
Präzisionswaffe? So sauber ist der Drohnenkrieg wirklich

Drohnen, die in Konflikten eingesetzt werden, seien chirurgisch präzise und reduzierten Kollateralschäden, behaupten Befürworter:innen. Doch die weltweit steigende Zahl ziviler Opfer stellt den Mythos des «sauberen» Kriegs infrage.
Der Einsatz von Drohnen als Waffen ist zu einem zentralen Element der Kriegsführung des 21. Jahrhunderts geworden, schreibt die Forschungsgruppe Drone Wars UK in ihrem Bericht «Death on Delivery»Externer Link im März 2025.
Darin dokumentiert die Organisation 50 Drohnenangriffe zwischen November 2021 und November 2024 in verschiedenen afrikanischen Ländern.
Mindestens 943 Zivilist:innen sollen dabei getötet worden sein, zählt die Organisation. 490 davon, also fast die Hälfte, waren Opfer von Drohnenangriffen in Äthiopien. Dazu kamen Angriffe in Burkina Faso, Mali, Somalia, Nigeria oder dem Sudan.

Zivilpersonen als Opfer
«Es scheint eine sehr weit gefasste Definition davon zu geben, wer als Ziel in Frage kommt», sagt Cora Morris, Mitautorin des Berichts. In manchen dokumentierten Vorfällen seien ganze Gebiete intensiven Drohnenangriffen ausgesetzt gewesen, ohne dass zwischen Kombattant:innen und Zivilist:innen unterschieden wurde.
So zum Beispiel in Äthiopien: Hier stammen viele der zivilen Drohnenopfer aus den Regionen Amhara und Tigray.
Vor einigen Jahren noch wurden militärische Drohnen hauptsächlich von den USA zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt. Die Diskussion um die Rechtmässigkeit solcher Angriffe drehte sich damals vor allem um die Frage, ob aussergerichtliche Tötungen in Ländern legitim sein können, die nicht direkt mit den USA im Krieg standen, wie etwa Pakistan.
Heute aber setzen fast 50 Länder Drohnen als Waffen ein, sie kommen sowohl in konventionellen Kriegen zwischen zwei Staaten als auch in Bürgerkriegen zum Einsatz.
Doch Menschenrechtsorganisationen warnen: Weil ihr Einsatz so sehr zugenommen hat, ist auch die Gefahr gewachsen, dass diese kostengünstigen, wirkungsvollen Waffen das humanitäre Völkerrecht aushöhlen und die Regulierungen der Rüstungskontrolle untergraben könnten.
Warum der Boom?
Drohnen sind effektiv und billig – das treibt ihren Einsatz als Waffen weltweit in die Höhe. Drohnen mittlerer Flughöhe und mit langer Ausdauer (MALE), die einst ausschliesslich in den USA, Grossbritannien, Israel und China verfügbar waren, werden heute von der Türkei und dem Iran hergestellt und exportiert.
Dank handelsüblicher Komponenten, modularen Designs und Open-Source-Technologie können sie zu einem Bruchteil der Kosten produziert werden.

Viele Regierungen haben die Gelegenheit genutzt, um ihre Streitkräfte zu modernisieren. Denn der Preis für eine Drohne beläuft sich auf einen Tausendstel von dem eines Bombers oder Panzers. Dennoch sind die Flugobjekte in der Lage, hochrangige Ziele zu zerstören.
Die Ukraine hat das enorme Potenzial im Juni unter Beweis gestelltExterner Link. In einer beeindruckenden Operation setzte Kiew über 100 kostengünstige Drohnen mit First-Person-View ein, um 40 russische Kampfflugzeuge auf vier Militärbasen anzugreifen. Laut dem Center for Strategic and International Studies kostete jede einzelne Drohne zwischen 600 (490 Franken) und 1000 US-Dollar.

Doch nicht nur Staaten nutzen die Geräte. Mittlerweile sollen laut dem Danish Institute for International StudiesExterner Link mehr als 65 nichtstaatliche bewaffnete Gruppen über Drohnen verfügen.

Belkis Wille von Human Rights Watch (HRW) spricht von einem «Paradigmenwechsel»: Kommerzielle Drohnen, die leicht modifiziert werden können, ermöglichen es Akteuren mit geringem Budget – oder Personen mit einem 3D-Drucker und einem Amazon-Konto – gezielte Angriffe in urbanen Gebieten durchzuführen.
«Heute kann man Zivilpersonen kostengünstig und mit hoher Präzision angreifen», sagt Wille, stellvertretende Direktorin der Abteilung für Krisen, Konflikte und Waffen bei HRW.
In einem BerichtExterner Link, der im Juni veröffentlicht wurde, dokumentierte Wille, wie russische Drohnenpilot:innen Zivilpersonen in der ukrainischen Stadt Cherson jagen. Dazu setzten sie handelsübliche Quadcopter-Drohnen ein, und warfen Sprengstoff auf Radfahrende, Fussgänger:innen oder Buspassagiere.
Ist das humanitäre Völkerrecht überholt?
Die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle verbieten wahllose Angriffe und schützen Zivilpersonen ausdrücklich. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) stellt fest, dass Drohnenkriegsführung nach dem humanitären Völkerrecht nicht grundsätzlich rechtswidrig ist – sofern die Kriegsparteien die Grundsätze der Unterscheidung, Verhältnismässigkeit und Vorsicht einhalten.
Aus rein völkerrechtlicher Sicht «muss die Person, welche die Drohne fernsteuert und den Entscheid über das Angriffsziel trifft, die Einhaltung des humanitären Völkerrechts sicherstellen», sagt Anna Rosalie Greipl, Forscherin an der Akademie für internationales humanitäres Recht und Menschenrechte in Genf.
Sie müssen die völkerrechtlichen Grundsätze der Unterscheidung, Verhältnismässigkeit und Vorsicht auf die jeweilige Situation anwenden.
Wille stimmt dem zu. Drohnen, sagt sie, seien nicht deshalb gefährlich, weil sie ausserhalb des bestehenden Rechtsrahmens liegen. Sondern weil sie Verstösse – wie das gezielte Angreifen von Zivilist:innen – effizienter und mit grösserer Anonymität ermöglichen.

Autonomie, KI und Killerroboter
Die Entwicklung hin zu autonomen Drohnensystemen – besonders solchen, die mit KI-Technologie ausgestattet sind – könnte diesen Trend noch beschleunigen, sagt Wille.
Sie verweist dabei auf Russland und die Ukraine, wo sowohl die Weiterentwicklung der Drohnentechnologie, aber auch jene für ihre Abwehr, rasch voranschreiten.
So könnten KI-gestützte Drohnen schon bald auf dem Schlachtfeld zum Einsatz kommen. «Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Killerroboter im Kampf eingesetzt werden könnten», sagt Wille. «Eine davon sind Drohnen.»
Der Drohnenboom in der Kriegsführung habe wiederum die Entwicklung von Störtechnologien als Gegenmassnahme befeuert. Deren Zweck ist es, mithilfe von Funkfrequenzsignalen oder elektromagnetischen Störungen die Systeme einer Drohne zu verwirren, zu blockieren oder ausser Kraft zu setzen.
Um das Stören zu umgehen, wird an der Schaffung autonomer Systeme gearbeitet, die keine Kommunikationsverbindung zwischen der Drohne und ihrer pilotierenden Person benötigen, sobald die Drohne gestartet ist. Dazu könnte die Drohne beispielsweise mit Hunderttausenden von Bildern von Panzern trainiert werden, um Ziele auszuschalten.
«Sobald das geschieht, werden diese Drohnen zu Killerrobotern, da kein Mensch mehr in den Prozess eingebunden ist», sagt Wille. «Ein solches Drohnensystem könnte darauf trainiert werden, ein Kind genauso leicht auszuschalten wie einen Panzer. Das ist das Worst-Case-Szenario, auf das wir möglicherweise zusteuern.»
Diese Entwicklung wird vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) genau beobachtet. «Mit nur einem Software-Update oder einer Änderung der Militärdoktrin könnten [Drohnen] leicht zu den autonomen Waffensystemen (AWS) von morgen werden, die ohne menschliches Eingreifen Ziele auswählen und angreifen», warnt die Organisation in ihrem Bericht über die Herausforderungen des humanitären Völkerrechts 2024Externer Link.
Rechtliche Grauzonen
Die Grundsätze des humanitären Völkerrechts verlangen von den Kriegsparteien, zwischen Kombattant:innen und Zivilist:innen zu unterscheiden. Sie müssen sicherstellen, dass Angriffe in einem angemessenen Verhältnis zum erzielten militärischen Vorteil stehen, und Vorkehrungen treffen, um Schäden für Zivilist:innen so gering wie möglich zu halten.
Der vermehrte Einsatz von Drohnen in komplexen Umgebungen erschwert jedoch die genaue Identifizierung rechtmässiger Ziele und die Einschätzung über potenzielle Schäden für Zivilist:innen.
Problematisch wäre laut Greipl ausdrücklich, wenn KI zur Datenerfassung und -analyse eingesetzt würde und deren Ergebnisse wiederum für militärische Entscheidungsträger bereitgestellt würden.
«Das kann sehr problematisch sein, je nachdem, wenn Menschen diese Informationen für ihre rechtlichen Bewertungen nutzen, ohne genau zu wissen, wie die in dieser Technologie eingebauten Vorurteile und Annahmen funktionieren.»
Ein weiteres Problem ist, dass Militärangehörige, die Drohnen einsetzen, zwar ein gewisses Verständnis des humanitären Völkerrechts haben. Private, kommerzielle Akteure aber, die diese Technologie etwa im Silicon Valley herstellen, hätten dies in der Regel nicht, sagt Wille.
Mangelhafte Regulierung
Die derzeitigen internationalen Regulierungen und Kontrollen im Bereich der Rüstungsexporte – das Raketentechnologie-Kontrollregime (MTCR), der Waffenhandelsvertrag und das Wassenaar-Abkommen – sind laut Cora Morris von der Forschungsgruppe Drone Wars UK mangelhaft. Sie hätten es nicht geschafft, die weltweite Verbreitung und den Missbrauch von Drohnen einzudämmen.
«Eine Zusammenarbeit auf internationaler Ebene ist dringend erforderlich, um die Verbreitung und den Einsatz von Drohnen zu regulieren», sagt sie. «Die derzeitigen Regulierungsrahmen haben sich eindeutig als unzureichend erwiesen.»
In der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York und in Genf konzentrierten sich die Diskussionen denn auch auf autonome Waffen – namentlich auf Killerroboter.
Im März 2024 führte Portugal eine 21 Nationen umfassende UNO-Koalition an, die mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht im Zusammenhang mit bewaffneten Drohnen forderte. Der UNO-Generalsekretär hat die Staaten aufgefordert, autonome Waffen bis 2026 zu regulieren oder zu verbieten.
«Das Problem ist, dass Drohnen, die mit KI-Systemen betrieben werden, nicht nur zur Identifizierung eines Ziels, sondern auch zur Auswahl und Anwendung von Gewalt ohne menschliches Eingreifen eingesetzt werden könnten», sagt Greipl. «Hier braucht es klare Grenzen und Einschränkungen.»
Grafik: Kai Reusser
Datenrecherche und interaktive Grafiken: Pauline Turuban
Bildrecherche: Helen James
Editiert von Virginie Mangin/ac, Übertragung aus dem Englischen mithilfe von Deepl: Meret Michel/raf

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