
Schmidheiny zufrieden mit Nebenrolle bei Holcim

Der Schweizer Industrielle Thomas Schmidheiny bedauert nicht, dass er die Kontrolle der Zementfabrik Holcim abgegeben hat.
Schmidheiny sagte in einem swissinfo-Interview, dass bei den Parlamentswahlen risikofreudigere Politikerinnen und Politiker gewählt werden sollten, damit das Land weiter modernisiert werden könne.
Thomas Schmidheiny steht an der Spitze einer der einflussreichsten Industriedynastien der Schweiz. Er ist mit 21,7 Prozent Anteilen nach wie vor Holcim-Hauptaktionär.
Seiner Ansicht nach ist das Prinzip «eine Stimme pro Aktie» ein positives Signal für die Schweizer Wirtschaft.
Schmidheiny leitete die Gesellschaft, die frühere Holderbank, nahezu zwei Jahrzehnte lang. Ende 2001 gab er den Posten als Firmenleiter auf, und letzten Februar trat er endgültig als Vorsitzender des Verwaltungsrats zurück.
Kurz zuvor hatte er von einem spanischen Gericht wegen Insiderhandels eine Busse von 2,2 Mio. Schweizer Franken (1,5 Mio. €) aufgebrummt bekommen.
Schmidheiny war auch Verwaltungsratsmitglied der SAirGroup, der die untergegangene Swissair angehörte.
Insiderhandel
Er habe im Insiderfall voll mit den spanischen Behörden zusammengearbeitet, erklärte er. Zur Swissair wollte er sich nicht äussern, da es hier möglicherweise um ein noch hängiges Verfahren gehe.
In einem Bericht des Beratungsbüros Ernst and Young vom Januar wurde die so genannte «Hunter»-Strategie der Swissair, wonach diese Anteile an mehreren anderen Airlines gekauft hatte, scharf kritisiert. Die Strategie war ein missratener Versuch, eine eigene Allianz auf die Beine zu stellen.
Schuld wird vor allem dem Verwaltungsrat gegeben, weil er zugelassen hatte, dass das Swissair-Management zu überrissenen Preisen finanziell angeschlagene Fluggesellschaften kaufte. Laut Bericht hätte der VR ausserdem die SairGroup daran hindern müssen, bei einigen Investitionen europäische Gesetze zu umgehen.
Der Beschluss, ob gesetzlich gegen die SAirGroup vorgegangen werden soll, steht noch aus.
swissinfo: Wie schwierig war es für Sie, in der Holcim dem Prinzip «eine Stimme pro Aktie» zuzustimmen? Schliesslich bedeutet das, dass Sie die Kontrolle über eine Firma aufgeben, die Sie während nahezu 20 Jahren geleitet haben.
Thomas Schmidheiny: Hier ist ausschlaggebend, dass ich die Firma geleitet habe. Für mich war es logisch, dass ich als langjähriger Verwaltungsratsvorsitzender und Firmenleiter die Kontrolle über die Stimmen hatte, denn das schuf ein sehr stabiles Umfeld für die Entwicklung der Holcim. Nun haben wir die letzten zwei Jahre ein Programm ausgearbeitet, um die Funktion des VR-Vorsitzenden von jener des CEO zu trennen …
Ausserdem wollen wir das Prinzip «eine Stimme pro Aktie» einführen, damit es eine wirklich öffentliche Firma wird. Im Lauf dieses Prozesses gewöhnte ich mich an Veränderungen, deshalb war es nicht so schwierig. Ich denke, die Logik dahinter ist das wichtigste.
Wie weit ist die Holcim noch sozusagen Ihr Kind – schliesslich sind Sie ja noch immer Hauptaktionär?
Natürlich lebte ich zwei Jahrzehnte lang sehr intensiv mit dieser Firma, da kann man nicht alles einfach fallen lassen. Heute bin ich nur noch Verwaltungsratsmitglied, aber ich denke, dass ich in dieser Funktion durch meine persönliche Erfahrung noch immer eine Menge zur Entwicklung der Strategie beitragen kann. Aber es ist ganz klar, dass die Leitung nun in der Hand unseres CEO Markus Ackermann liegt. Und dass eine unabhängige Persönlichkeit den Verwaltungsratsvorsitz übernommen hat, war meiner Ansicht nach der richtige Entschluss in der heutigen Zeit.
Wie wichtig ist Ihnen «Corporate Governance»?
Aufgrund der Geschichte der Corporate Governance denke ich, dass die Schweiz ganz allgemein viele Fortschritte gemacht hat. Auch in der Holcim haben wir in den letzten zwei Jahren riesige Fortschritte gemacht. Gleichzeitig mit der Trennung der Funktionen VR-Vorsitzender und CEO leiteten wir ein Programm zur Einführung aller nötigen Schritte ein, welche in der Schweizerischen Börsenverordnung festgehalten sind. Ich bin stolz, dass wir das nun voll und ganz erreicht haben.
Vor fünf Jahren institutionalisierten wir ein Risikomanagementprogramm, und ich denke, heute hat Holcim eines der besten Programme, die es in diesem Bereich gibt. Für den Verwaltungsrat ist es eines der besten Instrumente, um zu kontrollieren, was in der Gesellschaft wirklich geschieht.
Der Name Schmidheiny war Synonym für die bekannteste Industriedynastie der Schweiz. In den Medien hiess es etwa, der Höhepunkt der Dynastie sei überschritten und nun gehe es abwärts. Ist das fair?
Das sieht vielleicht von aussen so aus, und diese Sicht wird dauernd präsentiert. Es ist wohl auch sehr interessant zu sagen, jemandes Karriere sei nun vorbei. So wurde zum Beispiel geschrieben, ich hätte meine Macht abgegeben, als ich die Aktienmehrheit an der Holcim aufgab.
Ich denke, dieser Schritt war ein positives Signal für die Schweizer Wirtschaft: Dass ich die Macht hatte, genau das zu tun, und den Mut zu einer Stellung hatte, in der ich zwar Investor der Holcim bin, diese aber nicht leite.
Ich interpretiere das so, dass wir mit der Modernisierung der Firmenleitung und der Strukturen bewiesen haben, dass wir vorwärts schauen und in einem gewissen Sinne sehr positiv sind. Das kam in der Schweizer Presse nicht zum Ausdruck, aber international haben wir meiner Ansicht nach eine ziemlich grosse Akzeptanz erreicht.
Was läuft heute falsch mit der Schweizer Wirtschaft?
Ich denke, die Schweizer Wirtschaft steht gar nicht so schlecht da. Wir müssen wieder restrukturieren, um in einem stark auf Konkurrenz ausgerichteten Umfeld, der Globalisierung, zu bestehen. An diesen Prozess hat sich die Schweiz schon früher gewöhnt.
Andererseits gibt es Institutionen, deren Zeit abgelaufen ist. Schauen Sie sich die Luftfahrtindustrie an. Da findet ein fundamentaler Wechsel statt. Vor zehn Jahren gab es genau definierte Strukturen, einschliesslich der Preisfestlegung.
Im heutigen Markt ist dies alles in Frage gestellt. Doch in dieser Industrie gibt es noch immer stark regulierte Bereiche, zum Beispiel wie oft man ein Land anfliegen kann, zu welchen Zeiten und mit wie vielen Anflugfenstern. Die Deregulierung ist also nicht abgeschlossen. Ich finde, wir müssten in einigen Bereichen die Deregulierung zu Ende führen.
Gibt es in der Schweiz Beschlussfassungsprozesse, um die gegenwärtigen und künftigen wirtschaftlichen Herausforderungen bewältigen zu können?
Ich finde, dass wir uns auf bestimmten Ebenen mit alten Strukturen und Politiken selber blockieren. Wir haben diesen Herbst Parlamentswahlen. Wenn die Leute Veränderungen wollen, ist dies meiner Ansicht nach eine gute Gelegenheit, um jene Leute zu wählen, die einen Wechsel befürworten.
Was wir im Parlament brauchen, ist etwas mehr Risikobereitschaft statt das Festhalten am Status quo. Aber das ist die Schweizer Mentalität. Wenn man die heutigen Kandidierenden ansieht, sieht man, dass eine neue Generation ins Parlament strebt.
Was wird Thomas Schmidheiny nun tun? Es ist sicher schwierig für jemanden, der so aktiv war wie Sie, loszulassen, ohne seine Energie anderswo einzusetzen?
Natürlich gibt es einen Wechsel im meinem persönlichen Berufsalltag. Aber ich hatte eine zweijährige Übergangszeit, um mich darauf vorzubereiten. Ich kann mich jetzt endlich auf bestimmte Investitionsfragen konzentrieren. Das geht von Weingütern über die Ausweitung und weitere Modernisierung unserer Investitionen in den Hotels in Bad Ragaz bis zu meiner Kunstsammlung. Ich reise auch gerne.
Wie sieht Ihre Kunstsammlung aus?
Mit der Erbschaft unserer Familie kaufte ich die ganze Ferdinand Hodler-Sammlung. Ich finde, das war ein wichtiger Schweizer Maler, und es ist eine grosse Sammlung. Wir haben sie restrukturiert und dabei die Qualität verbessert. Wir füllten einige Lücken, und sie ist sicher eine der wichtigsten Säulen. Abgesehen davon sammle ich auch moderne Kunst, auch dafür interessieren wir uns.
Die Familie Schmidheiny ist als sehr diskret bekannt. Weshalb?
Ich würde das nicht so sagen. Ich glaube, weil ich recht viel meines persönlichen Geldes in der Holcim hatte, wissen die Leute ziemlich genau, was ich getan und welche Leistungen ich erbracht habe. Wer in den letzten 20 Jahren bei mir investiert hat, ist glaube ich ganz gut gefahren. Ich legte viel Transparenz an den Tag. Einige Bereiche gehören mir privat, und das soll so bleiben.
Zwei oder drei Investitionen sind gut bekannt, wie unser Weingut Cuvaison. Wir kauften das Weingut Chapel Hill in Australien, ein neues bauen wir in Argentinien auf, und wir sind an Bad Ragaz beteiligt. Der Rest ist ein privates Portfolio-Management der Familie. Ich glaube nicht, dass es von Interesse ist, und es ist normal, dass eine Familie ein gewisses Vermögensmanagement hat.
swissinfo-interview: Robert Brookes
Thomas Schmidheiny, geboren im Dezember 1945 in Balgach, St. Gallen.
1972 Promotion zum Dr. jur.
Er brauchte 20 Jahre, Holcim aufzubauen und zu einem «Leading Player» des weltweiten Zementmarktes zu machen.
Nach der Einführung der neuen Shareholder-Struktur «Eine Aktie – eine Stimme» hält Thomas Schmidheiny nun noch 27,1% der Stimmrechte. Vorher hatte er mit demselben Aktienanteil 57% von Holcim kontrolliert.
Schmidheiny sagt, der Verlust der Kontrolle über die Firma sei nicht so schwierig gewesen. Immerhin habe er eine zweijährige Ablöseperiode zur Verfügung gehabt.
Die Familie Schmidheiny besitzt unter anderem Weingüter, einen Wellnesshotel-Komplex in Bad Ragaz und die grösste Sammlung von Bildern des Schweizer Malers Ferdinand Hodler.

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