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Spring-Prozess vor Bundesgericht: Pilotverfahren für Ansprüche jüdischer Flüchtlinge

Heute Freitag entscheidet das Bundesgericht über die Genugtuungsklage von Joseph Spring (Bild) gegen die Eidgenossenschaft. Das Verfahren gilt als Pilotprozess für ähnliche Ansprüche jüdischer Flüchtlinge an die Schweiz.

Heute Freitag entscheidet das Bundesgericht über die Genugtuungsklage von Joseph Spring (Bild) gegen die Eidgenossenschaft. Das Verfahren gilt als Pilotprozess für ähnliche Ansprüche jüdischer Flüchtlinge an die Schweiz.

Der 1927 als polnischer Jude geborene Joseph Spring versuchte im November 1943 zusammen mit seinen zwei Cousins Henri und Sylver Henenberg in die Schweiz zu flüchten. Bei einem ersten Versuch wurden sie kurz nach dem Grenzübertritt bei La Cure (VD) angehalten und nach Frankreich zurückgeschickt. Nach einem zweiten fehlgeschlagenen Versuch wurden sie von den Schweizer Behörden den deutschen Grenzorganen übergeben. Via das Gefängnis in Bourg-en-Bresse und das Durchgangslager in Drancy bei Paris wurden Spring und seine Cousins im Dezember 1943 nach Auschwitz deportiert.

Dort sollen die Brüder Henenberg, 14 und 21 Jahre alt, noch am Tag ihres Einreffens getötet worden sein. Spring überlebte Auschwitz und andere Lager und emigrierte nach dem Krieg nach Australien. Heute lebt er in Melbourne.

Beihilfe zum Völkermord

Spring reichte im Januar 1998 beim Finanzdepartement ein Entschädigungsbegehren an die Eidgenossenschaft ein. Dieses wurde vom Bundesrat im Juni 1998 jedoch abgewiesen, weil der Anspruch verwirkt sei.

Daraufhin gelangte Spring mit Klage auf Bezahlung einer Genugtuungssumme von 100 000 Franken ans Bundesgericht. Vertreten wird Spring vom St. Galler Nationalrat Paul Rechsteiner. Seine Klage stützt Spring auf das Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördenmitglieder und Beamten.

Nach der Darstellung Springs hätten die Schweizer Grenzbeamten bei der Übergabe an die deutschen Behörden nicht nur die falschen Papiere ausgehändigt, sondern auch die echten, aus denen die jüdische Abstammung der drei Abgeschobenen hervorging. Das Verhalten der Schweizer Grenzorgane sei als Beihilfe zum Völkermord zu qualifizieren, stelle eine rechtswidrige Auslieferung dar und verstosse gegen das Verbot der Rückschiebung in den Verfolgerstaat. Die Forderung sei zudem unverjährbar.

Pilotverfahren

Die ganztägige öffentliche Verhandlung vor Bundesgericht gilt als Pilotprozess für Genugtuungsansprüche jüdischer Flüchtlinge, die im Zweiten Weltkrieg von der Schweiz zurückgewiesen wurden. Hängig ist ein entsprechendes Entschädigungsbegehren von Sabine Sonabend, das sie Ende 1999 quasi in Ablösung ihres Bruders Charles Sonabend an die Eidgenossenschaft gerichtet hatte.

Die Familie Sonabend wurde 1942 nach ihrer Flucht von den Schweizer Behörden an die Grenze zurückgeführt. Die Eltern wurden später in Auschwitz ermordet. Sabine Sonabend lebt heute in Brüssel, ihr Bruder in England.

Konkurrierende Sammelklage

Ein Begehren um Genugtuung hatte ursprünglich auch Charles Sonabend eingereicht. Er zog sein Begehren aber Ende 1999 zurück, da er sich in den USA am Verfahren zwischen jüdischen Sammelklägern und den Schweizer Banken angeschlossen hatte.

Die Teilnahme an der Sammelklage schliesst weitere Forderungen gegen die Schweiz aus. Das Bundesgericht hatte seine Klage deshalb bereits im März 1999 vorläufig auf Eis gelegt.

Gemäss Charles Sonabend nimmt seine Schwester, die das gleiche Drama erlitten habe wie er, an der Sammelklage in den USA nicht teil. Vor einem Entscheid in diesem Fall will der Bundesrat aber zunächst den Verfahrensausgang vom Freitag abwarten.

Joseph Spring hat sich an der Sammelklage in den USA ebenfalls nicht beteiligt. Er erklärte im Frühjahr 1999 dem Bundesgericht förmlich, dass er sich auch künftig nicht am amerikanischen Verfahren beteiligen werde.

SRI und Agenturen

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