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Der Schweizer Samariter von Hiroshima

Marcel Junod (re) besucht das japanische Büro für Kriegsgefangene. (Foto: IKRK) CICR

Der Genfer Arzt Marcel Junod wird für seinen Einsatz in Hiroshima erstmals von seiner Heimatstadt geehrt. Er hatte als erster Ausländer vor Ort Hilfe geleistet.

Die Japaner dagegen feiern Junod seit 15 Jahren als Held und Pionier der humanitären Hilfe. Am Samstag gedenken sie des 60. Jahrestags von Hiroshima.

Am 13. September diesen Jahres ehrt nun auch die Stadt Genf erstmals die Verdienste von Marcel Junod. Er hatte die Delegation des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) geleitet, die 1945 in Japan im Einsatz stand.

Während der Gedenkzeremonie werden die Genfer Behörden auch ein kleines Denkmal enthüllen. Es ist dem Monument nachempfunden, das die Japaner Junod zu Ehren 1979 in Hiroshima errichtet hatten. Seit 1990 findet dort jedes Jahr im Juni eine Gedenkfeier für den Genfer Arzt statt.

Für Mikimasa Maruyama ist diese Anerkennung leicht zu erklären: “Mit seinem Einsatz in Hiroshima hat Marcel Junod zwischen 20’000 bis 30’000 Menschenleben gerettet”, so die Einschätzung des japanischen Übersetzers von Junods Autobiographie “Kämpfer beidseits der Front”.

Eine schreckliche Nachricht

Am 9. August 1945 war Junod mit seiner Delegation in Tokio eingetroffen, just an dem Tag, an dem die US-Streitkräfte eine zweite Atombombe in Nagasaki abwarfen.

Junods erste Mission war, den amerikanischen Soldaten in japanischer Kriegsgefangenschaft zu helfen. Er schickte zunächst einen seiner Mitarbeiter – Fritz Bilfinger – nach Hiroshima, um die Lager zu erkunden, die sich in dieser Region befanden.

Es war Bilfinger, der Junod am 30. August in einem Telegramm vom apokalyptischen Ausmass der Zerstörung in der bombardierten Stadt berichtete.

Unverzüglich wandte sich Junod an die US-Streitkräfte, die sich auf dem Einmarsch in Japan befanden. Ihnen allein standen genügend Medikamente sowie die nötige Logistik zur Verfügung, um den Opfern von Hiroshima zu helfen.

Hoffnung für die Überlebenden

US-General Mac Arthur stellte Marcel Junod 15 Tonnen Hilfsgüter zur Verfügung und sorgte für einen Flugzeugtransport nach Hiroshima. Junod entschied sich, die Hilfsmission zu begleiten. Mit dabei waren ein Radiologe und zwei Ärzte aus Japan sowie ein amerikanischer Offizier.

“Mein Vater blieb fünf Tage lang in Hiroshima. Die Situation war völlig chaotisch. Er hat selbst ‘hibakusha’, radioaktiv verstrahlte Menschen, gepflegt”, erzählt Benoît Junod, der einzige Sohn des Genfer Arztes, im Gespräch mit swissinfo.

Die Unterstützung der Amerikaner sei zu dieser Zeit nicht selbstverständlich gewesen, betont Junod. “Sein Einsatz für die amerikanischen Soldaten in japanischer Gefangenschaft, unter denen sich auch illustre Generäle befanden, hatte sicherlich das Seine dazu beigetragen”, so seine Einschätzung.

“Erst heute sehen wir, wie sehr die Ankunft der Medikamente den Überlebenden wieder Hoffnung gab”, erklärt Kiyoshi Eouchi vom Roten Kreuz in Hiroshima.

Ein schlagkräftiges Zeugnis

Nach seiner Rückkehr aus Japan, im April 1946, begann Marcel Junod über sein Leben beim IKRK zu schreiben. Unter dem Titel “Kämpfer beidseits der Front” wurde seine Autobiographie ein Jahr später veröffentlicht. Die Passagen über Japan gehören zu den ersten Zeugnissen von der verheerenden Zerstörungskraft der Atombombe.

Benoît Junod zufolge schwiegen die Amerikaner das wahre Ausmass der Zerstörung lange tot. “Die erste Reportage über die Opfer der Atombombe, die in Amerika veröffentlicht wurde, stammt aus der Feder des Journalisten John Hersey und datiert vom September 1946.”

Ein Pionier der humanitären Hilfe

“Marcel Junod war ein extrem engagierter Mensch. Eigentlich war er dem IKRK nur für eine befristete Mission beigetreten. Schliesslich blieb er dann aber”, erklärt François Bugnion, IKRK-Direktor für internationales Recht, gegenüber swissinfo.

Mit seiner Aktion in Hiroshima habe Junod den Standard für IKRK-Delegierte gesetzt. “Eigentlich sind wir Delegierten alle geistige Erben von Marcel Junod.”

swissinfo, Akeno Yayama und Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Nicole Aeby)

6. August 1945: Die über Hiroshima abgeworfene Atombombe fordert in den ersten paar Tagen nach der Detonation über 140’000 Todesopfer.
9. August 1945: Eine zweite Bombe wird über Nagasaki abgeworfen. Sie tötet über 70’000 Menschen.
Insgesamt schätzt Japan die Zahl der Todesopfer in Hiroshima und Nagasaki auf 300’000 – die Menschen, die Jahre später noch an den Folgen der Bomben starben miteingerechnet.

Marcel Junod wird am 14. Mai 1904 in Neuchâtel geboren.

Nach seiner Ausbildung zum Chriurgen tritt er 1935 dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) als Delegierter bei.

In dieser Funktion steht er 1935-1936 im Abessinien-Krieg, 1936-1939 im Spanischen Bürgerkrieg und 1939-45 während des Zweiten Weltkriegs in Europa sowie in Japan im Einsatz.

1947 veröffentlicht Junod seine Autobiographie “Kämpfer beidseits der Front”, in der er sein Leben beim IKRK beschreibt.

Am 16. Juni 1961 stirbt Marcel Junod während seiner Arbeit als Anästhesist an den Folgen eines Herzinfarkts.

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