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Deiss warnt vor Krise bei Abstimmungsflop

Bundesrat Deiss warnt vor den Folgen eines "Nein" zum freien Personenverkehr. swissinfo.ch

Bundesrat Deiss ist besorgt, dass die Ablehnung der erweiterten Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union zu einer Krise führen könnte.

Dies erklärte Wirtschaftsminister Joseph Deiss im Vorfeld der Abstimmung vom 25. September gegenüber swissinfo.

Das Abkommen regelt die schrittweise Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes für die 75 Millionen Bürgerinnen und Bürger aus den vornehmlich osteuropäischen Staaten. Andererseits können Arbeitskräfte aus der Schweiz ohne Einschränkung auf Stellensuche in der ganzen EU gehen.

Es ist bereits die zweite Abstimmung in diesem Jahr zum Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU. Im Juni wurde das Abkommen über die verstärkte Zusammenarbeit in Polizei- und Asylfragen angenommen.

swissinfo: Welche Bedeutung messen Sie dem Abkommen über die Personenfreizügigkeit bei?

Joseph Deiss: Die Ausweitung des Abkommens auf die neuen EU-Staaten erlaubt es, das bestehende Vertragswerk mit dem wichtigsten Schweizer Wirtschaftspartner weiter auszubauen.

Ein Ja würde helfen, Arbeitsplätze in der Schweiz zu sichern und unser Land für ausländische Investoren und Schweizer Firmen attraktiv zu gestalten.

swissinfo: Im Juni stimmte die Schweiz über eine engere Zusammenarbeit mit der EU in Sachen Asyl und Polizei ab. Jetzt geht es um Arbeitsbewilligungen. Wo steht mehr auf dem Spiel?

J.D.: Vergleiche dieser Art sind immer leicht problematisch. In der Abstimmung von Juni ging es ausschliesslich um Sachbereiche.

Das Freizügigkeitsabkommen ist jedoch direkt mit sechs weiteren Verträgen verknüpft, welche die Schweiz 1999 mit Brüssel ausgehandelt hatte. Somit stehen auch Abmachungen zum Beispiel im Bereich Verkehr, Landwirtschaft und Forschung auf dem Spiel.

Falls die Ausdehnung des Abkommen über die Personenfreizügigkeit abgelehnt wird, ist unsere Politik der bilateralen Verträge mit der EU gefährdet. Unser Verhältnis zu Brüssel würde unter Umständen um Jahrzehnte zurückgeworfen.

swissinfo: Welche konkreten Folgen hätte ein «Nein»?

J.D.: Es ist nicht möglich, die Reaktion von Brüssel im Falle einer Ablehnung voraus zu sagen. Es gibt allerdings keine Zweifel, dass unser Verhältnis in eine Krise käme.

Ein allfälliges «Nein» würde überdies dem Ruf der Schweiz als zuverlässige Partnerin schaden und unerwünschte Auswirkungen auf unsere Exportindustrie haben.

swissinfo: Hält die Schweizer Regierung ein Notfall-Szenario bereit?

J.D.: So etwas lässt sich schwerlich vorbereiten, weil ja nicht klar ist, welche Schritte die EU ins Auge fassen würde. Wir würden in einem solchen Fall sicher sofort den Kontakt mit Brüssel suchen, um erst mal die Absichten der EU zu kennen.

Die EU wird sich kaum zu einer überstürzten Reaktion hinreissen lassen. Was für uns wiederum zweischneidig ist. Denn damit entsteht ein Klima der Unsicherheit, was negativ auf die Investitionen durchschlägt.

swissinfo: Wie lange kann die Schweiz auf dem Weg der Bilateralen Verträge noch gehen?

J.D.: Unsere Beziehungen mit der EU entwickeln sich ständig weiter, selbst in Bereichen, die bereits mit Verträgen geregelt sind.

Es kann bisweilen ein mühsamer Prozess sein, die bestehenden Abmachungen laufend anzupassen. Oder in Bereichen, wo gemeinsame Interessen bestehen, neue Verträge zu schliessen.

Die Schweizer Regierung hat sich für diesen Weg entschieden, und bis jetzt war das erfolgreich und politisch realistisch.

Denkbar ist eine weitere bilaterale Vereinbarung mit Brüssel über Dienstleistungen. Ich glaube allerdings nicht, dass wir ein eigentliches drittes Vertragspaket schnüren werden.

swissinfo: Oder ist die Zeit reif für den Vollbeitritt der Schweiz?

J.D.: Man muss die beiden Dinge klar auseinander halten. Ein «Ja» zur Personenfreizügigkeit ist keine Stellungnahme für oder gegen einen EU-Beitritt.

swissinfo: Es gibt Befürchtungen, die Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes führe zu mehr Arbeitslosen und zu Lohndruck. Was unternimmt die Schweizer Regierung?

J.D.: Wir nehmen die Ängste ernst, aber meiner Ansicht nach sind sie unbegründet. In der erweiterten EU selber gab es keine Massenbewegungen, als die Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt aufgehoben wurden.

Die Schweizer Behörden haben eine Reihe von Vorkehrungen getroffen, um Lohndruck durch billige Arbeitskräfte oder Masseneinwanderung zu verhindern.

Neben Quoten und Übergangsfristen gehören dazu auch verschärfte Kontrollen und Strafmassnahmen.

Es stimmt zwar, dass es anfänglich auf kantonaler Ebene Schwierigkeiten gab mit den Kontrollmassnahmen. Aber jetzt funktionieren sie gut. Missbräuche kommen vor, aber das sind wenige Fälle.

swissinfo: Wirtschaftsverbände rechnen mit einem Wachstumsschub von rund 0,5 Prozent im Falle einer Öffnung des Schweizer Arbeitsmarktes. Wie sieht das die Regierung?

J.D.: Ich bin überzeugt, dass die Schweizer Wirtschaft profitieren könnte. Es ist entscheidend, dass wir günstige Rahmenbedingung bieten; dazu gehört die Öffnung des Arbeitsmarkts und die Möglichkeit, die benötigten Arbeitskräfte zu holen.

Wenn es uns nicht gelingt, in der Schweiz ein günstiges Wirtschaftsklima zu schaffen, werden sich ausländische Investoren und zunehmend auch Schweizer Firmen anderswo umsehen.

swissinfo-Interview: Urs Geiser
(Das Gespräch wurde auf Englisch geführt)

Die Schweiz hat bisher 16 verschiedene bilaterale Abkommen mit der EU abgeschlossen. Dazu gehört auch eine Abmachung über den freien Personenverkehr.

Die EU ist die wichtigste Wirtschaftspartnerin der Schweiz.

Bei einem «Ja» am 25. September erhalten auch die Bürger aus den 10 neuen EU Ländern schrittweise Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt.

Die Behörden führten Quoten und andere Schutzmassnahmen ein, um Lohn-Dumping und Masseneinwanderung zu verhindern.

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