
Die Schweiz im Abseits

Die Osterweiterung der EU könnte konkrete Folgen haben für den Warentransport durch die Schweiz. Denn Italien ist momentan vor allem an einer Verbesserung der Transport-Infrastruktur Richtung Osten interessiert.
Vom Konkurrenz-Wettbewerb wäre die Schweiz nicht direkt betroffen.
Prioritär ist für Italien nicht die Nord-Süd-Verbindung, sondern die Verwirklichung des so genannten Transeuropäischen Korridors 5, der dereinst Lissabon mit Kiew via die Po-Ebene verbinden soll. Vom Konkurrenz-Wettbewerb auf der West-Ost-Verbindung mit einer nördlich der Alpen gelegenen Linie wird die Schweiz nicht direkt tangiert.
Vor kurzem hatte in Lugano eine internationale Konferenz stattgefunden zur Verkehrsproblematik zwischen Norditalien, der Schweiz und Mitteleuropa. Dabei sprachen viele der italienischen Konferenz-Teilnehmer über die massgebliche Bedeutung des Korridors 5, der einen Ausbau des intermodalen Strassen-, Schienen und Kommunikationsnetzes von Osten nach Westen vorsieht, inklusive Anschlüsse an die Mittelmeerhäfen und Flughäfen.
Es handelt sich um einen der insgesamt zehn Transeuropäischen Korridore, auf die sich die EU-Verkehrsminister 1994 geeinigt hatten. Die Verwirklichung der Korridore scheiterte jedoch bisher an der mangelnden Finanzierung. Der eigentliche Korridor 5 verläuft von Triest über Ljubljana (Slowenien), Budapest (Ungarn) und Lviv bis nach Kiew (Ukraine).
Der östliche Anschluss des Korridors 5 bietet eine Verbindung von Lissabon via Barcelona, Genua und die Po-Ebene bis Triest. Gleichzeitig soll ein nördlicher Arm von Lyon via Turin geschaffen werden.
Ciampis starke Worte
Die von der EU gewollte Verbindung ist von strategisch entscheidender Bedeutung für die Zukunft Italiens. Der italienische Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi hat die Verwirklichung dieses Korridors bereits mit dem Eintritt Italiens in die Euro-Zone verglichen.
«Für Italien spielt der Korridor 5 eine absolut entscheidende und zentrale Rolle, da er die Hauptachse des nationalen internen wie internationalen Kommunikationsnetzes bildet», heisst es in einem Arbeitspapier des italienischen Wirtschaftsministeriums zum Kopenhagener EU-Gipfel vom Dezember 2002. Dort war die Erweiterung der EU um 10 Staaten beschlossen worden.
Ohne diesen Korridor befürchtet Italien eine Marginalisierung innerhalb der EU. Denn die Ost-Erweiterung dürfte das Epizentrum der EU als Wirtschaftsraum nach Osten verschieben. Entsprechend wird sich der Fluss der Warenströme verändern. Anders gesagt: Neben der klassischen Nord-Süd-Transport-Route wird die Ost-West-Richtung an Bedeutung gewinnen.
Konkurrenz mit Deutschland
Italien ist insbesondere daran gelegen, gegenüber einer nördlich der Alpen gelegenen Ost-West-Verbindung nicht den Kürzeren zu ziehen. Denn 2006 soll bereits die Linie Stuttgart-München-Wien-Budapest fertig sein, die ihrerseits über die Achsen Lyon-Strassburg und Barcelona-Lyon mit Südosteuropa verbunden werden soll.
Um den Zug nicht zu verpassen, wird auf Initiative der Region Venetien innerhalb der kommenden 30 Monate eine Studie erstellt, welche die Warenströme in Ost-West-Richtung auf der Südseite der Alpen abschätzen soll. Die EU hat für Alpencors (Alpen Corridor South) im vergangenen Dezember 3,1 Mio. Euro gesprochen.
Alpentransit nicht prioritär
Bei der genannten Tagung in Lugano, mit Vertretern des Verkehrsministeriums in Rom, entstand der Eindruck, dass der Korridor 5 gegenüber einer Verbesserung des Nord-Süd-Verkehrs Vorrang hat. Dabei ist die Schweiz ihrerseits vor allem an einem perfekten Anschluss von AlpTransit an das italienische Schienennetz gelegen.
Auch der Direktor des Tessiner Wirtschafts-Forschungsinstituts (IRE), Rico Maggi, hat den Eindruck, dass Italien bzw. die Zentralregierung in Rom bei den begrenzten Infrastrukturmitteln momentan vor allem an dem innergemeinschaftlichen Verteilkampf gelegen ist. In der Frage «Korridor südlich oder nördlich der Alpen?» stehe Italien in direkter Konkurrenz zu Deutschland.
Schweiz von Rom weit entfernt
«Wie die Tagung gezeigt hat, ist dagegen das nördliche Grenzland Schweiz relativ weit von Rom entfernt», meint Maggi gegenüber swissinfo. In den EU-Mitgliedsländern werde vor allem realisiert, was innerhalb der Gemeinschaft im Rahmen der Ten-T-Priority-Projects (Trans European Network Transport) drin liege. Der «Schweizerische Alpentransit» gehöre da nicht dazu.
Sicher ist, dass die jeweilige Verwirklichung der Ost-West-Korridore Auswirkungen auf den Alpentransit durch die Schweiz haben wird. Falls die Variante Süd realisiert wird, wird das Tessin bessere Anschlüsse an die neuen Märkte haben und eventuell das Verkehrsvolumen im Alpentransit zurückgehen. Im Falle der Variante Nord wird der Alpentransit sicherlich zunehmen und vorab die Deutschschweiz von der Infrastrukturanbindung an die neuen Märkte profitieren.
swissinfo, Gerhard Lob, Locarno
Die Osterweiterung der Europäischen Union (EU) mit dem Beitritt von 10 Ländern wird die Verkehrsströme in Europa nachhaltig verändern. Entscheidend für die Festlegung des künftigen Verkehrsnetzes sind nicht zuletzt auch die Leitlinien der EU über den Aufbau transeuropäischer Verkehrsnetze (TEN) sowie paneuropäischer Korridore, die über die EU-Grenzen hinausgehen.
Eine aktive Anbindung an die zentralen europäischen Verkehrsrouten ist auch für die künftigen Chancen der bisherigen EU-Länder entscheidend. Deshalb legt Italien so grossen Wert auf die Verwirklichung des Korridors 5, der dereinst Lissabon mit Genua, Triest und Kiew verbinden soll. Er ermöglicht einen direkten Anschluss nach Ungarn, das zur künftigen Drehscheibe des mittelosteuropäischen Verkehrs werden wird.
Dabei steht Italien im Konkurrenzkampf zu einer nördlich der Alpen verlaufenden Linie, an der vor allem Deutschland und Österreich interessiert sind.
Für die Schweiz wird entscheidend sein, welcher Korridor zuerst verwirklicht wird. Entsprechend könnten sich auch die Verkehrsströme durch die Schweiz verändern.

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