
CO2-Entfernung: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Die CO2-Entfernung aus der Luft stockt. Nicht weil sie nicht funktioniert, sondern weil wir Chancen nicht erkennen und uns der Weitblick fehlt, sagt der Schweizer Klimawissenschaftler Cyril Brunner.
Als einzelnes Unternehmen im Jahr 2030 1 Million Tonnen CO2 wieder aus der Luft holen, umgerechnet ein Dreissigstel dessen, was die Schweiz heute im Inland ausstösst – und dies langfristig für unter 100 USD pro Tonne.
Diese zwei Aussichten stehen in fast jedem Pitchdeck eines CDR-Startups. CDR steht für Carbon Dioxide Removal – also CO2-Entfernung aus der Luft, auch Negativemissionen genannt.
Zum Einschätzen: bei 100 USD pro Tonne würde die CO2-Entfernung eines verbrannten Liters Benzins 31 Rp. kosten.
Ohne solche Ambitionen gibt es kaum Finanzierung. Dabei dürfte Geldgebern und Antragstellern bewusst sein, dass diese Szenarien unrealistisch sind.
Ob es strategisch klug ist, sie trotzdem zu zeichnen, ist fraglich – insbesondere in einem neuen Sektor, in dem gesellschaftliches Vertrauen erst noch aufgebaut werden muss.
Aktuell zeigt sich das bei Climeworks: Zwei von 19 Anlagen liefern weniger, als in Aussicht gestellt wurde.
Gleichwohl reflektieren die Ambitionen die Wunschvorstellungen der Gesellschaft an CDR. Es folgt eine Zerreissprobe für einen Sektor, ohne den wir nicht klimaneutral werden können.

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Kein Businesscase, nur guter Wille
Die erste Herausforderung: Als Gesellschaft anerkennen wir weder die wahren Kosten einer emittierten Tonne CO2, noch spüren wir deren Effekt direkt bei der Emission. CO2 wirkt global und über Jahrtausende.
Eine aktuelle StudieExterner Link des ein auf Energie- und Umweltfragen spezialisierten Forschungs- und Beratungsunternehmens Infras schätzt die Klimakosten auf 430 Franken pro Tonne.
Würden die Kosten für künftige Generationen hoch bewertet, lägen die Klimakosten sogar rund viermal höher. Gleichwohl zahlen wir in vielen Bereichen heute nichts oder kaum etwas, wenn wir CO2 emittieren. Jemanden dafür zu bezahlen, CO2 wieder aus der Luft zu holen, geschieht daher meist aus reinem gutem Wille.
Für eine klimaneutrale Gesellschaft müsste sich dies fundamental ändern. Es bräuchte gesetzliche Rahmenbedingungen. Wie wir sie vor 54 Jahren beim Abwasser und später beim Abfall eingeführt haben.
Am liebsten wäre uns, wenn die CO2-Entfernung gratis wäre. Daher auch die unrealistische Aussicht auf 100 USD pro Tonne. Doch CO2 aus der Atmosphäre zu holen und dauerhaft zu entfernen, ist schwierig und aufwändig.
So kostet CDR heute je nach Technologie und Reifegrad 300 bis 2000 Franken pro Tonne CO2. Obwohl die Kosten durch technologischen Fortschritt und Skaleneffekte sinken dürften, ist klar, dass CDR der teuerste Teil einer klimaneutralen Gesellschaft bleiben wird.
Quasi die Kehrichtentsorgung für all den Abfall, den wir sonst nicht vermeiden konnten und noch in die Atmosphäre schmeissen.
Nur ein Tropfen auf den heissen Stein
Zuerst die Emissionsreduktion, dann die CO2-Entfernung, ist die weit verbreitete Haltung. So soll jeder Franken und jede nachhaltig verfügbare Kilowattstunde Strom in die Vermeidung von Emissionen statt in CDR fliessen.
Letztes Jahr flossen weltweit 4 Milliarden USD in die CO2-Entfernung, nur 0.2 Prozent der Investitionen in Netto-Null-Infrastruktur.
Gleichzeitig kritisiert man Anlagen, wie jene von Climeworks, weil sie gegenwärtig nur einige hundert Tonnen CO2 aus der Luft filtern.
In diesem Artikel erklärt der Co-Chef von Climeworks, wie seine Firma vorgeht:

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Angesichts der Tatsache, dass wir in einer klimaneutralen Gesellschaft rund 85-90 Prozent unserer Emissionen verringern und somit rund 10-15 Prozent der heutigen Emissionen mittels CO2-Entfernung auf Netto-Null ausgleichen werden, wird schnell klar, dass sich Kapazitäten von Milliarden Tonnen nicht von heute auf morgen aufbauen lassen.
So wäre die zielführendere Aussage, dass der Fokus zwar auf der Emissionsreduktion liegen soll, parallel aber mehr in CDR investiert werden muss.
Rund 80 Prozent der CDR-Nachfrage und der Investitionen stammten bisher aus den USA. Unter Biden wollten sich die USA als führende Kraft in diesem neuen Wirtschaftssektor positionieren. So erhielt Climeworks als eines von zwei CDR-Unternehmen vor drei Jahren den Auftrag für ein grosses Werk in den USA.
Dafür stellte Climeworks rund 350 zusätzliche Mitarbeitende an. Die Trump-Administration prüft derzeit, ob zugesagte Fördermittel in Höhe von 1 Mia. USD für die zwei CDR-Unternehmen gekürzt werden sollen.
Die Folge: Climeworks muss einige Mitarbeitende wieder entlassen. Der Stellenabbau kommt entsprechend nicht unerwartet und diversen anderen CDR-Unternehmen dürften ähnlich schwierige Zeiten bevorstehen.
Kritiker sehen sich jetzt bestärkt darin, dass CDR keine Lösung ist. Sie liegen falsch: CDR funktioniert durchaus. Solange wir jedoch die Kosten einer emittierten Tonne CO2 und die damit verbundene aufwändige Dienstleistung des Aufräumens nicht anerkennen, wird es nicht skalieren.
Intuitiv? Leider nein
Viele Aspekte der CO2-Entfernung sind nicht intuitiv. Erstens ist ihre Notwendigkeit oft nicht sofort ersichtlich: Wir vergessen, dass wir nicht alle Emissionen vermeiden können, z.B. bei der Lebensmittelproduktion. Da helfen auch viele zusätzliche Solarpanels oder AKW nicht.

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Zweitens kann mehr Technik für «die Natur» besser sein: Natürliche Ökosysteme stehen heute unter immensem Druck. Wir sollten versuchen, sie zu erhalten, zu renaturieren, anstatt als reine CO2-Filter zu optimieren.
Dabei werden diese Wälder, Böden und andere Ökosysteme auch CO2 entfernen, aber nicht so viel, wie es brauchen wird.
Drittens ist die benötigte Menge an CO2-Entfernung selbst bei massiv reduziertem CO2 Ausstoss unvorstellbar gross.
Viertens ist es oft besser, heute weniger CO2 zu entfernen und dafür in skalierbare Methoden zu investieren, selbst wenn diese teurer sind, um langfristig eine grössere Wirkung zu erzielen.
Fünftens ist Trial-and-Error bei neuen Ideen nötig, auch wenn es der gesellschaftlichen Erwartung an sofortige Perfektion widerspricht. Climeworks war transparent mit den Herausforderungen ihrer Anlagen, die in Island bewusst raue klimatische Bedingungen testeten.
Diese Transparenz ist wichtig für den Vertrauensaufbau, machte das Unternehmen aber auch zur Zielscheibe von Kritik, die die Ursache für Stellenkürzungen fälschlicherweise ausschliesslich in technischen Problemen statt in geopolitischen Verschiebungen und damit in der Finanzierung suchte.

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Die CO2-Entfernung ist schwierig, nicht intuitiv und doch unumgänglich. Sie funktioniert technisch. Damit sie aber erfolgreich skaliert, muss die Gesellschaft die wahren Klimakosten anerkennen, Chancen nutzen und den Akteuren vertrauen.
Der Hochseilakt zwischen gegensätzlichen Erwartungen meistern und in knapper Zeit einen neuen globalen Sektor aufbauen geht nur, wenn Politik, Gesellschaft und Wirtschaft die Pioniere unterstützen.
Editiert von Veronica de Vore
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