard (SP) und Hans-Peter Tschudi (SP).
(Quelle sda)
Zum Vizepräsidenten bestimmte die Bundesversammlung Didier Burkhalter.
Der amtierende Aussenminister machte mit 205 von 219 gültigen Stimmen ein glanzvolles Resultat.
Die Vereinigte Bundes-Versammlung wählt jedes Jahr während der Wintersession aus den sieben Bundesräten den Bundes-Präsidenten sowie den Vizepräsidenten des Bundesrates.
Dieses Jahr finden die Wahlen am 5. Dezember statt.
Ein neues Bundesratsmitglied wird zuerst zum Vizepräsidenten und anschliessend zum Bundespräsidenten gewählt.
Bundesrat Maurer ist 2012 Vizepräsident und wird 2013 Präsident sein. Vizepräsident 2013 wird Bundesrat Didier Burkhalter.

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