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Mit Hightech gegen Erdrutsche und Naturgefahren in den Bergen

Ein Radargerät, das auf einen Berg gerichtet ist
Interferometrisches Radar, das auf den Pizzo Cengalo oberhalb des Schweizer Dorfs Bondo gerichtet ist. Geopraevent

Technologien zur Überwachung von Naturgefahren wie Erdrutsche und Gletscherabbrüche stossen weltweit auf zunehmendes Interesse. Der Geschäftsführer eines Schweizer Spezialunternehmens erklärt, wie diese Systeme funktionieren und wie sie eingesetzt werden.

Radarsysteme, Sensoren und hochauflösende Kameras werden heutzutage eingesetzt, um Berghänge auf Anzeichen von Lawinen, Erdrutschen oder Gletscherabbrüchen zu überwachen.

Diese Naturgefahren sind in der Schweiz omnipräsent. Erst kürzlich wurde das Schweizer Bergdorf Blatten im Kanton Wallis verschüttet. Aufgrund des Klimawandels werden die Berge instabiler, was eine Gefahr für Siedlungen und Infrastrukturen darstellt.

In Blatten konnten die Behörden dank der Technologien zur Überwachung von Naturgefahren die Bevölkerung in Sicherheit bringen, bevor der Gletscher am 28. Mai einbrach und die vom Berg donnernden Erdmassen das Dorf unter sich begruben.

Der Birchgletscher und das Kleine Nesthorn standen seit den 1990er-Jahren unter Beobachtung. In Blatten sind unter anderem Geräte der Schweizer Firma GeopraeventExterner Link im Einsatz, die zu den weltweit führenden Anbietern von Alarm- und Überwachungsanlagen für Naturgefahren gehört.

Swissinfo sprach mit Alois Geierlehner, dem Geschäftsführer des Unternehmens, das seit 2020 zur schwedischen Hexagon-Gruppe gehört.

Swissinfo: Welche Technologien setzen Sie ein, um den Berg oberhalb von Blatten zu überwachen?

Alois Geierlehner: Im Moment haben wir zwei Systeme im Einsatz. Eine Deformationskamera, die auf dem Kleinen Nesthorn installiert ist, nimmt ständig Bilder auf und überwacht die Felsen und den Birchgletscher (von dem am 28. Mai ein Teil eingebrochen ist, Anm. d. Red.).

Ein so genannter «Interferometer-Radar» überwacht den Berg zudem von der gegenüberliegenden Talseite aus. Diese Systeme zeigen an, welche Zonen sich mit welcher Geschwindigkeit pro Tag bewegen.

Ein von einem Erdrutsch verschüttetes Dorf, dahinter ein See
Der Erdrutsch, der am 28. Mai 2025 vom Kleinen Nesthorn abbrach, verschüttete das Schweizer Dorf Blatten im Wallis fast vollständig. Keystone / Jean-Christophe Bott

Wie genau können Sie Bewegungen auf dem Berg erkennen?

Das interferometrische Radar kann aus einer Entfernung von bis zu fünf Kilometern feststellen, ob sich Felsen oder Eis einen Millimeter bewegt haben. Ein Radar reicht aus, um den gesamten Hang eines Bergs zu überwachen.

Ist diese Millimetergenauigkeit für Erdrutsche mit Millionen von Kubikmetern Material überhaupt notwendig?

Das hängt von den Bewegungen ab, die beobachtet werden sollen. Bei einem Erdrutsch, der sich mehrere Zentimeter oder Meter pro Tag bewegt, müssen wir natürlich nicht auf den Millimeter genau messen.

Es gibt aber auch Materialbewegungen in der Grössenordnung von einigen Millimetern pro Woche. Anhand der Daten sollten die Fachleute feststellen können, ob die Bewegung am Berg stabil ist oder ob es einen Beschleunigungstrend gibt.

Ein Radarbild
Die Radarbilder zeigen, welche Bereiche des Bergs sich mit welcher Geschwindigkeit bewegen. Geopraevent

Was ist der Unterschied zwischen zehn Jahre alten Radartechnologien und jenen, die aktuell eingesetzt werden?

Moderne Radargeräte können aus grösseren Entfernungen ihre Daten schneller erheben und bieten eine höhere Auflösung. Auch die Energieversorgung und die Telekommunikation spielen eine wichtige Rolle.

Dank Brennstoffzellen und Solarenergie lässt sich Energieautarkie herstellen. Und diese macht es möglich, Radargeräte an sehr abgelegenen Orten zu installieren und ihren Betrieb auch bei Stromausfall sicherzustellen.

Die Satellitenkommunikation, die es früher nicht gab, dient als Backup, wenn das traditionelle Mobilfunknetz ausfällt oder nicht verfügbar ist.

Bei der Entwicklung geht es aber nicht nur um die technischen Aspekte der Geräte. Es geht auch um die Verarbeitung und Interpretation der gewonnenen Daten.

Dank der in den letzten zehn Jahren gesammelten Erfahrungen haben wir unsere Radar-Algorithmen und deren Kalibrierung ständig verbessert.

Dank neuen Algorithmen, die auf künstlicher Intelligenz beruhen, verfügen wir über ein leistungsfähigeres und genaueres System. Dieses ist in der Lage, nur diejenigen Signale zu erfassen, die uns wirklich interessieren, wie die Bewegung von Material. Wir wollen nicht, dass die Abfahrt eines Skifahrers fälschlicherweise für eine Lawine gehalten wird.

Im Allgemeinen haben wir verschiedene Technologien, und jede hat ihre Vorteile. In der Regel ist es eine Kombination von Technologien, welche die besten Ergebnisse liefert.

Dieses Video von Geopraevent zeigt, wie das Überwachungssystem im Gebiet des Pizzo Cengalo oberhalb von Bondo funktioniert, dem Schweizer Dorf, das 2017 von einem gewaltigen Bergsturz heimgesucht wurde:

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Wie viele Geräte haben Sie in den Alpen im Einsatz und für welche Art von Naturgefahren?

Wir haben weltweit rund 280 Installationen, die meisten davon in den Alpen. Sie reichen von einfachen Sensoren, welche die Neigung eines Objekts oder den Wasserstand in einem Fluss messen, bis hin zu komplexeren Systemen mit Radartechnologie.

Sie werden von lokalen Behörden, Betreibern von Skigebieten, Energieunternehmen sowie Infrastrukturverantwortlichen von Strassen und Eisenbahnen vor allem zur Überwachung von Lawinen, Erdrutschen und Murgängen eingesetzt.

Haben Sie nach Blatten oder anderen grossen Naturereignissen in den letzten Jahren mehr Anfragen erhalten?

Ich kann nicht sagen, dass es nach jedem Grossereignis sofort mehr Anfragen gibt. Aber wir stellen einen klaren Trend fest: Das Bewusstsein für die Nützlichkeit von Überwachungssystemen wächst.

Die Alpen gewinnen immer mehr an Bedeutung, sowohl in Bezug auf die Bevölkerung als auch auf den Strassen- und Schienenverkehr. Die Existenz von kritischen Infrastrukturen erhöht den Bedarf an diesen Lösungen.

Auch der internationale Markt ist deutlich im Wachstum begriffen. Die Technologien zur Überwachung von Naturgefahren etablieren sich nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Alpenländern.

Im Ausland sind wir vor allem in den Alpenländern, in nordischen Ländern wie Norwegen, in Nordamerika, Zentralasien und den USA präsent.

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Wie viel kostet es, einen Berg wie das Kleine Nesthorn oberhalb von Blatten zu überwachen?

Die Zahlen für die einzelnen Projekte sind vertraulich. Doch ich kann ganz im Allgemeinen festhalten, dass die Kosten für eine Radaranlage in der Regel zwischen einigen zehn- und einigen hunderttausend Franken liegen.

Die Kosten variieren stark, je nachdem, ob es sich um ein reines Überwachungsgerät handelt oder ob dieses mit einem Warnsystem verbunden ist, das zum Beispiel bei einem Erdrutsch oder einer Lawine automatisch die Sperrung einer Zufahrtsstrasse auslöst. Die Kosten hängen auch davon ab, welche Technologie eingesetzt wird.

Welche Lösungen gibt es für Entwicklungsländer, die möglicherweise nicht über die finanziellen Mittel für modernste Technologie verfügen?

Oft liegen die Probleme nicht einmal bei den Beschaffungskosten für die Geräte, sondern in der Tatsache, dass eine ganze Infrastruktur um sie herum benötigt wird.

Es braucht Personen, die sie installieren, bedienen und warten können. Das kann in einigen Entwicklungsländern ein limitierender Faktor sein.

Wenn wir über die Kosten sprechen, müssen wir auch bedenken, welche Alternativen es zum Einsatz von Überwachungstechnologien gibt. Der Bau eines Tunnels zur Umgehung einer Gefahr oder der Bau einer Schutzeinrichtung mag in spezifischen Fällen angezeigter sein, ist aber auch mit wesentlich höheren Investitionen verbunden.

Wir brauchen eine Kultur der Risikovermeidung. In der Schweiz wollen wir generell keine Risiken eingehen. Dazu müssen wir wissen, wo sich diese Risiken befinden und wie wir sie vermeiden können. Diese Kultur der Prävention ist wahrscheinlich noch nicht in allen Ländern so ausgeprägt.

Der globale Markt für das Management von Naturgefahren, der alle Systeme und Dienstleistungen zur Überwachung, Vorhersage und Bewältigung von Naturgefahren umfasst, weist für das Jahr 2024 ein Volumen von 64 Milliarden US-Dollar auf, so ein Bericht des Beratungsunternehmens MarketsandmarketsExterner Link.

Dem Bericht zufolge wird dieser Betrag bis 2029 aufgrund des Klimawandels und der Zunahme von Häufigkeit und Intensität von Naturkatastrophen – besonders in Folge extremer Wetterereignisse – voraussichtlich auf 114 Milliarden US-Dollar steigen.

Zwischen 1970 und 2021 verursachten klimabedingte Naturkatastrophen nach Angaben der Weltorganisation für MeteorologieExterner Link den Tod von mehr als zwei Millionen Menschen und führten zu wirtschaftlichen Verlusten in Höhe von 4300 Milliarden Dollar.

Editiert von Gabe Bullard/vdv, Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob/raf

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