Die zwei Gesichter des Schweizer Zementriesen Holcim
Just an dem Tag, an dem sich Holcim in Zug vor Gericht gegen eine Klimaklage wehrt, wirbt der Zementriese an einem Kongress ein paar Kilometer weiter für seine Netto-Null-Pläne. Was ist das grüne Versprechen wert?
Das Wasser kommt, und es nimmt ihnen die Heimat. Der steigende Meeresspiegel, eine Folge des Klimawandels, trifft die Insel Pari vor der Küste Indonesiens hart. Vier Einwohner klagen deshalb in der Schweiz gegen Holcim.
Ihre Argumentation geht so: Die Zementindustrie verantwortet 8 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Holcim ist einer der grössten Produzenten weltweit. Die Klage, die von NGOs unterstützt wird, richtet sich also gegen einen Mitverursacher.
Das wirkt beliebig. Aber, so die nachvollziehbare Logik der Klage, auch in komplexen Systemen muss es Verantwortliche geben.
Sollte die Justiz bestätigen, dass Holcim für einen Teil der Schäden auf Pari haftet, wäre das ein Dammbruch. Das ist, was diesem Prozess so viel Aufmerksamkeit beschert. Holcim hält die erste Verteidigungslinie für alle Unternehmen dieser Welt, deren Geschäfte dem Klima schaden.
Der geläuterte Konzern
Der erste Akt fand am Mittwoch im Kanton Zug statt, wo Holcim seinen Sitz hat, so wie viele globale Konzerne. Der Zementriese will, dass die Klage abgewiesen wird, es also gar nie zu einer Verhandlung der Haftungsfrage vor Gericht kommt.
Das Zuger Kantonsgericht hat seinen Entscheid noch nicht kommuniziert. Er dürfte ohnehin nicht abschliessend sein. Beide Seiten werden wohl den Weg durch die Instanzen ausschöpfen.
Selbst der Gang nach Strassburg scheint möglich. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gilt in Klimafragen als progressiv – spätestens, seit er 2024 die Klage der sogenannten KlimaSeniorinnen gegen die Schweizer gutgeheissen hat.
Holcim kommuniziert bezogen auf den Prozess zurückhaltend. Gab es Gespräche über eine aussergerichtliche Einigung mit den Klägern von Pari? Wäre eine solche denkbar? Der Konzern lässt diese Fragen unbeantwortet und verweist auf seine offizielle Stellungnahme.
Darin heisst es: «Wir warten nun den Entscheid des Gerichts ab, doch unabhängig davon, wie dieser ausfallen wird, ist Holcim fest entschlossen, bis 2050 Netto-Null zu erreichen, wobei Nachhaltigkeit im Mittelpunkt unserer Strategie steht.»
Das 44-Prozent-Problem
Es ist das Bild, das der Konzern nach aussen tragen will. In Winterthur, nur eine Autostunde vom Zuger Kantonsgericht entfernt, tritt am selben Mittwoch Clemens Wögerbauer auf, der Nachhaltigkeitsbeauftragte von Holcim Schweiz.
Der Rahmen ist das Swiss Green Economy Symposium (SGES), eine Konferenz, an der sich Unternehmen, Politik und NGOs treffen und über Nachhaltigkeit austauschen und zu vernetzen.
Wögerbauers Botschaft: Wir alle brauchen Beton. «Beton ist das Fundament unseres Wohlstandes, das vergessen wir gerne. Er ist langlebig und billig.» Das Problem sei, dass Beton vor allem auf dem Brennen von Kalk basiere, ein Verfahren bei dem CO2 entsteht und das viel Energie benötigt.
Die Frage, die sich aufdrängt, stellt er selbst: Wie kann so ein Konzern bis 2050 CO2-neutral werden. «Indem wir entlang der ganzen Wertschöpfungskette jeden Hebel in Bewegung setzen.» Wögerbauer spricht vom Betonrecycling, dem Ersetzen von Klinker als Bindemittel, von neuen Betonplatten mit vorgespannten Karbonritzen, die sich zurückbauen und wiederverwenden liessen.
Das Problem, das bleibt, zeigt eine Holcim-eigene Grafik zum Absenkpfad, also der geplanten schrittweisen Senkung der CO2-Emissionen. Die letzten 44 Prozent wird Holcim 2050 abscheiden und einlagern oder anderweitig verwerten müssen. CCUS lautet das Stichwort dazu: Carbon Capture, Storage, and Utilization.
Zweifelhafte Nähe
Holcim hat seine Netto-Null-Ziele extern validieren lassen durch die Science Based Targets initiative (SBTi), hinter der unter anderem der WWF steht. Dieser ist auch eine von wenigen NGOs, die in Winterthur anwesend sind.
„Unternehmen sind Teil des Problems, aber auch Teil der Lösung“, sagt Sprecher Sebastian Obrist, der für den WWF am Symposium teilnimmt. Der Einfluss internationaler Konzerne sei enorm, man brauche sie „als Verbündete, um der Klimakrise und dem Artensterben entgegenzuwirken“.
Kritiker sagen, der WWF ignoriere Interessenskonflikte und würde Greenwashing ermöglichen. Ähnliches hört man auch über die SBTi. In der Organisation kam es 2024 zu einem prominenten Abgang. CEO Luiz Amaral trat zurückExterner Link, nachdem der Entscheid, CO2-Kompensationen zuzulassen, zu internen Querelen geführt hatte.
Sind die Bekenntnisse zu Absenkungspfaden am Ende nur Augenwischerei, um sich Zeit und Ruhe vor staatlichen Eingriffen und Kontrollen zu schaffen? Oder anders gefragt: Was ist das grüne Versprechen von Unternehmen wie Holcim Wert?
Wer bezahlte für diese „Träume“?
Im gleichen Panel in Winterthur tritt auch Lukas Hetzel auf, Kommunikationsleiter bei Cemsuisse, dem Verband der Schweizer Zementindustrie.
Seine Tonalität ist eine andere als die der Vorredner, er klingt skeptischer. „Träume und Ziele sind gut, aber wir brauchen Klarheit“, sagt Hetzel.
Die Kosten von 200 bis 500 Millionen pro Zementwerk für die CO2-Abscheidung seien für die Branche nicht finanzierbar. Zudem fehlten die Transportkapazitäten. „Und wo käme der Strom her? Wir hätten nie genug Strom, um die CCSU-Massnahmen zu betreiben.“
Holcim betont dagegen das Machbare und Geleistete. Kritik von Greenpeace Schweiz von 2021, der Konzern verursache giftige Emissionen an diversen Standorten weltweit, wurde aufgegriffen.
«Alle genannten Fälle wurden identifiziert und vollständig behoben. Wir haben mehr als 150 Projekte im Rahmen unserer Bemühungen um eine vollständige Reduzierung der Umweltbelastung bis 2024 abgeschlossen», schreibt die Pressestelle auf Anfrage. Punkto CO2 lässt sie wissen, in der Schweiz habe Holcim seit 2021 die spezifischen Emissionen um über 10 Prozent gesenkt.
Zuletzt ist die Vertrauenswürdigkeit des Konzerns gewachsen. Die letzte Kartellstrafe wegen Preisabsprache liegt schon acht Jahre zurück. Und auch Vorwürfe der Terrorfinanzierung rund um ein Werk in Syrien sind fast verklungen.
Zudem hatte Holcim immer betont, nichts davon gewusst zu haben. Der Zementkonzern Lafarge, der 2015 mit Holcim fusionierte – und dessen Buchstaben unterdessen aus dem Unternehmensnamen verschwunden sind –, habe die weiter zurückliegenden Vorfälle zu verantworten.
Abstimmung im Kanton Waadt
Das Image ist wichtig für den Zementriesen, erst recht in der Schweiz, wo die Bevölkerung mit ihren demokratischen Rechten am langen Hebel sitzt. So sieht Holcim am 28. September in der Waadt der Abstimmung über eine Initiative entgegen, die den Mormont-Hügel in der Region Eclépens unter Schutz stellen will.
Holcim betreibt in diesem Gebiet einen Steinbruch. Im Oktober 2020 wurde dieser von Klimaaktivistinnen und -aktivisten besetztExterner Link, die sich gegen den Steinbruch wehrten. Auch hier streicht Holcim seine Umwelt- und Klimabemühungen heraus, wie auch die Bedeutung des Steinbruchs für die Bauindustrie.
Für den Konzern wird die Abstimmung auch ein Gradmesser sein, wie er in der öffentlichen Gunst in der Schweiz dasteht, und ob sie an das grüne Versprechen glaubt.
Das Swiss Green Economy Symposium (SGES) wurde 2013 in Winterthur ins Leben gerufen. Seither ist der Kongress stetig gewachsen. Er dient als Netzwerkanlass, der insbesondere die traditionelle mit der Nachhaltigkeitsindustrie zusammenbringt. Die diesjährige Ausgabe hat vom 2. bis 4. September in Winterthur stattgefunden. SWI Swissinfo.ch war Medienpartner des Anlasses.
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