
«Ein aussergewöhnlicher Mensch und Politiker»

Mit dem sozialdemokratischen Ständerat Ernst Leuenberger hat die Schweiz einen prominenten Politiker verloren. "Aschi", wie er in seinem Heimatkanton Solothurn liebevoll genannt wurde, war populär wie sein Vorbild, der verstorbene Bundesrat Willy Ritschard.
Der wortgewaltige Ernst Leuenberger (64) sass rund ein Vierteljahrhundert in den Eidgenössischen Räten und gehörte zu den prominentesten Politikern der Schweiz.
Im Berufsleben widmete sich der studierte Wirtschaftswissenschafter ganz den Gewerkschaften.
Unter anderem amtete er rund neun Jahre lang als Präsident des Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verbandes (SEV) und war auch Vizepräsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB).
Vorbild Willy Ritschard
Während alt Bundesrat Otto Stich gegenüber swissinfo.ch nichts zum Tode seines Parteikollegen aus dem selben Kanton Solothurn sagen mochte – «wir waren meistens gegeneinander, er vor allem gegen mich» -, sprudelte es beim langjährigen Basler SP-Nationalrat und –Präsidenten Helmut Hubacher, der die Haltung des alt Bundesrates mit «typisch Stich» kommentierte.
«Ernst ‚Aschi‘ Leuenberger war ein aussergewöhnlicher Mensch und Politiker», so Hubacher gegenüber swissinfo.ch. «Er sprach in Bildern, ihm hörte man zu, er hatte etwas zu sagen, ein brillanter Rhetoriker – Ritschard-Schule. Willy war sein Vorbild.»
Der Vergleich mit dem Solothurner alt SP-Bundesrat sei angebracht. «Aschi war volksverbunden, hatte eine bodenständige Sprache, wie Willy.»
Wortgewaltig für Interessen der Arbeiter
Wie wortgewaltig Leuenberger sei, habe er schon im Krisenjahr 1976 anlässlich einer Kundgebung von Uhrenarbeitern in Grenchen erfahren, so Hubacher weiter. Damals war Leuenberger Sekretär des kantonalen Solothurner Gewerkschaftsbundes.
«Es regnete wie aus Kübeln, und bei meiner Ansprache als erster Demo-Redner hatten alle Arbeiter Schutz unter dem Dach des Fabrikgebäudes gesucht. Als ‚Aschi‘ als zweiter Redner mitten auf dem Fabrikplatz sprach, war er im Nu von allen Arbeitern umgeben, die ihm an den Lippen hingen, obwohl sie alle pudelnass wurden.»
Vollblutgewerkschafter
Ernst Leuenberger war der «Vollblutgewerkschafter», volksverbunden und vor allem auch bescheiden, betont der langjährige SP-Präsident und Nationalrat. «Als Gewerkschaftssekretär verzichtete er auf die Hälfte seines bescheidenen Salärs. Damit konnte er eine weitere Person im Sekretariat beschäftigen.»
Erst als SEV-Präsident habe Leuenberger dann besser verdient, so Hubacher. Wobei «Aschi» fast ein schlechtes Gewissen gehabt und ihm gesagt habe: «Das ist ja wahnsinnig, was die mir bezahlen.»
Zudem sei Leuenberger als Präsident einer Gewerkschaft des öffentlichen Verkehrs äusserst glaubwürdig gewesen: «Er war einer der wenigen Politiker, die nie ein Auto besassen, er hatte nicht einmal einen Fahrausweis.»
Über Parteigrenzen hinaus respektiert…
Als National- und Ständerat präsidierte Leuenberger verschiedene Kommissionen. Unter anderem profilierte er sich als Finanz- und Verkehrspolitiker.
Leuenberger sei ein sehr gutes und wertvolles Mitglied der Finanzdelegation gewesen, sagte Nationalrat Bruno Zuppiger von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der das Präsidium der Delegation von Leuenberger übernommen hatte.
Peter Bieri von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), Präsident der ständerätlichen Verkehrskommission, bezeichnete den verstorbenen Kommissionskollegen als feinen Menschen, der viel für den öffentlichen Verkehr getan habe.
…bis hin zu Christoph Blocher
Auch Alt Bundesrat Christoph Blocher (SVP) zeigt sich gegenüber dem verstorbenen SP-Politiker Ernst Leuenberger respektvoll.
«Ich habe mit ihm viele Jahre politisiert. Wir wurden fast gleichzeitig in den Nationalrat gewählt. Wir waren sehr oft nicht gleicher Meinung, das ist klar. Menschlich war er immer ein ausserordentlich angenehmer Mitkollege», sagt Blocher gegenüber swissinfo.ch.
«Sein Tod hat mich bewegt. Er war ein Gewerkschafter, und ich bin ja eigentlich ein Industrieller. Er kam von der Arbeiterseite. Da haben wir ja nicht mehr so viele im Parlament, auch bei den Sozialdemokraten sind heute die meisten Intellektuelle.»
Typischer Schweizer Politiker
Für Helmut Hubacher war Leuenberger ein typischer Schweizer Politiker. «Er hatte Respekt vor den anderen, die anderen vor ihm.» Manchmal habe «Aschi» aber auch wütend werden können, ohne aber je nachtragend zu sein.
Der damalige SP-Präsident und Nationalrat Peter Bodenmann habe seinem Parteigenossen mal gesagt: «Aschi, du musst nicht nur bellen, du musst auch beissen.»
Da habe Leuenberger einen mächtigen Wutausbruch gehabt. Nachher habe er sich mit Bodenmann aber wieder vertragen. «Na ja, vielleicht wurde er dadurch nicht gerade zum Bodenmann-Fan», schmunzelt Hubacher.
Trotz Krebsleiden mitten im Leben
Um Leuenberger herum sei es menschlich immer warm gewesen, sagt Hubacher, der zu seinen Nationalratszeiten jeweils am liebsten mit «Aschi» und einer kleinen Fraktionsgruppe abends essen gegangen ist. «Er war ein richtiger Geschichtenerzähler.»
Für kommenden Samstag hatte Hubacher mit einer Gruppe von 12 Leuten einen Besuch der Giacometti-Ausstellung in der Fondation Beyeler in Basel geplant, eingeladen war auch Ernst Leuenberger, der bereits zusagte. «Das zeigt, dass er trotz seines Krebsleidens noch mitten im Leben drin war», so Hubacher. «Jetzt ist er tot.»
Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch
Geb. am 18. Januar 1945 in Bätterkinden BE als eines von 4 Kindern einer Arbeiterfamilie.
Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.
Im November 1966 gründet er als 21-Jähriger zusammen mit anderen Studierenden an der Universität Bern das «Forum politicum» und organisiert die erste Demonstration gegen den Vietnam-Krieg der USA, was ihm einen Eintrag in seine Fiche bringt. Davon erfährt er erst 20 Jahre später, als 1989 der Fichenskandal auffliegt.
1973 zieht er nach Solothurn und übernimmt das Sekretariat des kantonalen Gewerkschaftsbundes.
1983: Wahl zum Nationalrat, dem er ununterbrochen bis 1999 angehört. 1998 präsidiert er die grosse Kammer.
1997: Wahl zum Präsidenten des Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verbandes (SEV). Dieses Amt übt er bis 2005 aus. Er war auch Vizepräsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB).
1999: Wahl zum Ständerat, dem er bis zuletzt angehört.
30. Juni 2009: Ernst Leuenberger stirbt im Alter von 64 Jahren an Krebs.
Der Solothurner SP-Ständerat und Gewerkschafter Ernst Leuenberger ist tot. Er starb am Dienstagabend im Alter von 64 Jahren an einem seit 2005 dauernden Krebsleiden, wie die Behörden des Kantons Solothurn am Mittwoch bekannt gaben.
Sein Sitz in der kleinen Kammer bleibt vorerst vakant. Über die Nachfolge entscheidet das Solothurner Wahlvolk frühestens am eidgenössischen Abstimmungswochende vom 27. September.
Der Solothurner Regierungsrat habe aus Gründen der Pietät noch keinen Wahltermin festgelegt, sagte der Mediensprecher des Rates. Er werde in den nächsten Wochen festlegen, wann die Ersatzwahl in den Regierungsrat stattfinden solle.

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