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Nachhaltigkeit bei Beschaffung von Textilien gefordert

Sind die Textilien "unbefleckt", oder wurden sie unter menschenunwürdigen Bedingungen produziert? Keystone

Lediglich fünf Prozent der Textilien, die in der Schweiz getragen werden, stammen aus fairem Handel. Handelsorganisationen fordern mehr Nachhaltigkeit. Einzelne Gemeinden, öffentliche Ämter und Unternehmen gehen mit gutem Beispiel voran.

Auf unseren Tellern gehört Bio zur Alltagskost. Doch im Kleiderschrank bleibt Bio rar, wie die Dachorganisation Swiss Fair Trade feststellt: «In der Schweiz werden noch immer viel zu viele Textilien verkauft, die unter menschenunwürdigen Bedingungen produziert wurden.» Die Organisationen des Fairen Handels appellieren an das Verantwortungsbewusstsein von Grosseinkäufern.

Unbefleckte «Corporate Identity»

Gemeinden, Kantone und Unternehmen können sich einen positiven Auftritt verschaffen, wenn sie auf Nachhaltigkeit setzen. Die Chance bietet sich ihnen bei der Vergabe von Aufträgen und bei Beschaffungen, etwa von Uniformen, Dienstanzügen und Berufskleidern.

Für eine unbefleckte «Corporate Identity» eignen sich zertifizierte Produkte aus fairem Handel besonders gut, zum Beispiel Baumwolltextilien mit dem Label «Bio» und «Fair Trade». Diese erfüllen hohe Umwelt- und Sozialansprüche.

Beispiel Stadt Zürich

Die Stadt Zürich ist mit rund 27’000 Angestellten ein Grosskonzern. Sie baut und unterhält Gebäude, vergibt Aufträge an Dritte und kauft ein. Der Aufwand dafür beträgt jährlich zwei Milliarden Franken.

Zürich hat kürzlich, um die Klimaziele zu erfüllen, ein vorbildliches Beschaffungsleitbild mit ökonomischen, sozialen und ökologischen Kriterien verabschiedet. Derzeit plant die Stadt einen Grosseinkauf von Dienstkleidern für Verkehrsbetriebe, Stadtpolizei und weitere Verwaltungsangestellte.

Vorteile gemeinsamer Beschaffung

«Bio ist ein wichtiges Kriterium», sagt Marina Böhm, Leiterin Ausrüstung und Bekleidung bei den Verkehrsbetrieben. Dank der koordinierten Beschaffung kann sie den Bedarf bündeln, den administrativen Aufwand reduzieren, die Stückzahlen erhöhen und Preisvorteile aushandeln.

Auch die Kantone Waadt, Genf und Freiburg nutzen die Vorteile gemeinsamer Beschaffungen und stellen bei Ausschreibungen hohe Anforderungen an die Anbieter: Zertifizierte Bio-Baumwolle, Fasern aus recycliertem Polyester und das Label Oeko-Tex stehen zu oberst auf der Qualitätsliste. Die drei Kantone beschafften kürzlich Bio-Arbeitskleider für 200 Angestellte des Autobahn-Unterhaltsdiensts.

Aus Skandalen gelernt

Auch bei Swiss Olympic ist der Appell angekommen: Die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen, Existenz sichernde Löhne und diverse ökologische Kriterien gehören heute zu den Leitprinzipien bei Beschaffungen.

Die Funktionäre des Spitzensports haben aus Skandalen gelernt: Von Kinderhand genähte Fussbälle und die Ausbeutung von Näherinnen passen schlecht zur Vorbildfunktion des Sports und seinen Athleten.

Nachhaltigkeit im VBS

Auf Reputation bedacht ist auch das es Eidgenössische Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS). Als die Herstellung der Gnägi-Leibchen von der Innerschweiz ins Ausland ausgelagert wurde, hagelte es Proteste im Nationalrat.

Damals meldete Toni Brunner von der Schweizerischen Volkspartei ((SVP) Bedenken an. Inzwischen haben Gewerkschafter wie Corrado Pardini von der Sozialdemokratischen Partei (SP) die Wächterrolle bei Beschaffungen im Ausland übernommen.

Bundesverwaltung kann profitieren

Dieser Rollenwechsel «ist eine Ironie der Geschichte», sagt Rechtsanwalt Marc Steiner. Er ist Experte für das öffentliche Beschaffungswesen. Im Zuge der Auslagerungen von Produktionsstätten – weg von heimischen Berggebieten hin zu den Märkten Asiens – habe das VBS früh eine Sensibilität für Nachhaltigkeit entwickelt. «Davon kann die Bundesverwaltung jetzt handfest profitieren», sagt Steiner.

Die nachhaltige Praxis ist in der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen des Bundes (VöB) verankert. Die VöB trat Anfang 2010 in Kraft. Öffentliche und private Vergabestellen können mit hohen Anforderungsprofilen und Audits direkt Einfluss nehmen auf die jeweiligen Produktionsbedingungen im Ausland.

Spielraum nicht genutzt

Noch gibt es allerdings viele Hürden bei der Durchsetzung von Umwelt- und Sozialstandards: Grosseinkäufer nutzen ihren Spielraum nicht aus, weil sie Angst haben, im Zuge des Beschaffungsverfahrens über internationale Wettbewerbsnormen zu stolpern und in Prozesse verwickelt zu werden. Oder sie verlieren im unübersichtlichen Labelsalat die Übersicht und haben keine Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette.

Die elektronische Plattform simap.ch, die Interessengemeinschaft Öffentliche Beschaffung Schweiz, diverse Fachstellen und Netzwerke sorgen für Transparenz und Support im Beschaffungswesen.

2012 wird der Internationale Baumwollrat erstmals in der Schweiz tagen.

Die 71. Plenarsitzung mit über 500 Delegierten aus aller Welt findet vom 8. bis 12. Oktober in Interlaken statt.

Swiss Fare Trade will das Meeting als Werbeplattform für die Nachhaltigkeit nutzen.

Baumwolle gilt als Schlüsselrohstoff in der Textilindustrie. Das Gefälle zwischen Kleinbauern und Agrokonzernen ist enorm. Zehn Staaten, allen voran China, Indien und die USA, kontrollieren 80 Prozent der Weltproduktion.

Mehr als die Hälfte der produzierten Baumwolle ist gentechnisch verändert.

In der Schweiz hat Baumwolle aus Bio- und Fairtrade-Produktion laut einer Schätzung der Entwicklungsorganisation Helvetas einen Marktanteil von lediglich 5 Prozent.

Die auf zertifizierte Produkte spezialisierte Stiftung Max Havelaar Schweiz wächst mit zehn Prozent und erzielte 2010 mit fairen Produkten einen Rekordumsatz von über 300 Millionen Franken.

Existenzsichernde Verkaufspreise, eine Prämie für Projekte in den Anbaugebieten, langfristiger Handel und Zugang zum Markt sind die Grundsätze von Max Havelaar.

Oft wird das Label mit Bio kombiniert. Das heisst: keine Dünger- und Spritzmittel, keine Grundwasserverschmutzung, kein Einsatz von Gentechnik.

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