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Kämpfer gegen Computer-Viren

Globetrotter Urs E. Gattiker: Viele Reisen für die Informations-Sicherheit und die Familie. swissinfo.ch

Mailen, surfen, spielen und chatten im Internet machen Spass. Es lauern aber auch Gefahren, welche die Online-Aktivitäten zum Albtraum werden lassen können.

swissinfo im Gespräch mit dem Schweizer Urs E. Gattiker, einem international renommierten Experten für Informationssicherheit.

Der Schweizer Urs E. Gattiker ist Stiftungsprofessor für Management und Informationswissenschaften an der International School of New Media (ISNM) der Universität Lübeck. Er hat mehrere Bücher zum Thema Informationssicherheit geschrieben. Gattiker engagiert sich auch bei CASES, einer Organisation europäischer Regierungen. Darin wird Prävention und Bewusstseinsförderung in Sachen Internet und Sicherheit für Bürger und Bürgerinnen aber auch für Schulen und Lehrkräfte sowie KMU betrieben.

Gattiker ist auch im Vorstand von EICAR, einer europäischen Organisation von Software Herstellern, Verbrauchern und Forschern auf dem Sicherheitsgebiet. Er vertritt diese Organisation auch in mehreren Gremien und Foren der Europäischen Union.

swissinfo: Wie fühlen Sie sich als «halber» Auslandschweizer? Hat Sie das Leben im Ausland verändert?

Urs E. Gattiker: Ich habe zwei Drittel meines Lebens im Ausland verbracht, und wie 70 Prozent der Auslandschweizer besitze ich neben dem schweizerischen auch noch einen anderen Pass, einen kanadischen.

Ich unterrichte in Deutschland, zahle dort Steuern, habe meinen offiziellen Wohnsitz in Dänemark und bin dort bei der Schweizer Botschaft angemeldet, wie das jeder Schweizer machen muss. Das Wochenende verbringe ich in der Schweiz bei meiner Familie.

Ich bin lange im Ausland gewesen, aber immer wieder gerne zurück gekommen. Ich finde jedoch, die Schweiz müsste viel mehr über ihre Grenzen schauen. Es gibt Sachen, die macht die Schweiz gut, ein Beispiel ist der öffentliche Verkehr.

swissinfo: Wo hat die Schweiz Ihrer Meinung nach denn Nachholbedarf?

U. E. G.: In den nordischen Ländern ist es undenkbar, dass selbst rechte Parteien nur 10 Prozent Frauen ins nationale Parlament schicken.

In dieser Beziehung ist die Schweiz noch 20 Jahre hintendrein. Aber vielleicht sind erste Anzeichen einer neuen Entwicklung sichtbar. Das traditionelle Familienbild wird schon nicht mehr in der Familie von Bundesrat Blocher gelebt. Seine Tochter führt die Ems Chemie, obwohl sie Familie hat.

swissinfo: Wechseln wir vom Kochherd zur modernen Kommunikation: Was könnte die Schweiz im Bereich der Kommunikationsmärkte vom Ausland lernen?

U. E. G.: Das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) sollte mal zwei Monate bei den Dänen in die Lehre gehen. Dort würde es schnell lernen, wie man einen Markt effektiv reguliert.

Auch im sozialistischen Land Dänemark gibt es verschiedene Telekommunikations-Anbieter die sich hart konkurrenzieren. Da haben einige schon hartes Lehrgeld bezahlen müssen, weil die Gewinne eher kleiner als erhofft waren. Und der Konsument, die Konsumentin haben davon profitiert. Das ist ganz eindeutig.

swissinfo: Was ist denn in Dänemark konkret besser?

U. E. G.: Auf der Website des Bakom erhalte ich Informationen, dass Bundesrat Leuenberger irgendwo eine Rede hält. Das ist interessant, hilft mir aber als Kunde nicht. In Dänemark gibt es eine Telefonpreis-Vergleichsmaschine. Dort kann ich eingeben, wie ich telefoniere, vom Festnetz, vom Mobilnetz und wie ich das Internet brauchen möchte. Und die Maschine rechnet mir ganz genau aus, wer für meine Bedürfnisse der billigste Anbieter ist.

Da der Preisvergleich von der staatlichen Regulierungsbehörde kommt, muss jeder Anbieter die richtigen Daten eingeben. Auch wenn Anbieter verschiedene Systeme haben, die man sonst eigentlich nicht miteinander vergleichen kann, ist der Vergleich auf dieser Seite kein Problem.

Ich bin im Prinzip für den freien Markt. Aber um die schwarzen Schafe zu eliminieren, braucht es eine effektive Regulierung. Dann haben alle die Chance, ihr Produkt oder ihren Service zu kostengünstigen Konditionen anbieten zu können.

In der Schweiz ist das meiner Ansicht nach nicht immer der Fall und auf dem Kommunikationsmarkt sicherlich nur beschränkt. Aber in Dänemark oder Schweden funktioniert das, weil dort ganz klare Regeln bestehen. Und das ist wichtig auch für das Internet. Wenn dann mal jeder anfängt, zu Hause seinen Router oder seinen Server zu haben, dann muss das funktionieren. Und da könnte die Schweiz sicherlich noch einiges zulegen.

swissinfo: Was sind die Hauptbeschäftigungsgebiete von Professor Urs E. Gattiker?

U. E. G.: Mein Hauptgebiet ist die Information, die Sicherheit. Ich arbeite nicht dafür, dass ein Computer «normal» funktioniert. Mich interessiert, was passiert, wenn Spam, also Werbefluten, mein E-Mail-Postfach verstopfen oder wenn sich bösartiger Code, so genannte «Malware», in meinem Computer einnistet.

swissinfo: Sie haben kürzlich ein Wörterbuch für Informationssicherheit fertig gestellt. Wofür braucht es das?

U. E. G.: Mit dem Buch habe ich begonnen, weil eine auf Virologie und in medizinischer Informatik spezialisierte Kollegin monierte, dass unsere junge Wissenschaft ein Problem habe, weil die Fachausdrücke nicht klar definiert seien.

Eine Definition des Begriffs «Virus» wird die Kommunikation unter Experten einfacher machen, weil alle unter dem Worte Virus mehr oder weniger das gleiche verstehen.

swissinfo: Ist die Sicherheitsinformatik also unwissenschaftlich?

U. E. G.: Nein, aber ich denke, das ist ein Kennzeichen aller junger Wissenschaften, die von verschiedenen Disziplinen kommen. Die müssen zuerst einmal ihre Sprache finden. Das Buch wird im Frühjahr erscheinen. Ich habe sehr viel dabei gelernt und ich brauche es selbst, in elektronischer Form. Es ist einfach nicht möglich, alles im Kopf zu behalten.

swissinfo: Sie bekämpfen Viren von der wissenschaftlichen Ebene aus. Welche gesetzlichen Voraussetzungen braucht es, um effizient gegen Viren und Virenbastler vorgehen zu können?

U. E. G.: Meiner Ansicht nach braucht es kein spezielles Gesetz gegen Viren oder Würmer. Die Schweiz hat das in diesem Fall ganz clever gelöst. Länder wie Italien, Deutschland und England haben versucht, spezielle Gesetze zu machen, die sich mit Viren und Hacking beschäftigen.

Aber die Schweizer haben gesagt: Nein, um das geht es nicht. Egal ob Viren oder Hacking, es geht um autorisiertes und nicht-autorisiertes Benutzen von Informations-Technologien. Und wer zur Benutzung nicht autorisiert ist, oder sie als nicht Autorisierter verändert, macht sich strafbar. Das ist eigentlich alles, was wir brauchen. Und es funktioniert sehr gut.

swissinfo: Sie arbeiten auch für die Organisation CASES, was steckt dahinter?

U. E. G.: CASES ist die Abkürzung für «Cyberworld Awareness and Security Enhancement Structure», eine Initiative in welcher verschiedene Länder versuchen, auf diesem Gebiet zu kooperieren – zum Vorteil von Bürgern und Bürgerinnen. Man muss sich das als Netzwerk von Büros in verschiedenen Ländern vorstellen. Wir beschäftigen uns bei CASES mit der Heim- und Schulnutzung des Internet, der Digitalisierung von Regierungen, dem E-Government. Es gibt weitere hochsensible Bereiche, z. B. die Digitalisierung der Gesundheitsdaten, wo es Probleme mit dem Datenschutz geben könnte.

Jeder soll von der Informationsgesellschaft profitieren. Um Auto zu fahren, muss man ja auch nicht Automechaniker sein, Und dies trifft auch auf den Computer zu. Internet-Breitbandanschluss zu Hause: Ja! Aber ich möchte mich nicht zuviel mit Security beschäftigen müssen. Ich möchte einfach, dass es funktioniert.

swissinfo: Und das ist ja heute überhaupt noch nicht der Fall…

U. E. G. Leider. Und aus diesem Grund wurde das CASES-Netzwek geschaffen. CASES wird von öffentlichen Institutionen getragen. Das ist ein freier Service für die Bürgerinnen und Bürger. Demzufolge geniesst CASES auch mehr Vertrauen als ein einzelner Hersteller.

Nehmen wir den erst kürzlich in Erscheinung getretenen «Sober10»- Wurm. Dieser richtete schlimme Schäden an. Und darauf fragte die Presse: «Welcher Hersteller reagiert am schnellsten auf den Wurm?»

Das ist eigentlich witzlos, denn ein gutes Antivirenprogramm sollte einen Sober-Wurm oder einen Virus selbstständig erkennen. Es wäre zu diesem Zeitpunkt also gar kein Update nötig. Es geht also nicht um Warnungen. Denn wenn ich eine Warnung kriege und reagieren soll, dann ist es meist schon zu spät.

swissinfo: Und was rät da CASES?

U. E. G.: CASES will Bürger und Kleinunternehmen mit der Prävention so unterstützen, dass sie sich schützen können. Und wenn es mal ein Problem gibt, dann erfahren sie in ein, zwei, drei Punkten, was das Problem ist und was dagegen zu tun ist. Die Anwender werden auch aufgeklärt, was passieren könnte, wenn sie nichts unternehmen.

In Deutschland möchten wir mit unserer Arbeit gezielt Teenager ansprechen. Deshalb arbeiten wir an unserer neuen Webpage. Wir führen Diskussionen und wir werden unter anderem auch Online-Games anbieten, wo mehrere Leute miteinander spielen und sich so mit dem Thema Sicherheit beschäftigen können.

swissinfo: Viele Menschen fühlen sich auch ohne Computernutzung beobachtet, überwacht, ausspioniert. Zu Recht?

U. E. G.: Ich glaube, die Menschen müssen sich klar werden, dass der Schutz von persönlichen Daten immer schwieriger wird. Es findet hier eine Erosion statt. Man braucht nicht paranoid oder ängstlich zu sein. Heute werden viel mehr Daten elektronisch erfasst, wie zum Beispiel medizinische, finanzielle, steuerliche. Informationen aller Bürgerinnen und Bürger sind in einer oder mehreren Datenbanken gespeichert. Diese Daten können in die falschen Hände geraten

Darüber müssen wir uns einfach ein paar Gedanken mehr machen. Ich bin überzeugt, dass sich an der Situation nur etwas ändern wird, wenn Bürgerinnen und Bürger sich für ihre Rechte wehren. Grösste Sicherheit für meine gespeicherten persönlichen Daten bei Firmen oder öffentlichen Verwaltungen wie Spitälern ist in meinem eigenen Interesse und ein Grundrecht des Bürgers. Hier gibt es noch viel zu tun.

swissinfo-Interview, Etienne Strebel

Gattiker war unter anderem als Professor tätig an der Aalborg University, der Melbourne Business School, der Universität von Lethbridge, der Universität der deutschen Streitkräfte in Hamburg und an der Stanford University Graduate School of Business.
Urs E. Gattiker hat eine Tochter und einen Sohn. Er arbeitet in Deutschland und wohnt in Dänemark. Ein Teil der Familie lebt in der Schweiz. Gattiker bezeichnet sich selbst als Globetrotter.

Urs E. Gattiker engagiert sich in verschiedenen internationalen Organisationen für die Sicherheit im Informatikbereich.

Viele Menschen fühlen sich beobachtet, überwacht, ausspioniert. Urs E. Gattiker meint dazu: » Die Menschen müssen sich bewusst werden, dass der Datenschutz und ihre Privatsphäre bedroht sind. Es findet hier eine Erosion statt. Man braucht nicht paranoid oder ängstlich zu sein. Es ist einfach so, weil viel mehr Daten von uns im Umlauf sind.»

Gattiker ist überzeugt, dass sich an der Struktur nur etwas ändern wird, wenn die Menschen sich für ihre Rechte wehren.

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