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Klimaklage gegen Zementriesen Holcim: «Wir wollen unsere Heimat retten»

Holcim Klimaklage
Ibu Asmania (links) und Arif Pujianto, aus Pari in Indonesien, fordern den Schweizer Zementhersteller Holcim auf, seine CO2-Emissionen zu reduzieren. Luigi Jorio

Die Bewohnerinnen und Bewohner von Pari, einer kleinen Insel in Indonesien, werfen dem Schweizer Zementriesen Holcim vor, ihre Existenz zu bedrohen. Erstmals wird ein Unternehmen vor einem Schweizer Gericht wegen Klimaschäden angeklagt.

«Es ist wunderschön hier, erinnert mich an meine Heimat», sagt Arif Pujianto. Er steht am Ufer des Genfersees und beobachtet, wie sich das Sonnenlicht auf der Wasseroberfläche spiegelt. In der Nähe leeren lokale Fischer in einer Holzhütte ihre Netze.

Der 54-Jährige lebt ebenfalls in der Nähe des Wassers. Er besitzt ein Haus am Strand von Pari, einer kleinen Insel in Indonesien. Sein Sohn ist Fischer, er selbst repariert Motorräder und Bootsmotoren. Doch das Meer, von dem seine Familie lebt, wird zunehmend zur Bedrohung.

Der Wasserstand steigt ständig und überschwemmt immer wieder Strassen und Häuser. Salzwasser verunreinigt die Süsswasserbrunnen. Die Fischerei und der Tourismus, die wichtigsten Wirtschaftszweige der Insel, sind gefährdet.

«Wir verlieren unsere Insel»

«Wir verlieren unsere Insel wegen des Klimawandels», sagt Pujianto während eines Treffens in Tolochenaz, das Ende August von der Hilfsorganisation der Evangelisch-reformierten Kirche (HEKS) organisiert wurde.

Für Pujianto hat einer der Schuldigen einen Namen: Holcim. Der Schweizer Multikonzern mit Sitz in Zug ist einer der weltweit grössten Zementproduzenten.

Laut dem Climate Accountability Institute gehört Holcim zu den 180 UnternehmenExterner Link, die seit der vorindustriellen Zeit weltweit die meisten CO₂-Emissionen verursacht haben.

Pujianto hat mit anderen Inselbewohnern und -bewohnerinnen eine Zivilklage gegen Holcim eingereicht, in der das Unternehmen wegen seiner Rolle in der Klimakrise zur Verantwortung gezogen werden soll.

Die Menschen auf Pari haben nicht zur globalen Erwärmung beigetragen, leiden aber unter deren Folgen, beklagt er: «Das ist unfair.»

Ob Holcim dafür zur Verantwortung gezogen wird, entscheidet ein Schweizer Gericht. Ab dem 3. September findet vor dem Kantonsgericht Zug eine Vorverhandlung über die Zulässigkeit der Klage statt.

Es ist die erste Klage dieser Art gegen einen grossen Zementkonzern. Gleichzeitig ist es die erste Klage indonesischer Bürgerinnen und Bürger gegen ein ausländisches Unternehmen wegen klimabedingter Schäden.

Der Fall Holcim könnte einen Präzedenzfall für ähnliche Klagen in der Schweiz und weltweit schaffen. «Wir sind Klimawandelopfer. Wir wollen für unsere Rechte kämpfen», sagt Ibu Asmania, eine der Klägerinnen, die Pujianto zu der historischen ersten Anhörung begleiten wird.

Holcim Klimaklage Indonesien
Bedrohtes Paradies: Pari auf Indonesien. Keystone / Mast Irham

Die Insel liegt etwa 30 Kilometer nordöstlich von Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens. Die 1500 Einwohnerinnen und Einwohner der Insel leben auf einer Fläche von etwa 0,5 Quadratkilometer. Der höchste Punkt der Insel liegt nur 1,5 Meter über dem Meeresspiegel.

Bis 2050 wird der grösste Teil von Pari verschwinden

Überschwemmungen durch Flutwellen gehören seit Langem zum Leben auf der Insel. Doch durch die Klimakrise werden sie immer häufiger und reichen immer weiter ins Landesinnere hinein.

«Einmal kam das Wasser nachts. Wir mussten blitzschnell unsere Elektronik retten und uns in Sicherheit bringen», erinnert sich Pujianto an die Überschwemmung von 2021.

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Laut Umweltorganisationen könnte bis 2050 der grösste Teil von Pari unter Wasser stehen.

Die Bewohnerinnen und Bewohner wollen deshalb die Fundamente ihrer Häuser verstärken oder ihre Häuser weiter vom Ufer entfernt neu bauen.

Zudem haben sie Mangroven gepflanzt, um die Küste vor Erosion zu schützen. Es sind jedoch auch Wellenbrecher erforderlich. «Das ist sehr kostspielig, und wir können es uns nicht leisten», sagt Pujianto.

Im Jahr 2021 prognostizierte die Weltbank, dass bis 2050 rund 48,4 Millionen Menschen in Ostasien und im Pazifikraum – zu dem auch Indonesien gehört – aufgrund klimabedingter Katastrophen gezwungen sein könnten, ihre Häuser zu verlassen.

Pujianto möchte seine Insel jedoch nicht verlassen. Er fordert eine Entschädigung für einen Teil der erlittenen Schäden sowie Unterstützung zum Schutz seines Zuhauses.

Deshalb reichte er im Januar 2023 mit drei anderen Personen von Pari in der Schweiz eine Zivilklage gegen Holcim ein. Dabei werden sie von HEKS, dem Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) und WALHI, Indonesiens grösster und ältester Umwelt-NGO, unterstütztExterner Link.

Die Schäden des Klimawandels

Die Klägerinnen und Kläger machen geltend, dass die CO₂-Emissionen von Holcim eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte gemäss dem Schweizerischen Zivilgesetzbuch darstellen.

Laut einer StudieExterner Link des Global Climate Forum sind die Schäden auf Pari tatsächlich auf die globale Erwärmung zurückzuführen, welche wiederum mit den Treibhausgasemissionen in Verbindung steht.

Die Zementproduktion ist für rund 8 ProzentExterner Link der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Würde die Zementindustrie ein Land sein, würde sie zu den Ländern mit der höchsten Umweltverschmutzung zählen.

Juli 2022: Vier Einwohner:innen von Pari, Indonesien, reichen einen Antrag auf Schlichtung beim Friedensrichter im Kanton Zug, Schweiz, ein, wo Holcim seinen Hauptsitz hat.

Oktober 2022: Die Schlichtungsverhandlung scheitert. Holcim lehnt die Forderungen der Klägerinnen und Kläger ab, darunter eine Entschädigung in Höhe von insgesamt 14’700 Franken für Schäden und die Finanzierung von Hochwasserschutzmassnahmen.

Januar 2023: Die vier Personen reichen beim Kantonsgericht Zug eine Zivilklage ein und berufen sich dabei auf eine «Verletzung der Persönlichkeitsrechte» gemäss Artikel 28 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, verursacht durch die CO₂-Emissionen von Holcim.

Oktober 2023: Das Zuger Gericht gibt dem Antrag der Klägerinnen und Kläger auf Prozesskostenhilfe statt, erkennt ihre finanzielle Notlage an und kommt zu dem Schluss, dass die Klage nicht unbegründet ist.

September 2025: Verhandlung vor dem Kantonsgericht Zug, das über die Zulassung der Klage entscheiden muss.

Nach BerechnungenExterner Link des Climate Accountability Institute (CAI), einer gemeinnützigen Forschungsorganisation mit Sitz in den USA, verursachten die Aktivitäten von Holcim zwischen 1950 und 2021 mehr als sieben Milliarden Tonnen CO₂-Emissionen. Dies entspricht 0,42% aller weltweiten CO₂-Emissionen seit 1750.

Kompensation und weniger Emmissionen

Dieser Wert von 0,42% entspricht auch dem Anteil der Klimaschäden, den die vier indonesischen Kläger von Holcim für dessen historischen Beitrag zur globalen Erwärmung fordern. Das sind etwa 3600 Franken pro Person oder insgesamt rund 14’700 Franken.

Die Klägerinnen und Kläger fordern ausserdem, dass Holcim seine Emissionen bis 2030 um 43% und bis 2040 um 69% gegenüber dem Niveau von 2019 reduziert, entsprechend den Zielen des Pariser Abkommens.

Der Fall kombiniert zwei verschiedene Ansätze – Entschädigung und Emissionsreduktion – und ist daher «bahnbrechend», sagt Miriam Saage-Maass, Rechtsexpertin beim ECCHR.

Klimaklagen weltweit auf dem Vormarsch

Die Klage gegen Holcim ist Teil einer globalen und wachsenden Bewegung. Die Datenbank der Columbia University listet mehr als 2000 klimabezogene Gerichtsverfahren in über 40 Ländern, vor allem in den USA. Allein im Jahr 2024 wurden 258 neue Fälle eingereicht, verglichen mit 91 vor zehn Jahren.

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Am 23. Juli erklärte der Internationale Gerichtshof in Den Haag, dass Länder und ihre Unternehmen verpflichtet sind, der «existenziellen Bedrohung» durch den Klimawandel durch Emissionsreduktionen und Entschädigungen für die Opfer zu begegnen.

Im Jahr 2024 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem historischen Urteil die Schweiz dafür, dass sie nicht genug unternommen habe, um ihre eigene Bevölkerung vor den Auswirkungen der globalen Erwärmung zu schützen.

«An vielen Orten in Europa gehen Menschen rechtlich gegen Staaten und Unternehmen vor, um sie zum Klimaschutz zu zwingen», sagt Saage-Maass.

Der Fall gegen Holcim ist jedoch erst der zweite weltweit, der von Betroffenen aus dem Globalen Süden angestrengt wurde.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Schweiz ist beispiellos:

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Holcim: «Das Klima ist keine Angelegenheit für die Gerichte»

Holcim äussert sich nicht direkt zu dem laufenden Verfahren. In einer E-Mail an Swissinfo erklärte Livio Brandenberg, Sprecher des Unternehmens, die Frage, wer wie viel CO₂ ausstossen darf, sei «eine Angelegenheit für den Gesetzgeber und keine Frage für ein Zivilgericht».

Holcim argumentiert, dass Klagen gegen einzelne Unternehmen kein wirksames Mittel seien, um der globalen Komplexität des Klimaschutzes gerecht zu werden.

Das Schweizer Unternehmen gibt an, seinen CO₂-Fussabdruck bereits deutlich reduziert zu haben, und strebt eine weitere Senkung bis 2030 an. Bis 2050 will das Unternehmen klimaneutrale und vollständig recycelbare Baumaterialien herstellen.

Erste Anhörung vor dem Zuger Gericht

Das Kantonsgericht Zug ist das erste Schweizer Gericht, das über den Fall entscheidet. Auf Grundlage der von beiden Seiten während der heutigen Anhörung vorgebrachten Argumente entscheidet es über die Zulässigkeit der Klage. Diese Entscheidung wird in den kommenden Tagen oder Wochen erwartet.

Lässt das Gericht die Klage zu, wird es die Ansprüche der Kläger prüfen. Ein positives Urteil würde laut den im Fall engagierten NGOs klarstellen, dass es im Schweizer Zivilrecht keine Rechtslücke hinsichtlich der Folgen des Klimawandels gibt und dass Betroffene klagen können.

Wird die Klage hingegen als unzulässig erachtet, wird sie abgewiesen. Dies bedeutet jedoch nicht das Ende des Verfahrens: Gegen die Entscheidung kann vor dem kantonalen Gericht zweiter Instanz Berufung eingelegt werden.

Unabhängig vom Urteil ist davon auszugehen, dass der Fall vor das Bundesgericht, die höchste gerichtliche Instanz der Schweiz, gebracht wird.

Pujianto und Asmania bleiben hoffnungsvoll. Sie betonen, dass ihre Argumente auf soliden wissenschaftlichen Daten und den realen Auswirkungen des Klimawandels basieren. Mit der Entschädigung wollen sie ihre Häuser verstärken, mehr Mangroven pflanzen und Wellenbrecher aus Steinen errichten.

«Wir wollen unsere Insel retten und eine Quelle der Inspiration für alle sein, die für Klimagerechtigkeit kämpfen – nicht nur in Indonesien, sondern auf der ganzen Welt», sagt Asmania.

In einer früheren Version des Artikels hatten wir angegeben, dass der CEO von Holcim im Jahr 2024 einen Lohn von 45 Millionen erhalten habe. Da dieser Betrag ungenau ist, haben wir ihn gestrichen.

Edited by Marc Leutenegger/ts, Übertragung aus dem Englischen mithilfe von Deepl: Balz Rigendinger

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