The Swiss voice in the world since 1935
Top Stories
Schweizer Demokratie
Newsletter

Fördert Hiestand das Bäckereisterben?

Die Schweiz ist bekannt für ihr Brot. Auf dem Bild: Walliserbrote aus dunklem Roggenmehl. Keystone

Ist Hiestand eine Bedrohung für die Bäckerinnen und Bäcker im Land? Die Bäckerzünfte sind sich darüber nicht einig.

Allerdings sind alle davon überzeugt: Nur die Individualität ist das Brot, von dem die Bäcker in Zukunft leben können.

Fühlen sich die Bäcker und Bäckerinnen vom Gipfeli- und Brothersteller Hiestand bedroht? Nein, sagt der Direktor des Schweizer Bäckerverbandes, Renaldo Nanzer. Für die Bäcker seien die Hiestand-Produkte kein Ersatz für ihre eigenen Erzeugnisse, sondern Ergänzung im Sinne einer eisernen Reserve. Zum Beispiel, wenn an einem Samstag plötzlich 10 Gipfeli mehr her müssten.

Hiestand sei übrigens nicht der Einzige, der maschinell vorgefertigte Produkte anbiete, sondern der Beste, führt der Direktor des Schweizerischen Bäckerverbands weiter aus. Und die vergleichsweise nicht billigen Preise zeigten auch hier, dass Qualität wichtig sei.

Auch Hiestand gehört zum Schweizer Bäckerverband, seit eh und je. Man könne die Grossen nicht einfach ausschliessen, so der Direktor des Berufsverbands. Von den Grossen werde Solidarität erwartet, so etwa bei der Ausbildung.

Vorproduzierte Ware schadet

Gérard Michellod, Präsident der West-Schweizer Bäcker- und Konditoren-Vereinigung (Association romande des artisans boulangers pâtissiers) sieht hingegen eine Konkurrenz für die Bäcker. «Die Entwicklung der Bäckereiwaren hin zu vorgebackenen Produkten schadet dem Bäckerei-Handwerk.»

Dies vor allem auch, weil die vorgebackenen und tiefgekühlten Bäckereiwaren die Essgewohnheiten der Konsumenten beeinflussten. Der Kunde setze zunehmend «frisch» mit «ofenfrisch» gleich und wolle sein ofenwarmes Brot, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit.

Die Bäcker verspürten immer mehr Probleme, ihre Produktions-Möglichkeiten dieser Entwicklung anzupassen. Nicht alle Bäckerei-Angestellten seien bereit, an Abenden, Sonntagen und Feiertagen zu arbeiten.

Dennoch ist auch Michellod zuversichtlich. «Die Bäcker werden an dieser Herausforderung wachsen, denn alle, die den Kunden nicht befriedigen, werden nicht überleben können.»

Bestand durch eigenständige Produktion

Ob Hiestand & Co Konkurrenz oder Ergänzung sind, daran scheiden sich die Geister. Einig ist man sich aber in einem wichtigen Punkt: Dass der Bäcker bei seinen eigenen Brötchen bleiben soll. Nur Bäcker, die ihr Handwerk beherrschen und pflegen, könnten überleben.

Renaldo Nanzer vom Schweizer Bäckerverband: «Die Zukunft des Bäckers liegt in der gewerblichen Produktion, nicht im Verkaufen von Waren.»

Trend zu Tagesbäckereien

Langfristige Individualität verficht auch der Leiter der Schweizer Bäckereiausbildung der renommierten Gastro-Fachschule Richemont in Luzern, Werner Hürlimann. Er sagt den Bäckern: «Macht es selber, dann habt ihr eure eigenen, individuellen Produkte.»

Angehende Bäcker lernten alle Produktionsprozesse auch heute noch selber von Grund auf, erläutert Wüthrich.

Auch das Laien-Argument, dass der Bäcker mit Hiestand-Produkten sich das nächtliche Aufstehen ersparen könnte, ist für die Bäcker selbst keines: Dank neuer Technik gebe es heute einen Trend hin zu Tagesbäckereien, erläutert der Ausbildungsleiter. Die Bäcker fertigten ihre Produkte am Vortag selbst und müssten sie am Morgen nur noch backen. Dies wurde vor allem dank neuer Kühltechnik möglich.

Eine Qualitätseinbusse sei diese Produktionsweise nicht, im Gegenteil, sagt der Bäckerchef der Richemont Gastro-Hochschule. Die Produkte seien dank der längeren Gärzeit sogar noch besser.

Wie der Direktor des Bäckerverbands betont auch Wüthrich, dass maschinell vorgefertigte Produkte in der Bäckerausbildung nur als Notlösung propagiert werden, nicht als Ersatz.

Lieber Zusammenarbeit als Norm-Produkte

Ausserdem sei auch bei kleinen Quantitäten Hiestand-Ware nicht die einzige Antwort, sagt der Bäckerausbildner von Richemont. Ein Bäcker könne bei kleinen Quantitäten eine Zusammenarbeit mit einem Kollegen eingehen, der zehn Kilometer weiter eine Bäckerei betreibt.

Ein Trend hin zu grösseren Bäckerein mit mehreren Filialen macht auch der Direktor des Bäckerverbands aus. Obwohl im letzten Jahr 50 Betriebe eingegangen sind, gibt es in der Schweiz dennoch nicht merklich weniger Bäckerei-Läden. Denn viele der eingegangenen Betriebe werden von einem anderen Bäcker als Filiale weiterbetrieben.

Laut dem Direktor des Schweizerischen Bäckerverbands gibt es heute 2400 Bäckereien. Und so zeigt er sich, trotz der Komplementär- und Konkurrenzgütern aus der Tiefkühltruhe optimistisch, was die Bäckerzunft angeht: «Es wird immer genügend Bäckereien geben in der Schweiz.»

swissinfo, Anita Hugi und Jean-Didier Revoin

Das «Croissant» ist keine französische Erfindung und auch keine schweizerische. Es wurde im 17. Jahrhundert in Wien erfunden, und während der Belagerung Wiens durch die Türken.

Ein Bäcker habe in der Nacht beim Arbeiten in der Backstube gehört, wie die Belagerer einen Tunnel unter der Stadtmauer hindurch bauen wollten – und dank dem aufmerksamen Frühaufsteher konnte so der Angriff auf die Stadt vereitelt werden.

In Erinnerung an ihren Beitrag zur Verteidigung Wiens haben die Bäcker ein Gebäck kreiert, das in seiner Form an das Feldzeichen der Belagerer, den Halbmond, erinnert. Den knusprigen Halbmond hätten die Wiener dann auch in den Kaffee getunkt, den sie ebenfalls den Türken geklaut haben.

Die Österreicherin Marie-Antoinette, Gemahlin des französischen Königs Louis XVI, brachte das Gebäck dann nach Frankreich, wo es sich via die Aristokratie im ganzen Volk verbreitete.

Genau nachzulesen im «Lexikon der populären Ernährungsirrtümer», Eichborn Verlag, Frankfurt 2000.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft