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Suizide in der Schweiz: Anzahl Fälle bei älteren Menschen hat sich vervierfacht

Natrum-Pentobarbital
Reise ohne Wiederkehr: Das Barbitorat Natrium-Pentobarbital ist das Mittel der Wahl der Sterbehilfe in der Schweiz. Keystone / Alessandro Della Bella

Die Suizidrate unter älteren Menschen erreicht in der Schweiz Rekordwerte. Der Hauptgrund dafür ist die Sterbehilfe. Andere Suizide sind rückläufig, es gibt aber einen signifikanten Geschlechterunterschied.

Suizid. Gemäss dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) haben sich Seniorinnen und Senioren im Jahr 2023 42-mal häufiger das Leben genommen als Menschen anderer Altersgruppen.

Und die Zahlen nehmen zu: In den letzten 25 Jahren hat sich der Anteil der über 85-Jährigen in der Schweiz, die sich für einen Suizid entscheiden, vervierfacht. Bei den 65- bis 84-Jährigen hat sich dieser Anteil verdoppelt.

Bei der jüngeren Bevölkerung ist die Suizidratre in den letzten zwei Jahrzehnten hingegen um etwa 30 Prozent gesunken.

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Eine Analyse der Fälle zeigt, dass diese hohen Zahlen bei Senioren und Seniorinnen grösstenteils auf die häufige Inanspruchnahme der Sterbehilfe zurückzuführen sind. Suizidhilfe ist in der Schweiz legal, wenn sie nicht aus selbstsüchtigen Motiven erfolgt.

Wie funktioniert die Sterbehilfe in der Schweiz, wie erleben Sie jene, die sie in Anspruch nehmen. Finden Sie all dies hier in unserem umfassenden Dossier:

In den letzten 25 Jahren hat die Sterbehilfe in der Schweiz eine rasante Entwicklung erlebt. Je älter man wird, desto höher ist der Anteil der begleiteten Suizide. Bei den 65- bis 84-Jährigen waren 2023 rund 80 Prozent der Suizide begleitet, bei den über 85-Jährigen sogar 90 Prozent.

Suizid und assistierter Suizid: verwandt oder grundverschieden?

In der Fachwelt ist umstritten, ob man assistierte Suizide mit nicht begleiteten überhaupt in einen Zusammenhang stellen darf.

Laut Pierre Vandel, Chefarzt am Universitätsspital Lausanne, «ist es möglich, sich für den begleiteten Suizid zu entscheiden, ohne suizidale Gedanken zu haben». Er erklärt jedoch, dass einige seiner Kollegen diesbezüglich keinen Unterschied machen.

Anders sehen das die Sterbehilfeorganisationen. «Bewusste Suizide unterscheiden sich von anderen», sagt Jean-Jacques Bise, Co-Präsident von Exit in der Westschweiz.

Die Zahlen von RTS deuten darauf hin, dass beide Suizidarten zusammenhängen könnten. Bei sehr alten Menschen kreuzen sich zu Beginn der 2010er-Jahre die statistischen Kurven der beiden Suizidarten – ein Hinweis darauf, dass ab dann eine Verlagerung von nicht begleiteten zu begleiteten Suiziden stattfand.

Exit bietet seinen Mitgliedern seit 1982 die Begleitung in den Tod an. Seit 2014 können diese auch Personen in Anspruch nehmen, die an Mehrfacherkrankungen ohne unmittelbare Lebensgefahr leiden – vorausgesetzt, sie sind voll urteilsfähig.

Depressionen zusammen mit sozialer Isolation sind die Hauptursachen für nicht begleitete Suizide bei älteren Menschen.

Pierre Vandel, Universitätsspital Lausanne

«Wir helfen nicht Menschen, die lebensmüde sind», betont Jean-Jacques Bise von Exit. Ist es bei einer Depression möglich, Exit in Anspruch zu nehmen? Ja, sagt Bise, aber wenn einer psychisch kranken Person beim Sterben geholfen werde, «dann wegen der Krankheit, nicht wegen der Depression».

Laut Pierre Vandel vom Universitätsspital Lausanne sind Depressionen zusammen mit sozialer Isolation die Hauptursachen für nicht begleitete Suizide bei älteren Menschen.

Unterschiede zwischen den Geschlechtern

Was die Zahlen auch zeigen: Es gibt starke Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Bis zum Beginn der 2010er-Jahre nahmen sich Frauen deutlich weniger häufig das Leben als Männer.

Seitdem steigt die Kurve der begleiteten Suizide auch bei den Frauen stark an und Frauen beenden ihr Leben aus eigenem Antrieb fast ausschliesslich auf diese Weise. Bei Männern hingegen gibt es immer noch einen vergleichsweise hohen Anteil von nicht begleiteten Suiziden.

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«Männer drücken ihre Gefühle weniger aus als Frauen», erklärt der Psychiater Pierre Vandel. Darum sei es bei ihnen schwieriger, suizidale Gedanken zu erkennen und ihnen rechtzeitig zu helfen. Das erkläre die Tendenz von Männern, sich häufiger ohne Unterstützung das Leben zu nehmen.

Haben Sie selbst Suizidgedanken oder kennen Sie eine Person, die Unterstützung benötigt? Dann kontaktieren Sie in der Schweiz die Dargebotene Hand, Telefon 143. E-Mail- und Chat-Kontakte finden Sie auf www.143.chExterner Link. Das Angebot ist anonym und kostenlos.

Für Kinder und Jugendliche betreibt Pro Juventute die Telefonnummer 147, auch hier ist der Austausch per SMS, Chat und E-Mail möglich, alle Details auf www.147.chExterner Link.

Weitere Informationen und Kontaktstellen in den einzelnen Kantonen finden Sie auf www.reden-kann-retten.chExterner Link. Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben, gibt es auf www.trauernetz.chExterner Link.

Eine Liste mit Hilfsangeboten in DeutschlandExterner Link finden Sie bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, eine für Österreich bei der Suizidprävention AustriaExterner Link.

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