Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Umgangston besser, Familiensupport schlechter

zvg

Rückkehrer nach Deutschland verlassen die Schweiz oft mit gemischten Gefühlen. Den Ausschlag geben nicht selten private Gründe. Auch die fehlende Familienunterstützung wirkt sich nachteilig aus.

Sehr viele Deutsche kommen, besonders seit Einführung des freien Personenverkehrs, in die Schweiz. Über die spricht man viel mehr als über jene, die nach Deutschland zurückkehren.

Ihre Zahl wird leicht unterschätzt. Allein 2007 waren es rund 10’000. Wieder in Deutschland zuhause, merken diese Rückkehrer, dass der Rhythmus dort schneller und das Leben günstiger, der Umgang dafür kühler ist als in der Schweiz.

Rückkehrer, die eine Familie zu ernähren haben, bemängeln die Unterschiede im Schweizer Angebot der Kinderbetreuung gegenüber Deutschland. Dieser Standortnachteil der Schweiz könne nicht immer durch die tiefere Steuerbelastung wettgemacht werden.

Beispiel Ralf Bielack: Er arbeitete in der Schweiz für ABB im Kraftwerkbau. Beim ersten Aufenthalt in der Schweiz war er noch Single, beim zweiten jedoch hatte er Frau und Kinder mitzuernähren – womit ganz neue, familienbedingte Probleme auf ihn zukamen.

“Das Angebot rund um die Kinderbetreuung ist in der Schweiz derart teuer, dass man nach Standort-Alternativen auszuschauen beginnt”, sagt Bielack, Vater von Drillingen. “Erstens gibt’s öffentliche Kindergärten erst ab 5 Jahren, und zweitens sind sie pro Tag zeitlich sehr begrenzt.”

Unbezahlbare Kinderbetreuung

“Krippenbetreuung und Ganztagesplatz wurden mir in der Schweiz für rund 1500 Franken monatlich fürs erste Kind angeboten.” Bei drei Kindern hätte das trotz Preisnachlässen fast 4000 Franken ausgemacht. Es gebe wenig Alternativen zu diesen Angeboten – zumindest habe er keine gefunden. Denn auch Tagesmütter seien nicht billig.

Dies bewog ihn schliesslich zu einer Rückkehr nach Deutschland. In Nordrhein-Westfalen, wo Bielack jetzt lebt, kostet ihn das erste Kind 300 Franken pro Monat, und zwar bei einer täglichen Betreuung von morgens früh bis 14 Uhr. Die beiden weiteren Kinder werden gratis betreut. “Das belässt einem in Deutschland beträchtlich mehr verfügbares Einkommen, obschon die Steuerbelastung viel höher ist.”

Dazu komme, dass seine brasilianische Frau gern “ordentlich Deutsch” gelernt hätte. In der Deutschschweiz sei dies für eine Ausländerin, die sich als Mutter auch noch um drei Kinder kümmert, zeitlich nur schwer möglich.

Um später, wenn die Kinder etwas grösser sind, einen Wiedereinstiegs-Job zu finden, braucht es anständige Deutsch-Kenntnisse. In der Schweiz biete zwar der Arbeitsmarkt für Frauen mehr als in Deutschland. Dem stehe aber eine viel aufwändigere Organisation des Familien-Alltags in der Schweiz gegenüber.

Im internationalen Standort-Wettbewerb wirbt die Schweiz traditionell mit ihren tiefen Steuern und verspricht hohe Lebensqualität. “Das stimmt sicher für Singles oder noch mehr für Senioren”, sagt Bielack. “Mit Familie und Kindern jedoch vermindert sich die Attraktivität der Schweiz rasant.”

Deutsche machen sich Illusionen

Dazu gehören auch die weiterhin höheren Lebenshaltungskosten als in Deutschland: Bei Gütern des täglichen Bedarfs falle das weniger ins Gewicht als beim Wohnraum, von dem Bielack mit drei Kindern viel mehr benötigt als kinderlose Ehepaare oder Singles.

Dass somit die Einkommen, über die letztlich noch verfügt wird, in der Schweiz und in Deutschland viel näher beieinander liegen als allgemein angenommen, bestätigt auch Konrad Mrusek.

Der ehemalige Schweiz-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) lebt seit einigen Monaten wieder in Berlin. “Viele Deutsche machen sich Illusionen, wenn sie in die Schweiz ziehen”, sagt er. “Sie sehen nur die niedrigeren Steuern und vergessen die hohen Lebenshaltungskosten.”

Für ihn als Rückkehrer habe es schon eine gewisse Zeit gebraucht, sich wieder an die deutschen, “gröberen” Umgangsformen zu gewöhnen. Das Zusammenleben in der Schweiz sei weniger anonym, obschon es auch in der Schweiz grosse Städte gebe.

“Die Schweiz hat sich trotz der Modernisierung in Vielem noch traditionellere Lebensformen bewahrt, die einfach langsamer sind als die modernen.”

Weniger die Faust im Sack

Dafür müsse man sich auch wieder daran gewöhnen, dass sich die Mitmenschen in Deutschland weniger zurückhaltend geben als in der Schweiz: “Besonders die Berliner wollen es wissen.” Für Mrusek zumindest ist dies angenehmer: “In Deutschland ballen die Leute weniger die Faust im Sack als in der Schweiz, sondern sie kommen gleich raus mit der Sache.”

Rückblickend falle ihm auch auf, wie viel unbefangener und weniger geduckt die ausländischen Gastarbeiter in Deutschland auftreten: “Die Deutschen verlangen offenbar schon aus historischen Gründen weniger Assimilierung als die Schweizer.”

Sowohl Mrusek wie Bielack betonen, dass Deutschland nicht gleich Deutschland sei: “Die alemannischen Gemeinsamkeiten im Süden finden sich im preussischen Berlin kaum noch”, sagt Mrusek.

Auch Bielack fühlt sich in Deutschland nicht automatisch überall zu Hause. “Ostdeutschland wäre mir fremd, und auch mein jetziger Wohnort im Westen des Landes ist neu für mich.”

swissinfo, Alexander Künzle

Ralph Bielack, 44 Jahre alt, mit einer Brasilianerin verheiratet und Vater von Drillingen, ist Spezialist für Kraftwerkbau.

Er arbeitete in der Schweiz zuerst für ABB, die dann im Jahr 2000 den Geschäftsbereich Kraftwerke an Alstom verkauft hat. Jetzt in Deutschland arbeitet er für den Stromerzeuger RWE.

Sein erster Schweiz-Aufenthalt dauerte 3 Jahre, dann ging er 6 Jahre nach Brasilien und kam nochmals für 4 Jahre in die Schweiz zurück.

Konrad Mrusek, 58, verbrachte 16 Jahre in der Schweiz. Der Schweiz-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und profunde Landeskenner berichtete in Deutschland nicht nur über Politik und Wirtschaft in der Schweiz, sondern auch über Kultur und die eidgenössische Lebensweise.

Seit bald einem Jahr arbeitet Mrusek in der Hauptstadt-Redaktion der FAZ in Berlin.

Mehr als 200’000, oder 12,9% aller Ausländer in der Schweiz stammen aus Deutschland.

Allein 2007 kamen 40’000 Deutsche in die Schweiz. Etwa 10’000 verliessen im gleichen Jahr das Land wieder.

Für Deutsche ist die Schweiz in den letzten Jahren zum beliebtesten Auswanderungsziel geworden.

Es gibt einen weiteren politischen Unterschied, ob man als EU-Bürger Ausländer in der Schweiz oder in einem EU-Land ist:

In der Schweiz hat ein Ausländer mit Ausnahmen auf Gemeindeebene, also dort wo er seine Steuern zahlt, politisch nichts zu sagen.

In der EU hingegen dürfen mittlerweilen zugezogene EU-Bürger, auch wenn sie Ausländer sind, auf kommunaler Ebene mitbestimmen.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft