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Teilzeit-Auswandern: Wie man mit Kindern in zwei Ländern lebt

Das Leben als Teilzeit-Auslandschweizer:in mit Kindern birgt viele Herausforderungen.
Das Leben als Teilzeit-Auslandschweizer:in mit Kindern birgt viele Herausforderungen. Keystone / Ennio Leanza

Immer mehr Schweizer:innen leben und arbeiten teils in der Schweiz, teils im Ausland. Das bringt schon für Erwachsene einige Herausforderungen mit sich – noch komplizierter wird es, wenn schulpflichtige Kinder dabei sind.

«Bis zu seinem dritten Lebensjahr war die Situation einfach zu handhaben», erinnert sich Karin*, die mit ihrem Sohn Mario* abwechslungsweise in der Schweiz und in Skandinavien lebt.

«Aber mit dem Schuleintritt wurde es komplizierter – der Mangel an Spielkamerad:innen und die vielen organisatorischen Schritte rund um die Schule erschwerten die Situation.»

Ihr Zeugnis fasst die Komplexität des Lebens in zwei Ländern zusammen, wenn Kinder ins Spiel kommen.

Sicherheit bieten

Bei einem mehrmonatigen Aufenthalt im Ausland ist es ist genauso wichtig wie bei einer dauerhaften Auswanderung, Kindern emotionale Sicherheit zu bieten.

«Man muss offen und ehrlich über die bevorstehenden Schritte kommunizieren, die Sorgen des Kindes ernst nehmen und über seine Gefühle sprechen», sagt Dr. Regula Neuenschwander, Professorin am Institut für Psychologie der Universität Bern.

Ein Rat, den Karin mit ihrem Sohn befolgt hat und der zu funktionieren scheint: «Wenn ein besonderes Ereignis bevorsteht, bespreche ich mit Mario, was passieren wird, worauf wir uns freuen können… alles wird dann viel weniger spektakulär und er nimmt es als ’normal‘ hin.»

Die Fähigkeit, sich an neue Situationen anzupassen, hange auch von der Persönlichkeit des Kindes ab, erinnert die Professorin. Vor allem hätten die Eltern eine Vorbildfunktion, indem sie selbst flexibel oder widerstandsfähig gegenüber Situationen seien.

Regula Neuenschwander
Regula Neuenschwander, Professorin am Institut für Psychologie der Universität Bern, hat in ihrer Kindheit selbst im Ausland gelebt. Luca Christen 2019

Eine Verbindung aufrechterhalten

Auch Rituale beeinflussen das Wohlbefinden des Kindes. Karin hat beispielsweise festgestellt, dass Mario sich «zuhause» fühlt, wenn er seine «Schweizer» Spielsachen dabei hat, auch wenn sie sich nicht in der Schweiz aufhalten.

Laut Neuenschwander ist es wichtig, ein Gleichgewicht zwischen der Ursprungskultur und der Gastkultur zu finden und beide möglichst das ganze Jahr über präsent zu halten. Diese Kontinuität beruhigt die Kinder.

Ein soziales Leben ermöglichen

Eine der grossen Schwierigkeiten beim Leben in zwei Ländern besteht darin, den Kindern ein soziales Umfeld zu ermöglichen.

Als Selbstständige konnte Karin ihren Sohn nie in die Kinderkrippe bringen, da diese nicht zu den Zeiten geöffnet war, zu denen sie sie gebraucht hätte. Als Lösung hat sie während ihrer Aufenthalte in Skandinavien verschiedene Au-pairs engagiert, um die Entwicklung des Jungen zu fördern.

Einen grossen Beitrag können Eltern zum sozialen Leben ihrer Kinder leisten, indem sie ihnen helfen, die Sprache des zweiten Landes zu erlernen. So können die Kinder vor Ort kommunizieren und Kontakte knüpfen.

Eine kantonale Angelegenheit

Einige Monate im Jahr mit Kindern im Ausland zu verbringen, erfordert eine gute Organisation – doch mit dem Schuleintritt nehmen die Herausforderungen deutlich zu.

In den meisten Schweizer Kantonen ist die Schule ab vier Jahren obligatorisch. Aufgrund des Föderalismus ist die Schulbildung jedoch eine kantonale Angelegenheit. Es ist daher unerlässlich, sich bei den zuständigen Behörden des Wohnkantons zu informieren. Einige allgemeine Regeln gelten jedoch.

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Kinder vom Schulunterricht befreien

Bei einer Abwesenheit von weniger als drei Monaten (90 Tagen) müssen die Kinder eine Dispens von ihrer Schule erhalten. Ein solcher Antrag kann jedes Jahr erneuert werden, die Entscheidung liegt jedoch bei der Leitung der jeweiligen Schule. Es gibt also keine einheitliche Regelung in dieser Angelegenheit, nicht einmal innerhalb desselben Kantons.

Für die zwei Jahre Kindergarten (d.h. die ersten beiden Jahre der obligatorischen Schule) hat Karin für ihren Sohn eine Dispens von weniger als drei Monaten bei der Schule beantragt. «Beim ersten Mal zeigte sich die Schulleitung sehr offen und verständnisvoll. Im folgenden Jahr musste ich mich etwas mehr rechtfertigen», sagt die Bernerin.

Wenn der Dispensantrag angenommen wird, «empfehlen wir den Eltern, mit der Schule ihres Kindes Kontakt aufzunehmen, um die während der Abwesenheit zu erledigende Arbeit zu besprechen», sagt Stève Blaesi, stellvertretender Amtsvorsteher des Berner Amts für Kindergarten, Volksschule und Beratung.

Selten länger als drei Monate

Im Falle einer Abwesenheit von mehr als drei Monaten gehen die meisten Kantone davon aus, «dass der Wohnort des Kindes nicht mehr die Schweizer Gemeinde ist und damit die Verpflichtung, im Kanton eingeschult zu werden, entfällt», sagt Blaesi.

Gelegentlich ist es möglich, Anträge für längere Dispensen zu stellen. Im Kanton Waadt wird ein längerer Urlaub jedoch in der Regel nicht zwei Schuljahre hintereinander gewährt.

«Wir sind der Ansicht, dass es im Interesse des Schulkindes ist, ihm ein umfassendes Bildungsprojekt anzubieten, was bei einer Schulbildung in zwei Ländern mit zwei unterschiedlichen Schulsystemen nicht möglich ist», schreibt Laurène Weguener, Kommunikationsbeauftragte des Departements für Bildung und Berufsbildung auf Anfrage von Swissinfo.

Wenn ein Urlaubsantrag abgelehnt wird, haben die Eltern die Möglichkeit, bei der zuständigen kantonalen Behörde Einspruch zu erheben.

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Homeschooling als Lösung?

Heimunterricht kann eine Alternative darstellen, muss aber langfristig angelegt sein und nicht nur punktuell angeboten werden. Ausserdem muss der Kanton ihn genehmigen, und die Bedingungen variieren von Kanton zu Kanton erheblich.

Keiner der Kantone Bern, Waadt oder Zürich erkennt Fernunterrichtsprogramme an, aber alle drei schreiben, dass es den Eltern freisteht, diese im Rahmen eines privaten Unterrichts oder bei längeren Urlauben zu nutzen.

Schule in zwei Ländern?

Der Kanton Waadt zum Beispiel «ermutigt die Eltern, ihr Kind vor Ort einzuschulen. Dies ist ein günstiger Faktor für die Gewährung eines Urlaubs», so das Waadtländer Departement für Bildung und Berufsbildung.

Wenn der kulturelle Abstand nicht zu gross ist, rät Neuenschwander, so weit wie möglich zu versuchen, sich vor Ort zu integrieren, denn «das ermöglicht es auch, dem Kind die Stabilität zu geben, die es braucht». Im Fall von Karin war dies jedoch nicht möglich, da weder sie noch ihr Sohn die Sprache ihres zweiten Landes beherrschen.

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Wer eine Schule sucht, die einen abwechselnden Aufenthalt in zwei Ländern mitträgt, hat bei Privatschulen vermutlich bessere Chancen als bei öffentlichen.

Das Kind hat Priorität

Für Karin war immer klar, dass sie aufhören würde, mehrere Monate am Stück in Skandinavien zu verbringen, sobald ihr Sohn in die 1. Klasse eintritt.

«Es spielt keine Rolle, wenn ich weniger Zeit im Ausland verbringe, die Schulbildung und das soziale Leben meines Sohnes haben Vorrang», sagt sie und freut sich auf ein bisschen mehr Ruhe und Stabilität.

Editiert von Pauline Turuban, Übertragung aus dem Französischen mithilfe der KI Claude: Janine Gloor

*Nachname der Redaktion bekannt

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Melanie Eichenberger

Leben zwischen zwei Kulturen: Welche Werte und Traditionen aus der Schweiz haben Sie als Auslandschweizer:in bewusst mitgenommen?

Welche Werte haben Sie bewusst aus der Schweiz mitgenommen, und welche kulturellen Einflüsse aus dem Ausland haben Sie übernommen?

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