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Wer hat Angst vor dem Wolf?

Der Wolf ist nicht überall willkommen. Imagepoint

Der Wolf polarisiert die Bevölkerung, seit er in der Schweiz gelegentlich wieder auftaucht. Doch das Raubtier macht nicht allen Berg-Kantonen gleich viel zu schaffen.

Während Graubünden weniger Wölfe und grössere, besser geschützte Herden hat, befinden sich im Wallis mehr Wölfe, die den kleineren, meist ungeschützten Herden zusetzen.

Die Rückkehr des in der Schweiz einst ausgestorbenen Wolfes sorgt immer dann für negative Schlagzeilen, wenn er Schafe gerissen hat.

In der Schweiz wird der Wolf durch das “Konzept Wolf Schweiz” begleitet.

Gemäss diesem Konzept kann ein “schadenstiftender Wolf” abgeschossen werden, wenn er innerhalb von vier Monaten 35 oder in einem Monat 25 Nutztiere gerissen hat.

Für die Schafzüchter ist diese Zahl zu hoch. Sie befürchten, dass ihre Verluste bei der bald zu erwartenden Rudelbildung exponentiell steigen könnten.

Wolfkonzept wird überprüft

Die Tauglichkeit des “Konzepts Wolf Schweiz” soll nun von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung des Bundesamts für Umwelt (BAFU) überprüft werden. Dabei soll auch den Interessen der Schafhalter Rechnung getragen werden.

“Aufgrund der Beobachtungen in diesem Jahr muss davon ausgegangen werden, dass sich in der nächsten Zeit erste Rudel in der Schweiz bilden werden – eine Voraussetzung für die Reproduktion von Wölfen auch bei uns”, erklärt Reinhard Schnidrig von der Sektion Jagd, Wildtiere und Waldbiodiversität im BAFU gegenüber swissinfo.

Ziel sei es, so Schnidrig, das Konzept vor der nächsten Sömmerung anzupassen, das heisst, bevor die Schafe wieder auf den höher liegenden Alpen weiden.

Umstrittener Schutz

Der Wolf ist nach der Berner Artenschutz-Konvention “streng geschützt”. Kürzlich erst hat die Schweiz versucht, mehr Spielraum im Umgang mit dem Wolf zu erhalten. Sie wollte dessen Schutz herabsetzen lassen, blitzte damit vor dem Europarat in Strassburg jedoch ab.

Öl ins Feuer der Diskussion hat Ende November der Kanton Wallis gegossen: Wildhüter hatten dort mit Bewilligung der Regierung, die einem Rekurs des WWF die aufschiebende Wirkung entzogen hatte, einen Wolf erschossen.

Dass in diesem Kanton andere Regeln gelten würden, will der Walliser Jagdinspektor Peter Scheibler aber nicht gelten lassen. “Wir haben mehr Wolfskontakte als alle anderen Kantone der Schweiz”, betont er.

Herden zusammenlegen

Der Kanton halte sich an das Wolfskonzept und dränge die Züchter dazu, ihre Herden zusammenzulegen. “Das ist im Moment die einzige Möglichkeit, Schaden zu vermeiden”, so Scheibler.

Behirtete Herden werden vom Bund zusätzlich unterstützt. Doch laut Berechnungen der Koordinierten Forschungsprojekte zur Erhaltung und zum Management der Raubtiere in der Schweiz (KORA) lohnt sich die Anstellung einer Hirtin oder eines Hirten erst ab einer Grösse von 840 Schafen. So gross sind nur rund 4% der Schweizer Herden.

Und genau dort liege im Wallis das Problem. Das Wallis hat einige Hundert, oft sehr kleine Alpweiden. Und weil die Schafhaltung namentlich im Oberwallis von vielen Leuten nur als Hobby oder Nebenerwerb betrieben wird, sind die Herden oft sehr klein (20-30 Tiere). Und dafür ist der Einsatz von Hirte und Hund zu teuer.

“Grosse Zusammenlegungen sind in vielen Fällen nicht möglich”, erklärt Scheibler.

Im Obergoms, das als Wolfsgebiet gilt, fehlten schlicht die materiellen Mittel, um all die Alpen schützen zu können. Von den finanziellen ganz zu schweigen. “Das sind praktische Probleme, auf die man heute wenig bis keine Antworten hat.”

Im Gegensatz dazu schützen Bündner Schafzüchter ihre Herden schon länger. “Wir hatten mehr Zeit für Präventionsmassnahmen”, gibt Georg Brosi, Jagdinspektor des Kantons Graubünden, zu bedenken.

Herdenschutz

Doch das “Konzept Wolf Schweiz” schreibt den Herdenschutz eigentlich vor: In bereits heimgesuchten Gebieten sollen nur noch Schafe gezählt werden, die in geschützten Herden gerissen werden, um einen Abschuss zu rechtfertigen.

Walliser Züchter wollen von Schutzhunden jedoch nichts wissen. “Die mentale Einstellung muss längerfristig eine Veränderung erleben”, sagt Daniel Mettler, der im Auftrag des BAFU alle Kompetenzzentren der Schweiz in Sachen Herdenschutz koordiniert.

“Der Herdenschutz ist natürlich ein längerfristiger Prozess, sowohl was die Arbeit im Feld und die ganzen technischen Aspekte betrifft, wie auch im psychologischen Bereich.”

Besonders im Wallis hat Mettler festgestellt: “Je professioneller die Schafhaltung betrieben wird, desto besser sind die Schäfer vorbereitet.”

In Notfällen kann Mettler seit drei Jahren auf die rasche Eingreiftruppe des Herdenschutzzentrums im Walliser Jeizinen zurückgreifen. Diese ist innert zwei bis drei Tagen vor Ort. “Überall dort, wo die schnelle Eingreiftruppe im Einsatz war, gab es keine Schäden mehr”, betont er.

swissinfo, Christian Raaflaub

Der Wolf wurde in der Schweiz im 19. Jahrhundert ausgerottet. In Italien überlebten aber mehrere Wolfsrudel.

Heute leben in den italienischen und französischen Alpen etwa zehn Rudel mit durchschnittlich je fünf Tieren.

Seit 1995 wurden in der Schweiz 14 Wölfe zweifelsfrei identifiziert. Heute leben nachgewiesenermassen drei Wölfe dauerhaft in der Schweiz.

Im ganzen Land werden 450’000 Schafe gehalten. Als effizienter Schutz hat sich der Einsatz von Herdenschutzhunden erwiesen. Denn Wölfe meiden Hunde. Zusammen mit Hunden werden auch Esel eingesetzt.

2004 bezahlte der Bund für die Schafhaltung insgesamt 37,2 Mio. Fr. Direktzahlungen
Diese wurden aufgeteilt in:
19 Mio. Fr. für Tierhaltung unter erschwerten Bedingungen
10,5 Mio. Fr. Raufutterverzehr-Beiträge
3 Mio. Fr. für kontrollierte Freihaltung
4,7 Mio. Fr. Sömmerungs-Beiträge

Der Wolf ist in der Schweiz unterschiedlich beliebt, wie kürzlich eine Umfrage im Auftrag des WWF ergeben hat.

Demnach begrüssen drei Viertel (76%) der Schweizer Bevölkerung die Rückkehr des Wolfs.

Regional gesehen zeigte sich im Wallis jedoch die höchste Ablehnung. In diesem Kanton sprachen sich nur noch 47% Befragten für den Wolf aus.

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