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Swissair-Grounding: ein schwer verdaubarer Brocken

Kein Treibstoff mehr: Swissair-Flugzeuge am 2. Oktober 2001 in Kloten. Keystone

Das Grounding des Nationalstolzes Swissair vor zehn Jahren war ein gewaltiger Schock. Strafrechtlich hatte das Debakel für die Verwaltungsräte und das Management keine Folgen. Hängig ist allerdings noch eine 3 Milliarden schwere Schadenersatzklage.

Die Tage davor waren chaotisch. Das Drama zeichnete sich seit Monaten ab. Doch niemand glaubte daran, dass es soweit kommen würde.

Am Nachmittag des 2. Oktobers 2001 blieben die Swissair-Maschinen jedoch am Boden. Der Nationalstolz hatte kein Geld mehr, um so profane Dinge wie Flughafentaxen zu bezahlen oder Kerosin zu kaufen.

39’000 Passagiere sassen fest. Der Reputationsschaden war enorm. Bis heute schieben sich die damaligen Verantwortlichen gegenseitig die Schuld am Debakel zu.

“Im Fall der UBS hat man alles getan, um die Gruppe als Ganzes zu retten, und im Fall der  Swissair hat man im entscheidenden Moment nichts gemacht”, sagte kürzlich der letzte Swissair-Konzernchef, Mario Corti, in einer TV-Sendung.

Corti kritisiert die Grossbanken und die Eidgenossenschaft, sie hätten die Zahlungsunfähigkeit  nicht verhindert. Seine Gegenspieler sagen, Corti und mit ihm dem gesamten Verwaltungsrat habe der Überblick gefehlt.

“Es war von Anfang an klar, dass für die alte Swissair  jede Hilfe zu spät kommt”, erklärte der damalige UBS Verwaltungsratspräsident Marcel Ospel bereits wenige Tage nach dem Grounding.

Lehren aus dem Debakel

“To big too fail” war damals noch kein Begriff. Sieben Jahre später – im Herbst 2008 hat der Bundesrat  mit Berufung auf das Notrecht  der serbelnden Grossbank UBS mit einer Anleihe über 6 Milliarden Franken unter die Arme gegriffen und sie vor dem Konkurs und den Schweizer Finanzplatz vor dem Schlimmsten gerettet.

Ohne das Grounding der Swissair wäre es möglicherweise anders gekommen. “Ich wusste, dass ich in so einer Krisensituation rechtzeitig den Kontakt mit dem Finanzdepartement suchen muss. Als es eng wurde, erhielten alle zuständigen Bundesräte laufend die notwendigen Informationen”, sagte Peter Kurer, der damalige UBS-Präsident der NZZ am Sonntag.

 Als die UBS im Herbst 2001 der Swissair den Kredit verweigerte, war Kurer Chefjurist bei der UBS und massgebend an den Verhandlungen beteiligt.

17 Milliarden Schulden

Die Bilder der gestrandeten Flugzeuge verbreiteten sich am 2. Oktober 2001 schlagartig rund um die Welt. Die “fliegende Bank”, wie die Swissair wegen ihrer hohen Liquidität, ebensolchen Renditen, ihrem ausgezeichneten Ruf im Kerngeschäft und starken Standbeinen im Catering-  und im Duty-Free-Geschäft einst stolz genannt wurde, war am Ende.

Am Tag danach tat der Bundesrat das, was er zwei Tage zuvor noch abgelehnt hatte: Er sprach einen Notkredit von 450 Millionen Franken und stellte der Swissair damit die nötigen Mittel zur Verfügung, um den Flugbetrieb wieder aufnehmen zu können.

In der Folge reichte die SAirGroup unter dem Druck einer Schuldenlast von 17 Milliarden Franken die Nachlass-Stundung ein. Der Flugbetrieb der Swissair muss stark reduziert werden.

Gewinne erst als Tochtergesellschaft

Nach einer Zusammenführung mit der Regionalfluggesellschaft  Crossair nahm die Nachfolgegesellschaft Swiss am 31. März 2002 den Betrieb auf. Bund und Banken pumpten zusammen mehr als 3 Milliarden in den komplexen und an Wirren reichen Umbau des Unternehmens. 1,7 Milliarden stammten aus Steuergeldern.

Dennoch schaffte es die Swiss nie auf die anvisierte Flughöhe. Die Turbulenzen waren zu gross, das wirtschaftliche Umfeld zu wacklig. Als sie im Frühjahr 2005 von der deutschen Lufthansa übernommen wurde, war sie gerade noch 340 Millionen Franken Wert. Inzwischen fliegt die Tochtergesellschaft wieder satte Gewinne ein.

Milliardenklage hängig

Noch nicht ausgestanden ist das Debakel für die ehemaligen Verwaltungsräte und das Management der Swissair. Gegen sie ist eine Schadenersatzklage des Swissair-Liquidators Karl Wüthrich im Umfang von insgesamt drei Milliarden Franken hängig.

Zurzeit ist nicht klar, ob die Verantwortlichen dereinst mit ihrem Privatvermögen für den Schaden haften werden oder nicht. Offen ist laut Wüthrich zudem, ob es zu einem Gerichtsprozess kommen oder eine Lösung in einem aussergerichtlichen Vergleichsverfahren geben wird.

Strafrechtlich ist das Ende der Swissair seit bald fünf Jahren abgeschlossen. Im Juni 2007 sprach das Bezirksgericht Bülach alle 19 Angeklagten – darunter ein beträchtlicher Teil der einstigen Schweizer Wirtschaftsprominenz – von sämtlichen Vorwürfen frei.

Die schweizerische Öffentlichkeit und die Anklage musste einsehen, dass unternehmerische Fehlentscheide und Missmanagement strafrechtlich nicht belangt werden können.

Swiss International Air Lines AG wurde nach dem Konkurs des Schweizer National Carriers Swissair mit den Restbeständen der Crossair im März 2002 gegründet, nach dem Swissair-Grounding im Oktober 2001.

Bis 2005 kumulierte die Swiss einen Verlust von rund 1,5 Mrd. Franken und erhielt Bundesgelder. Es standen drei Optionen zur Verfügung: Als Nischen-Airline unabhängig zu bleiben; unbedeutend zu werden oder sich einer grossen Gesellschaft anzuschliessen.

Man entschied sich für die letztere Version und suchte Anschluss bei Air France-KLM, British Airways und Lufthansa. Doch die Swiss erschien nicht als ein lohnendes Investment.

Lufthansa wäre bereit gewesen, aber das Schweizer Volk nicht. Nach 1 Jahr Diskussionen schloss sich Swiss im Juni 2004 Oneworld an, der Allianz von British Airways.

Im März 2005 startete die Lufthansa Gruppe mit einer Swiss-Beteiligung von 11%.

2006 flog Swiss erstmals wieder einen Gewinn von 220 Mio. Dollar ein, 2007 570 Mio. Dollar. Swiss flog mit einer kleinen Kapazität wieder dieselbe Anzahl Passagiere wie 2002.

Im Juli 2007 wurde die Übernahme beendet, und Swiss wurde Teil der Star Alliance.

  

Die Marke “Swiss” ist unter Flugreisenden hoch geachtet (Qualitäts-Airline, Verkörperung typischer Schweizer Werte wie “Qualität bis ins Detail” etc.).

Das 2002 zum Neustart kreierte Logo vom kanadischen Designer Tyler Brûlé (“Swiss Würfel”) soll ab Oktober durch ein neues ersetzt werden, das eher an das alte Swissair-Logo erinnert (Schweizer Kreuz in Form einer Flugzeug-Heckflosse).

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