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Operation von trans Jugendlichen: Diese Regeln gelten in der Schweiz

Jugendliche in einem Brunnen im Gegenlicht.
Männerkörper, Frauenkörper: Für Jugendliche, die sich nicht im richtigen Körper wähnen, ist der Druck, etwas an ihrem Geburtsgeschlecht zu ändern gross. Keystone

Das Parlament in Bern diskutiert ein Verbot von geschlechtsangleichenden Operationen für Minderjährige. Noch aber sind die Regeln in der Schweiz liberal. Welche Rechte Eltern und Kinder haben.

Es war die konservative Zürcher Gesundheitsvorsteherin Natalie Rickli (SVP), die das Thema in der Schweiz lancierte: Im Juli forderte sie ein nationales Gesetz, das geschlechtsangleichende Operationen bei Minderjährigen verbietet und Pubertätsblocker nur noch im Rahmen wissenschaftlicher Studien erlaubt.

Jetzt hat ihre Parteikollegin Nina Fehr Düsel, die ebenfalls aus dem Kanton Zürich stammt, eine entsprechende Motion in Bern eingereicht.

Das Parlament wird also über ein Verbot von Transitionseingriffen bei Minderjährigen und einen restriktiven Umgang mit Pubertätsblockern entscheiden müssen.

Das Thema ist ideologisch aufgeladen, betrifft aber nur eine kleine Gruppe. Zwar haben geschlechtsangleichende Operationen bei Minderjährigen in der Schweiz stark zugenommen, das aber auf tiefem Niveau.

Die Zeitung 20 Minuten schreibtExterner Link unter Berufung auf den Bund, die Zahl der Eingriffe sei von 2018 bis 2023 von 7 auf 32 pro Jahr gestiegen. Dabei habe es sich immer um Brust-Operationen gehandelt.

Bislang gibt es in der Schweiz kein spezifisches Gesetz, das die Behandlung von Jugendlichen mit einer Genderdysphorie regelt. Der Rechtsrahmen ist kompliziert, die Praxis nicht einheitlich.

Was also gilt heute, welche Rechte haben Eltern und Kinder und was ist die Behandlungspraxis? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wer entscheidet über eine Geschlechtsangleichung, die Eltern oder das Kind?

Das hängt vom Einzelfall ab. Kinder und Teenager können in der Schweiz an sich selbstständig über medizinische Eingriffe entscheiden, und das auch gegen den Willen der Eltern. Dieser Grundsatz gilt auch für geschlechtsangleichende Operationen. Voraussetzung ist aber, dass sie urteilsfähig sind.

Genderdysphorie bezeichnet das Leiden, das entsteht, wenn das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht nicht mit der erlebten Geschlechtsidentität übereinstimmt.

Transition bezeichnet den gesamten Prozess der sozialen (Anpassung von Kleidung, Pronomen), rechtlichen (administrative Änderung des Geschlechts) und/oder medizinischen (operativ oder mit Hormonen) Geschlechtsangleichung einer trans Person.

Pubertätsblocker sind Medikamente, welche die körperliche Pubertät vorübergehend stoppen oder verzögern und damit Zeit Jugendlichen verschaffen sollen, um über ihre Geschlechtsidentität nachzudenken, ohne dass sich irreversible körperliche Veränderungen (z. B. Stimmbruch, Brustentwicklung) weiter ausprägen.

Hormontherapie nennt man die medizinische Behandlung mit Geschlechtshormonen (z. B. Testosteron oder Östrogen) mit dem Ziel, körperliche Merkmale dem empfundenen Geschlecht anzugleichen.

Torsoplastik bezeichnet chirurgische Eingriffe am Brustkorb, meist zur Entfernung (Mastektomie) oder Formung der Brust (Brustaufbau). Die Brustform lässt sich später erneut korrigieren, die Eingriffe gelten dennoch als irreversibel, weil sie die Bruststruktur verändern. So führt beispielsweise eine Mastektomie zum Verlust der Stillfähigkeit.

Genitaloperationen umfassen unter anderem den Aufbau einer Vagina für trans Frauen (Neovagina), oder bei trans Männern den Bau eines Penis (Phalloplastik) respektive die Verlängerung der Klitoris zu einem kleinen Penis (Metoidioplastik). Daneben gibt es eingriffe an Hoden, Harnröhre, Eierstöcken und Gebärmutter.

Was bedeutet «urteilsfähig» bei geschlechtsangleichenden Operationen?

Der Begriff ist relativ. Die Urteilsfähigkeit hängt von der persönlichen Reife wie auch von der medizinischen Massnahme ab, und ihre Beurteilung ist Gegenstand ärztlicher Abklärungen.

Eine rechtlich verbindliche Altersgrenze, ab der die Urteilsfähigkeit angenommen wird, gibt es nicht. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften nennt in ihren medizin-ethischen Richtlinien Externer Linkallerdings Eckwerte.

Demnach ist bei geringfügigen medizinischen Entscheidungen ein Mindestalter von 7 Jahren angemessen. Für einfache Eingriffe gelten 12 und für komplexe Behandlungen 16 Jahre als Orientierungspunkt. Geschlechtsangleichende Operationen wie auch die Abgabe von Pubertätsblockern fallen in diese dritte Kategorie.

Setzen geschlechtsangleichende Operationen die Urteilsfähigkeit der Betroffenen voraus?

Die Nationale Ethikkommission hat 2024 umfangreiche EmpfehlungenExterner Link zur Behandlung von Minderjährigen mit einer Geschlechtsdysphorie abgegeben.

Irreversible Massnahmen, also chirurgische Eingriffe ins Geschlecht, setzen demnach immer die Urteilsfähigkeit der Betroffenen voraus. Auch wenn die Eltern einverstanden wären, müssen Betroffene mit einem Eingriff zuwarten, bis sie im konkreten Fall als urteilsfähig gelten.

Die Abgabe von Pubertätsblockern hingegen wird als reversibel betrachtet und ist vor Erreichen der Urteilsfähigkeit möglich. Voraussetzung ist hier, dass dies die Betroffenen wollen, dass die Eltern einwilligen und dass eine medizinische Indikation vorliegt.

Die Quote von trans Personen, die einen Eingriff bereut, ist klein, die Studienlage dazu aber noch nicht optimal. Wie es ist, wenn man die Transition bereut, hat uns Nadja Brönimann erzählt:

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Was passiert in Fällen mit geschiedenen Eltern, die sich nicht einig sind?

Die Behörden reden mit. Haben geschiedene Eltern die gemeinsame elterliche Sorge, was heute der Normalfall ist, müssen sie beide in schwerwiegende medizinische Eingriffe einwilligen, sofern ihre Minderjährigen Kinder noch nicht urteilsfähig sind.

Sind sich die Eltern nicht einig, kann die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) angerufen werden. Sie prüft, was dem Kindswohl entspricht und kann entsprechend einem Elternteil die Entscheidungsbefugnis in dem Fall übertragen.

Weicht die Behandlungspraxis in der Schweiz vom rechtlichen Rahmen ab?

Kurz gesagt: Ja. Um das zu verstehen, muss man zwei Punkte anschauen.

Erstens: Die Schweiz setzt für geschlechtsangleichende Massnahmen einen liberalen Rechtsrahmen, der auf die ärztliche Expertise vertraut. Das geht so weit, dass der Bund die Erarbeitung von Therapierichtlinien explizit ablehnt.

Zweitens: Der Ethik-Rat hält in seinen Empfehlungen fest, dass das «Vorenthalten einer medizinisch indizierten und von der urteilsfähigen Person gewünschten Behandlung in der Grundversorgung ethisch unzulässig» sei.

Trotz dieser Ausgangslage sind geschlechtsangleichende Operationen bei Minderjährigen in der Schweiz ausgesprochen selten. Die Eingriffe beschränken sich in der Regel auf Torsoplastiken, also die Veränderung der Brustform. Hingegen lehnen die meisten Kliniken Eingriffe an den primären Geschlechtsorganen bei Minderjährigen ab.

Müssen Ärztinnen und Ärzte die Eltern über die Behandlung informieren?

Sind Kinder noch nicht urteilsfähig, müssen die Eltern immer in die Behandlungsentscheidung eingebunden werden. Hingegen besitzen urteilsfähige Jugendliche die Informationshoheit. Ihre Behandlung fällt unter das Arztgeheimnis.

Der Ärzteverband FMH rät Ärztinnen und Ärzten in einem Leitfaden, sich – wo immer es keinen Bruch zwischen Eltern und Kindern gibt – von ihrer Schweigepflicht entbinden zu lassen, um Informationen auch mit den Eltern teilen zu können.

Gibt es bekannte Fälle, in denen Eltern und Kinder über die Behandlung streiten?

Fälle, in denen Eltern die Transition ihres Kindes ablehnen und juristisch zu verhindern versuchen, sind in der Schweiz bislang nur wenige an die Öffentlichkeit gelangt.

Das bekannteste Beispiel stammt aus Genf, wo 2022 eine 13-Jährige eine Transition beginnen wollte. Die Eltern lehnten Pubertätsblocker ab und forderten psychologische Betreuung.

Das Mädchen wurde auf Anordnung der Behörden von den Eltern getrennt. Später entschied ein Genfer Gericht, dass die Eltern die Geschlechtsanpassung ab dem 16. Geburtstag ihres Kindes nicht mehr verhindern können.

Der Fall wurde von der christlich-konservativen Organisation ADF International begleitet und weltweit für Propaganda genutzt.

Gibt es Kritik an medizinischen Einrichtungen?

2024 wurden Vorwürfe von Eltern an mehrere Institutionen öffentlich, die sich auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Genderdysphorie spezialisiert haben.

In vier von neun Fällen zielte die Kritik auf die Klinik- für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Zürich: Diese handle vorschnell und setzte Eltern unter Druck, indem sie die Suizidgefahr bei trans Kindern hervorhebe. Die Klinik bestritt die Vorwürfe.

Die Eltern richteten sich in einem Brief an die Kantonsärztin sowie die Zürcher Gesundheitsvorsteherin Natalie Rickli, die in der Folge einen Bericht erstellen liess und 2025 mit der Forderung nach einem nationalen Verbot vor die Medien trat.

Können Minderjährige über die administrative Änderung des Geschlechts selbst entscheiden?

Die administrative Geschlechtsänderung setzt die Urteilsfähigkeit der betroffenen Person voraus. Diese wird für diese spezifische Entscheidung laut dem Bund ab einem Alter von 12 Jahren grundsätzlich vermutet.

Unter 16-Jährige müssen allerdings zusätzlich die Zustimmung ihrer Eltern haben. Ab 16 Jahren liegt der Entscheid bei vorliegender Urteilsfähigkeit allein bei den Betroffenen.

Seit dem 1. Januar 2022 kann das administrative Geschlecht in der Schweiz mit geringem Aufwand geändert werden, das Interesse ist gross.

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Administrative Geschlechtsänderung boomt in der Schweiz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Mehr als 100 Personen haben eine Änderung ihres amtlichen Geschlechts beantragt, seitdem das Gesetz in der Schweiz per 1. Januar 2022 gelockert wurde.

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Wo steht die Schweiz bei den geschlechtsangleichenden Operationen im internationalen Vergleich?

Zumindest auf dem Papier gehört die Schweiz heute zu den progressivsten Ländern im Umgang mit OPs bei trans Jugendlichen. In der Praxis allerdings beschränkt sich die Offenheit auf «Top-Surgerys», also Eingriffe an der Brust.

Die jetzt losgetretene Diskussion um ein Verbot folgt dem Beispiel anderer, ehemals progressiver Länder wie Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland oder Grossbritannien, die ihre Richtlinien verschärft haben und Transitionseingriffe bei Minderjährigen nur noch in absoluten Ausnahmefällen erlauben.

Auch die Abgabe von Pubertätsblockern haben diese Länder eingeschränkt.

Editiert von Balz Rigendinger

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