
Das Jorat-Theater, eine spezielle Geschichte

Das Théâtre du Jorat im Herzen des Waadtlands hat eine einzigartige Identität, wegen seiner atypischen Architektur und der idyllischen Umgebung, in der es liegt. Aber auch wegen der vielen Bundesräte, die da waren.
In der Erinnerung der Chronisten war es noch nie vorgekommen, dass ein König eine Schweizer Theater-Aufführung besucht hatte. Dann kam Albert I. von Belgien persönlich. Er schaute das Stück «Tell» – im Théâtre du Jorat in Mézières, auf einem Feld im Kanton Waadt.
Es war im Juni 1914, das Theater, 1908 gegründet, war gerade mal sechs Jahre alt. Sein Gründer René Morax (1873–1963) war ein berühmter Dramaturg und Regisseur aus dem Waadtland. Er gilt auch als «Vater des Westschweizer Theaters» und war der Autor dieses «Tells», das auf ein Musikstück des Schweizer Komponisten Gustave Doret abgestimmt war.

René Morax schrieb zahlreiche Stücke. Viele von ihnen schöpfen aus der Schweizer Geschichte und deren Legenden («Der Zehnte», «Die Magd von Evolène», «Davel», u.a.).
Morax weiss, dass man die Reflexion auf populäre Themen lenken muss, um dem Publikum zu gefallen. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg beeindruckt sein Held Tell, das helvetische Symbol des Widerstands gegen Unterdrückung, den belgischen König mit Pflichtbewusstsein und Patriotismus. Doch auch der Ort selbst, der in der Schweiz einzigartig ist, begeistert den Monarchen.
Ein Theater wie kein anderes
Das Jorat-Theater ist kein Gebäude aus Stein. Es wurde aus Holz und Ziegeln errichtet. Seine Einzigartigkeit rührt von der Zusammensetzung des Baumaterials her, das an das berühmte Shakespeare’s Globe Theatre in London erinnert.
Das Théâtre du Jorat ist auch sonst in vielerlei Hinsicht aussergewöhnlich. Da wäre zunächst seine Architektur, die seit der Gründung unverändert ist, wenn man von einigen Auffrischungen und laufenden Bauarbeiten absieht.
Es fügt sich zudem perfekt in die natürliche Umgebung von Mézières und die Hügellandschaft des Jorat ein, einer Region nordöstlich von Lausanne. Das Theater ist eine Scheune. «Ein edler Schuppen.» So lautet sein Spitzname, hinter dem sich eine wahre Anekdote verbirgt.

1965 besuchte der Basler Bundesrat Hans Peter Tschudi eine Vorstellung im Théâtre du Jorat. Geblendet von der Schönheit des Ortes bezeichnete er es als «Grange sublime” – als edlen Schuppen. Die Bezeichnung blieb.
«Ich höre Hans Peter Tschudi mit seinem schweizerdeutschen Akzent sprechen. Für mich kommt der Charme auch von seiner Intonation”, sagt Ariane Moret, die derzeitige Direktorin des Théâtre du Jorat.
«Wie schön, diese Holzscheune!»
«Von der Rückseite des Theaters aus hat man einen wunderbaren Blick auf die Alpen», betont Ariane Moret. Es sei eine beeindruckende Kulisse, in der Kühe grasen, deren Glocken manchmal auch während den Stücken zu hören sind.
Ausländische Zuschauer sagen: «Wie schön doch eure Holzscheune ist!» Zwar erinnert die Aussenhülle des Theaters an die Schuppen des Jorat aus dem letzten Jahrhundert, allerdings in vergrösserter Form.

Ariane Moret, die auch als Schauspielerin tätig ist, hat während ihrer Tourneen die Logen vieler Theater kennengelernt. Sie sagt: «Sie ähneln sich alle, aber die Logen unseres Theaters sind unvergleichlich. Sie sind eng und erinnern an ein Puppenhaus mit verzierten Fenstern. Auch wenn es unbequem ist, vor diesem Alter verneigt man sich, denn es gehört zu diesem Ort.»
Die Bundesräte und das Theater
Eine weitere Besonderheit ist, dass die Bundesräte früher bei den Premieren anwesend waren. Tschudi ist nicht der einzige, der das Théâtre du Jorat besucht hat. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts reiste der gesamte Bundesrat zu den Aufführungen nach Mézières.
René Morax hatte zwar Theater im Blut, aber auch politisches Gespür. Mit seinen Stücken und seiner kulturellen Arbeit wollte er die Beziehungen zwischen dem Kanton Waadt und der Eidgenossenschaft stärken. Letztere hatte sein Projekt von Anfang an unterstützt.
Diese Initiativen von Theatermacher Morax trugen Früchte. Im Laufe der Zeit wurde sein Theater zu einem Symbol des nationalen Zusammenhalts, das von der Regierung geschätzt wurde.

«Bundesräte werden ständig gebeten, an Veranstaltungen teilzunehmen. Sie müssen viele Einladungen ablehnen. Eine einzige Ausnahme ist Mézières”, sagte der Tessiner Bundesrat Giuseppe Motta im Jahr 1931.
«Im Lauf der Jahre wurde dieser Brauch immer seltener gepflegt. Inzwischen gibt es in der Schweiz mehr Theater als je zuvor, sodass es für Regierungsmitglieder unmöglich ist, überall anwesend zu sein. Einige von ihnen kommen dennoch nach Mézières, wenn es sich um grosse Ereignisse handelt», sagt Moret.
Das werde am 6. September der Fall sein, wenn einige renovierte Räume eingeweiht werden. An diesem Tag wird sie auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider empfangen.

«La Grange Sublime» wurde Ende der 1980er-Jahre unter Denkmalschutz gestellt. Heute ist sie auf der Liste der Kulturgüter von nationalem Interesse zu finden.
2017 trat sie zudem der Europäischen Route der historischen TheaterExterner Link bei. Diese umfasst 120 der interessantesten und am besten erhaltenen Theater Europas von der Renaissance bis zum 20. Jahrhundert.
Ein französischer Bruder
Das Théâtre du Jorat hat mit dem Théâtre du Peuple in Bussang in den Vogesen einen «Bruder» in Frankreich. Das 1895 gegründete Theater ist ebenfalls aus Holz gebaut. Auch dieses Theater ist, wie Ariane Moret treffend sagt «vergänglich». Dies weil das Theater nur im Sommer geöffnet ist.
«Wie in Bussang beschränkt sich unser Programm auf die Sommersaison. Das ist zwangsläufig so, denn La Grange verfügt nicht über ein Heizsystem», sagt die Leiterin des Theaters. «Am Ende des Sommers schliessen wir und entfernen alle Kissen und Vorhänge, weil sie durch die Feuchtigkeit beschädigt werden könnten.»
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Editiert von Samuel Jaberg

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