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Der Schweiz droht eine weitere Steuerrevolution

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Laut der Europäischen Kommission werden die Gewinne von Web-Giganten in mehreren europäischen Ländern mit Sätzen unter 10% besteuert, während andere Unternehmen durchschnittlich mit Sätzen über 20% besteuert werden. Keystone / Stefan Rousseau

Kaum sind die neuen internationalen Standards eingeführt worden, mit denen zahlreiche Lücken in der Unternehmensbesteuerung geschlossen werden sollen, zeichnet sich eine weitere Steuerrevolution von internationaler Tragweite ab. Im Visier des jüngsten G20-Projekts stehen vor allem die Tech-Giganten. Doch auch der Schweiz könnten erhebliche Nachteile erwachsen.

Die Finanzkrise von 2008 hatte schwerwiegende Folgen für die Weltwirtschaft. Sie hat aber auch entscheidend dazu beigetragen, dass eine neue Ära der internationalen Zusammenarbeit und Steuertransparenz eingeläutet wurde.

Unter dem Druck enormer Finanzhilfen zur Bankenrettung und Konjunkturbelebung haben die internationalen Wirtschaftsmächte den Entschluss gefasst, globale Regeln zu erlassen, mit denen die von Unternehmen und natürlichen Personen eingesetzten Strategien und Täuschungsmanöver zur Steuerhinterziehung und Steuerumgehung effizient bekämpft werden können.

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Auf Drängen der G20 (Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) sowie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) sind in den letzten Jahren zwei bedeutende internationale Reformen eingeführt worden, die zum automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten und zu einer neuen Regelung der Besteuerung von transnationalen Unternehmen geführt haben.

Um keine Sanktionen zu gewärtigen, musste die Schweiz sich ihrerseits den neuen internationalen Standards anpassen, die das Ende des Bankgeheimnisses gegenüber dem Ausland wie auch der Steuerprivilegien für ausländische Unternehmen besiegelten. Diese Anpassungen haben in den vergangenen Jahren zu heftigem Widerstand und einem langwierigen Gesetzgebungsverfahren geführt.

Sie könnten indes schon bald, zumindest teilweise, überholt sein: Die G20-Staaten und die OECD beabsichtigen, ein neues Übereinkommen abzuschliessen, wodurch das bestehende System der Unternehmensbesteuerung bis Ende 2020 gekippt würde.

Welche globalen Standards gelten heute?

Die aktuellen Standards basieren auf dem Projekt BEPSExterner Link (“Base Erosion and Profit Shifting”), das 2014 von der OECD präsentiert wurde. Ziel des Projekts ist, Steuerstrategien zu unterbinden, mit denen zahlreiche transnationale Unternehmen Gewinne, die sie in den Ländern, in denen sie operativ tätig sind, “verschwinden” lassen, in Länder mit tiefer Steuerbelastung transferieren, in denen sie lediglich Steuer- oder Verwaltungssitze unterhalten.

Die OECD hat über 400 Steuerpraktiken festgestellt, mit denen transnationale Unternehmen den Fiskus auszutricksen versuchen. Durch diese Praktiken entgehen den Mitgliedstaaten nicht nur jährlich bis zu 240 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen, sie haben auch dazu beigetragen, den Steuerwettbewerb zwischen den Staaten anzuheizen. Dies etwa durch so genannt “präferenzielle Steuerregimes” für ausländische Firmen oder eine Senkung des Gewinnsteuersatzes.

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2015 haben die G20-Staaten dem von der OECD präsentierten Aktionsplan zugestimmt, der bis Jahresende von mehr als hundert Ländern übernommen werden sollte. Der Plan beruht auf 15 Punkten, mit denen besonders als “schädlich” geltende Steuerregimes verboten und die Unternehmen dazu gezwungen werden sollen, in jenen Ländern Steuern zu bezahlen, in denen sie tatsächlich operativ tätig sind. Der oberste Grundsatz des BEPS-Projekts lautet denn auch, dass die Besteuerung dort erfolgen soll, wo Gewinne erzielt werden.

Um die Effektivität dieser Massnahmen zu gewährleisten, sehen die neuen BEPS-Bestimmungen auch den automatischen Austausch länderspezifischer Berichte unter den beteiligten Ländern vor. Dadurch wird ein Gesamtüberblick über die weltweite Verteilung der Gewinne multinationaler Unternehmen, die von ihnen entrichteten Steuern und ihre effektiven Aktivitäten in den verschiedenen Ländern möglich.

Weshalb eine Reform der globalen Standards?

Die BEPS-Initiative sollte zu einer gewissen Harmonisierung des internationalen Steuerrechts und der Schliessung zahlreicher Rechtslücken führen, die sich namentlich grosse transnationale Unternehmen zunutze machen. Vor allem aber hat sich in den vergangenen zehn Jahren die Digitalisierung derart beschleunigt, dass aus steuerlicher Sicht neue Herausforderungen entstanden sind.

Radikale Modernisierung

Das BEPS-Projekt gilt als bedeutendster Modernisierungsplan des internationalen Steuerwesens seit hundert Jahren. Die ab 1923 im Rahmen des Völkerbundes ausgearbeiteten Bestimmungen des internationalen Steuerrechts sind seither nur punktuell modifiziert worden.

Die Anpassungen vermochten jedoch mit dem starken Wirtschaftswachstum – besonders der letzten Jahrzehnte – und den grenzüberschreitenden Unternehmensaktivitäten nicht länger Schritt zu halten, weshalb zahlreiche Unternehmen die bestehenden Rechtslücken nutzten, um ihre Steuern zu “optimieren”.

Während es in der traditionellen Wirtschaft relativ einfach ist, festzustellen, wo Firmen physisch Waren und Dienstleistungen produzieren, lässt sich im Fall der neuen Webgiganten – wie Google, Amazon oder Facebook – um einiges schwerer ermitteln, in welchem Land ein Mehrwert geschaffen und Gewinne erwirtschaftet werden.

Neben der Dematerialisierung der Produktion trägt auch der E-Commerce-Boom mit seinen sich vervielfachenden Warenbewegungen und Transaktionen dazu bei, die Bereitschaft zu einer gerechteren Besteuerung der Multis zu reduzieren.

Welche Bestrebungen verfolgen G20 und OECD?

Angesichts der neuen – bereits im BEPS-Aktionsplan erwähnten – Herausforderungen durch die digitale Wirtschaft möchten die G20 und die OECD erreichen, dass ein System der Unternehmensbesteuerung umgesetzt wird, das einer eigentlichen Revolution gleichkäme. Das Ende Mai von den Finanzministern der G20-Staaten in Fukuoka (Japan) angenommene Arbeitsprogramm beruht auf zwei Pfeilern.

Mit dem ersten wird eine Besteuerung angestrebt, die auf jene Länder verteilt wird, in denen Firmen ihre Güter und Dienstleistungen verkaufen, unabhängig davon, ob sie physisch präsent sind oder nicht. Ein Paradigmenwechsel von historischem Ausmass.

Der zweite Grundpfeiler besteht in der Anwendung einer Mindeststeuerquote für Unternehmen weltweit, wodurch verhindert würde, dass Gewinne in Steuerparadiesen deklariert werden.

Die OECD hofft, im Januar 2020 einen Entwurf zum Schlussübereinkommen vorlegen zu können. Allerdings lösen gewisse Punkte schon jetzt Fragen und Differenzen aus, allen voran der Mindeststeuersatz. Während einige Beobachter der Meinung sind, der Plan begünstige die Wirtschaftsmächte, die allgemein über einen grösseren Markt verfügen, würde er aus der Sicht anderer zu einer gerechteren Besteuerung führen, bei der auch arme Länder von den Steuerrezepten der Multis profitieren.

Mit welchen Folgen für die Schweiz?

Das Schweizer Volk hat erst im vergangenen Mai eine komplexe Reform der Unternehmensbesteuerung angenommen, die namentlich dazu dienen soll, die nationale Regelung an die neuen OECD-Standards anzupassen. Demnach werden Steuerprivilegien gegenüber Holdings und anderen ausländischen Unternehmen abgeschafft, die lediglich einen Steuer- oder Verwaltungssitz in der Schweiz haben.

Um eine Abwanderung dieser Unternehmen zu verhindern, haben fast alle Kantone bereits eine Senkung ihrer Steuersätze beschlossen oder eine solche zumindest vorgesehen, wobei die entsprechenden Reduktionen künftig auf alle Unternehmen ausgedehnt werden sollen. Schon heute gehört die Schweiz zu den Ländern mit den international wettbewerbsfähigsten Steuersätzen.

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Ausser mit einem günstigen steuerlichen Umfeld kann unser Land mit verschiedenen weiteren attraktiven Rahmenbedingungen für ausländische Unternehmen aufwarten. Die neuen G20- und OECD-Projekte könnten die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz allerdings empfindlich schwächen.

Mit einer marktbasierten Besteuerung und der Einführung von Mindestsätzen für die Gewinnsteuer hätten viele transnationale Unternehmen kein grosses Interesse mehr daran, in der Schweiz zu bleiben oder sich hier niederzulassen.

Der Vorsteher des Eidgenössischen Finanzdepartements, Ueli Maurer, warnte überdies vergangene Woche, die neue internationale Steuerharmonisierung werde mit hohem Tempo vorangetrieben. “Es ist bereits von einer Umsetzung ab 2021 die Rede, was unser Steuersystem auf den Kopf stellen könnte.” Laut dem obersten Kassenwart des Bundes könnten der Schweiz dadurch schon in naher Zukunft Steuereinnahmen in Milliardenhöhe entgehen.

(Übertragung aus dem Italienischen: Cornelia Schlegel)

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