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Schweizer Parallelwährung WIR 70-jährig

Die WIR Bank in Basel verwaltet das WIR-Geld ähnlich wie eine Zentralbank. WIR Bank

Als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre geschaffen, hat sich WIR als Schweizer Parallelwährung während 70 Jahren gehalten.

Heute verhilft sie über 60’000 kleinen und mittleren Unternehmen zu günstigen Krediten, während diese gleichzeitig ihre Kundschaft ausbauen können.

Gut jedes fünfte kleine und mittlere Unternehmen (KMU) der Schweiz lässt den Schweizer Franken links liegen. Sie bezahlen ihre Lieferanten, ihre Abgaben und Investitionen in WIR-Geld («WIR Wirtschaftsring-Genossenschaft»). Jedenfalls zum Teil.

Letztes Jahr hat WIR einen Umsatz im Gegenwert von 1,7 Mrd. Franken erreicht, 4,2% mehr als 2003. Dies nach zehn Jahren Krise in der Bauwirtschaft, der Hauptnutzerin dieser montären Nische.

Konkret geht es bei WIR um ein privates monetäres System, das in einem geschlossenen Kreis zirkuliert. Eine Art aufgewerteter Tauschhandel, bei dem die KMU statt Produkte oder Arbeitsstunden ein an den Schweizer Franken gebundenes Zahlungsmittel austauschen.

An der Spitze des Systems steht die WIR Bank in Basel, die auch in anderen Städten vertreten ist. Sie gibt unter der Kontrolle der Schweizerischen Nationalbank (SNB) WIR heraus und bewirtschaftet sie, in der Art einer Zentralbank.

Brennstoff der Bauwirtschaft

Die WIR Bank verwaltet den Zahlungsverkehr der Mitglieder, wofür sie maximal 1% der jeweiligen Transaktions-Summe verlangt. Im Gegenzug erhalten die WIR-Mitglieder sehr preiswerte Kredite bei der Bank. Für den Bausektor sind diese enorm wichtig.

Über diese Kredite an KMU gelangt auch das WIR-Geld in den Kreislauf der Mitglieder. Um dies zu ermöglichen, braucht die Bank von jedem Neumitglied ein Depot in Schweizer Franken.

«Während der letzten Jahre hat die WIR Bank eine aggressive Neukunden-Anwerbung berieben», sagt Sergio Rossi, Spezialist für Geldpolitik an der Universität Freiburg, gegenüber swissinfo.

«Auf der theoretischen Ebene funktioniert die WIR Bank nach gängigem Muster: Je mehr Depots sie besitzt, desto mehr Kredite zu günstigen Zinsen kann sie anbieten.»

Ein Kind der Wirtschaftskrise

Das WIR-System ist auf dem Höhepunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise in den 1930-er Jahren entstanden. Angesichts des Kapitalmangels entwickelten 1934 mehrere kleine Unternehmen in Zürich ein Parallel-System zur Abwicklung ihrer Geschäfte.

Diese Leute waren beeinflusst von verschiedenen Theorien des wirtschaftlichen Liberalismus, namentlich von der neoklassischen Geldtheorie von Friedrich von Hayek und der Theorie von der zinsfreien Wirtschaftsordnung von Silvio Gesell. Deshalb gibt es bis heute keine Zinsen auf WIR-Guthaben.

Der letzte Mohikaner

In den 30-er Jahren wurden viele Experimente im Tauschgeschäft erprobt. Das WIR-System ist zweifelsohne das einzige, das bis heute überlebt hat.

Für den Sprecher der WIR Bank ist dieser Erfolg nur wegen der Banken-Lizenz möglich gewesen. Hervé Dubois zu swissinfo: «Ohne die Möglichkeit der Kreditvergabe hätte das WIR-System nicht überlebt.»

Die KMU, die sich dem WIR-System verschrieben haben, könnten so das traditionelle Banken-System umgehen, präzisiert Sergio Rossi. Damit würden sie Unternehmungsgeist und den Willen zu Wirtschaftswachstum zeigen.

Allerdings sei das ganze System auf sich selber beschränkt, räumt Rossi ein. Doch gerade diese Art eines «gefangenen Systems» würden die KMU schätzen.

Erweiterung der Kundschaft

«Ich mache schon seit 20 Jahren bei WIR mit», sagt die Lausanner Floristin Yvette Mettler gegenüber swissinfo. Das System bringe ihr zusätzliche Kundschaft – eine Kundschaft, deren Portemonnaie sich bewege, weil sie eben mit WIR bezahle.

«Nicht wir suchen die Kunden, die Kunden suchen uns», sagt Ronald Steinhauer, der in der Romandie Küchen installiert. «Das WIR-System erweitert meinen Kundenkreis. Viele rufen mich aus der Deutschschweiz an. Ohne WIR wäre das kaum denkbar. Ich sehe darin nur Vorteile», so Steinhauer zu swissinfo.

Verhängnisvoller Schwarzmarkt

Viele Vorteile also – doch gibt es auch Nachteile: Gewisse KMU ertrinken fast in WIR, die sie kaum mehr los werden. Oft entscheiden sie sich dann für den WIR-Schwarzmarkt, wo ihnen die WIR zu einem tiefen Preis abgenommen werden.

«Dieser Schwarzmarkt ist sehr verhängnisvoll», erklärt Hervé Dubois. «Er erschwert die Kontrolle über die Geldmenge des WIR-Systems. Wir schliessen regelmässig WIR-Angehörige aus, die wir beim Kaufen oder Verkaufen von WIR ertappen.»

swissinfo, Pierre-François Besson
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)

Das parallele Geldsystem WIR macht 1% der Franken-Geldmenge M1 (Banknoten und Münzen in Zirkulation) aus.

Wenn mit der WIR-Geldmenge korrekt umgegangen wird, hat sie laut dem Ökonomen Sergio Rossi keinen Einfluss auf die makroökonomische und finanzpolitische Stabilität der Schweiz.

Dagegen ist eine Inflation im WIR-System möglich. In den 70-er Jahren hatte eine zu grosse WIR-Menge die WIR Bank gezwungen, ihre Zinssätze zu erhöhen – wie das in einem solchen Fall jede andere Zentralbank tut.

60’000 Schweizer KMU machen mit beim parallelen Geldsystem WIR.
2004 erreichte WIR einen Umsatz im Gegenwert von 1,7 Mrd. Fr.
Ein Drittel des Systems «trägt» der Bausektor.
Über 800 Mio. WIR (entspricht Schweizer Franken) sind in Zirkulation.

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