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Kalorienbomben auf Tiktok: Wie Lebensmittelmultis die Gen Z verführen

Zwei Münder schlecken an Eis am Stiel
Genuss verkauft sich gut, wenn es um Verbraucher:innen der Generation Z geht. EPA/Frank May

Lebensmittelunternehmen wollen dank der Generation Z höhere Gewinne erwirtschaften. Deshalb nutzen sie deren Vorliebe für Leckereien und Social-Media-Trends, um den Umsatz anzukurbeln.

Die Generation Z (Jahrgang 1997–2012) liegt zwischen den Millennials und der Generation Alpha. Sie macht 25% der Weltbevölkerung aus und ist auf bestem Weg, die grösste Konsument:innengruppe der Geschichte zu werden.

Gemäss einem 2024 veröffentlichten Bericht von NielsenIQ, GfK und World Data Lab mit dem Titel «Spend ZExterner Link» dürfte die Kaufkraft der Gen Z bis 2030 auf 12 Bio. US-Dollar (9,7 Bio. Schweizer Franken) oder 18,7% der Ausgaben weltweit ansteigen.

Der Bericht geht zudem davon aus, dass Gen Z die wohlhabendste aller Generationen sein wird und bis 2029 mehr ausgegeben haben wird als die Babyboomer (Jahrgang 1946–1964). Die Ausgaben der Generation Z dürften in den nächsten zehn Jahren mit 4% doppelt so schnell steigen wie bei früheren Generationen.

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Das Potenzial der Generation Z für das künftige Wachstum von Lebensmittelunternehmen wie Nestlé ist enorm. Ganz so einfach wie frühere Generationen lässt sich Gen Z jedoch nicht um den Finger wickeln, denn Gen Z ist nicht auf Marken fixiert.

Laut dem Bericht «Spend Z» sind 67% der Befragten der Meinung, dass markenlose Produkte (Eigenmarken) genauso taugen wie landesweit bekannte Markenprodukte.

Mehr Genuss, aber auch mehr Kalorien

Ein Weg ins Portemonnaie der Gen Z führt über ihre Schwäche für Genuss, die sich unter Stress noch verstärkt. Aus einem BerichtExterner Link des International Food Information Council aus dem Jahr 2022 geht hervor, dass sich bei der amerikanischen Generation Z 33% der Befragten als «stark gestresst» bezeichnen, gegenüber 29% bei den Millennials, 25% in der Generation X und 10% der Babyboomer.

Eine weitere UmfrageExterner Link zur Einstellung der Generation Z zu Gesundheit und Wellness, die im Januar 2025 veröffentlicht wurde, schätzt, dass sechs von zehn Befragten zu ungesundem Essen und Trinken greifen, um Stress abzubauen.

Bei Lebensmitteln die richtige Wahl zu treffen, empfindet die Gen Z als Stress. Laut der auf Genussmarken spezialisierten Agentur Method 1 fühlt sich die Generation Z ausserordentlich unter Druck, ihre Ess- und Trinkgewohnheiten mit ihrer Identität und ihren Werten in Einklang zu bringen.

Genau dies jedoch führt zu Angst und lässt das Bedürfnis nach Genuss ansteigen, was wiederum mit Schuldgefühlen verbunden ist, folgert die jüngste Analyse der Agentur über den Zwiespalt der Gen Z zwischen Gesundheit und Genuss mit dem Titel «Being Good by Being BadExterner Link».

«Während die Gen Z auf Instagram grüne Smoothies zubereitet und sich mit einem Workout stählt, frisst sie abseits der Kamera den Stress in sich hinein. Tagsüber widmet sie sich Makronährstoffen und der Meditation, spätabends aber, wenn der Druck des Lebens sie überwältigt, haut sie mit Kalorien und Geschmack so richtig rein», meint Allison Arling-Giorgi, Leiterin der Markenabteilung bei Method 1.

Ein Beispiel dafür, wie Unternehmen die Schwäche der Gen Z für den sündhaften Genuss ausnutzen, ist das neue Eis «Cornetto Max», das Unilever im August auf den Markt gebracht hat. Der Lebensmittelriese macht gar keinen Hehl daraus, wer mit diesem Produkt angesprochen werden soll.

«Das Cornetto Max wurde entwickelt, um die Vorliebe der Generation Z für Maximalismus anzusprechen – ein Trend, bei dem der Überfluss zelebriert wird», so Unilever auf seiner WebsiteExterner Link.

Das neue Cornet kommt luxuriös daher: zuerst eine scheibe feste Schokolade, zwei verschiedene Sorten Eis und ein cremig-süsser Saucenkern. Aber auch bei den Kalorien hat es das Edeleis in sich: Ein Cornetto Max Hazelnut & Chocolate liefert 349 Kalorien pro 100 g und 19 g Fett, verglichen mit einem Cornetto Classico Chocolate Vanilla mit 272 Kalorien und 15 g Fett.

Unilever ist nicht das einzige Lebensmittelunternehmen, das gezielt auf den fetten Genuss setzt. Zum neu lancierten Exträaz-Sortiment von Häagen-Dazs Eis (einer Nestlé-Marke) gehören auch ungesunde Eissorten wie Keksbutter und Fudge-Brownie-Stückchen.

«Die in Kanada eingeführten neuen Exträaz-Geschmacksrichtungen von Häagen-Dazs wurden speziell für ein aufregendes, multisensorisches Geschmackserlebnis entwickelt, das jüngere Eiskonsumenten anspricht», heisst es im Jahresbericht 2024 von Nestlé.

Auch Exträaz enthält Kalorien in Hülle und Fülle: 430 Kalorien pro 180 Milliliter Exträaz Cookie Butter Crumble Eis gegenüber 370 Kalorien einer vergleichbaren Portion Schokoladeneis der gleichen Marke – das entspricht gut 15 % mehr Kalorien pro Portion.

TikTok machts vor

Besonders an der Generation Z ist auch, dass bei ihr als erster Generation mehr als die Hälfte der Kaufkraft aus Schwellenländern stammt: Nur 10% der Gen Z lebt in Europa oder Nordamerika, und nur 44% des Umsatzes stammt aus diesen Märkten.

Lock Chun Yie ist ein solcher Gen-Z-Konsument aus einem Schwellenland. Der Wirtschaftsstudent an der University of Malaya im malaysischen Kuala Lumpur gehört zu einem Dutzend «Nestlé Youth Influencer», die von der malaysischen Nestlé-Niederlassung auserkoren wurden. Sie sollen 2024 als Jugendbotschafter die Marke auf den Universitätsgeländen des Landes bewerben.

«Mein Lieblingsprodukt von Nestlé ist das Schokoladengetränk Milo», erklärt der 22-Jährige gegenüber Swissinfo.

Die jugendlichen Influencer erhalten zwar kein Geld, werden dafür aber mit Nestlé-Produkten ausgestattet und für Praktikumsplätze im Unternehmen bevorzugt berücksichtigt. Ihre Aufgabe ist es, über ihre persönlichen Social-Media-Konten auf ihrem jeweiligen Campus für die Marke zu werben.

«Ich bin das Bindeglied zwischen Nestlé und der Campusgemeinschaft», sagt Lock. «Ich helfe bei der Organisation von Campus-Veranstaltungen wie Karrieremessen mit und verfasse Instagram-Posts zu Nestlé-Veranstaltungen, damit wir dort genügend Teilnehmer:innen und Freiwillige haben.»

Lebensmittelunternehmen nutzen immer häufiger die grosse Reichweite sozialer Medien, um die Generation Z zu erreichen und ihr Bedürfnis nach Leckereien zu stillen. Im November und Dezember 2021 führte die unabhängige britische Stiftung Nesta in Grossbritannien ein Projekt mit 284 Jugendlichen im Alter von 13 bis 16 Jahren durch, um Daten über Lebensmittel- und Getränkewerbung zu sammeln, welche sie online zu sehen bekamen.

Die Studie ergab, dass mehr als 70% des Marketings mit dieser Zielgruppe auf nur vier sozialen Medienplattformen platziert worden war. Zudem wurden bei den 4879 gesammelten Werbungen über 70% der beworbenen Lebensmittel als ungesund eingestuft.

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Ein Beispiel dafür, wie Lebensmittelunternehmen soziale Medien nutzen, um jungen Konsument:innen Produkte mit geringem Nährstoff- und hohem Kaloriengehalt zu verkaufen, ist der Versuch von Nestlé, aus dem TikTok-Trend «Dirty Soda» Kapital zu schlagen. Für «Dirty Soda» werden Sirup und Rahm in eine Limonade gemischt, die danach über Eiswürfel gegossen wird.

Nestlé hat sich mit der Softdrink-Marke Dr. Pepper zusammengetan und einen speziellen Creamer für Dirty Soda entwickelt. Eigentlich sind Creamer ein Ersatz für Milch oder Sahne, sie enthalten keine Milchbestandteile und sind lange haltbar.

«Der neue Creamer ‹Dirty Soda Coconut Lime› von ‚Coffee mate‘, der mit Dr. Pepper entwickelt wurde, nutzt den viralen TikTok-Trend ‹Dirty Soda› und schafft einen neuen Genussmoment für die ikonische Marke», so Nestlé in seinem im Februar veröffentlichten Jahresbericht 2024.

Ein Esslöffel (15 ml) Creamer fügt dem ohnehin schon ungesunden Getränk 35 Kalorien hinzu und enthält zudem gentechnisch veränderte Zutaten.

«Nestlés Dirty-Soda-Partnerschaft mit Dr. Pepper im Sog des gleichnamigen TikTok-Trends zeigt, dass der Lebensmittelindustrie ihr Profit zunehmend wichtiger als die Gesundheit unserer Jugend. Ungesunde Ernährung ist ein bedeutender Risikofaktor für verschiedene chronische Erkrankungen.

Mit solchen heimtückischen Online-Kampagnen werden die Kinder ständig in Versuchung geführt», kritisiert Kathryn Backholer, Co-Direktorin des Global Centre for Preventive Health and Nutrition (GLOBE) an der Deakin University in Australien.

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Backholer ist Mitverfasserin der ersten wissenschaftlichen Studie zum Marketing für ungesunde Lebensmittel und Getränke auf TikTok. Die Studie trägt den Titel «Wie Nutzer:innen zu ‹inoffiziellen Markenbotschafter:innen› werdenExterner Link und zeigt, dass 92% der einschlägigen Videos von Nutzer:innen produziert wurden, die nicht von den Marken bezahlt wurden, und dass 73% eine positive Stimmung vermittelten.

Mit anderen Worten: Konsument:innen werden durch nutzergenerierte Inhalte ungewollt selbst Werbung produzieren und verbreiten.

Nestlé bestreitet, dass sich das Unternehmen virale Social-Media-Trends zunutze macht, um mit seinen neuen Produkten Minderjährige zu erreichen.

«Nestlé setzt sich seit Jahren mit freiwilligen Massnahmen für ein verantwortungsvolles Marketing gegenüber Kindern ein und wendet strenge Standards an. Wir beschränken bezahlte Medienwerbung an Kinder unter 16 Jahren auf allen Kanälen, auch in sozialen Medien. Diese Politik gilt auch für Partnerschaften mit Influencer:innen, und wir nehmen keine Influencer:innen unter 18 Jahren unter Vertrag», lässt das Unternehmen verlauten.

Ein jüngeres Publikum kann jedoch auch anders erreicht werden, ohne die Richtlinien für verantwortungsbewusstes Marketing zu verletzen – nämlich indem man einen 35-jährigen Influencer mit grosser Fangemeinde engagiert.

Im Mai gab Nestlé eine ZusammenarbeitExterner Link mit dem amerikanischen Illusionisten Zach King bekannt, der 82 Mio. TikTok-Follower hat und den WeltrekordExterner Link für das meistgesehene TikTok-Video hält. King konnte als erster globaler Influencer für Nescafé gewonnen werden.

«Zach Kings Fangemeinde ist jung und divers. Sie verkörpert den Geist unseres neu lancierten kalten Kaffeegetränks Nescafé Espresso Concentrate», erklärt David Rennie, Executive Vice-President bei Nestlé und Leiter der strategischen Geschäftseinheiten sowie Marketing und Vertrieb, in der offiziellen Ankündigung der Partnerschaft.

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Editiert vonVirginie Mangin/ts, Übertragung aus dem Deutschen: Lorenz Mohler

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