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Das Drama von Siders macht sprachlos

In Siders zünden Menschen Kerzen für die belgischen Opfer des Carunfalls an. Keystone

Der Schweizer Presse fehlen die Worte, um den Horror des Carunglücks im Kanton Wallis zu beschreiben, bei dem 28 Menschen den Tod fanden, darunter 22 Kinder. Die Verletzten konnten unterdessen alle identifiziert werden.

Der tragische Busunfall in einem Tunnel bei Siders im Kanton Wallis hat in Belgien und der Schweiz grosse Betroffenheit ausgelöst. Beim Selbstunfall des belgischen Reisecars, der auf dem Rückweg von einem Kinderskilager war, kamen am Dienstagabend 22 Kinder und 6 Erwachsene ums Leben.

Am Mittwochabend waren die Eltern der Opfer in der Schweiz angekommen. Während der Nacht konnten schliesslich alle der 24 überlebenden Kinder, von denen sich drei noch in kritischem Zustand befinden, identifiziert werden.

Belgien wird die Särge der 28 Toten am Freitag in die Heimat fliegen, wie das Büro des belgischen Regierungschefs Elio Di Rupo am Donnerstag in Brüssel mitteilte. Am Freitag um 11 Uhr will Belgien in einer Schweigeminute offiziell der 22 toten Kinder und der sechs toten Erwachsenen gedenken.

Einige Angehörige der Unfallopfer besuchten am Donnerstagmorgen den Unfalltunnel bei Siders. Weitere Familien gingen zu der Kapelle, in der die toten Kinder aufgebahrt sind.

Di Rupo war am Mittwoch zusammen mit den Eltern in die Schweiz gereist. Er hatte sich sichtlich geschockt gezeigt: “Wenn man einen Angehörigen verliert, ist es dramatisch, wenn man ein Kind verliert gibt es keine Worte”, sagte er.

“Wer selber Mutter oder Vater ist, weiss, dass es keine grausamere Vorstellung gibt als den Verlust eines Kindes. Die Eltern der toten Kinder müssen unter einem Schock stehen, den man sich kaum vorstellen kann”, schreibt Der Bund am Donnerstag.

“Uns als nicht direkt Betroffenen bleibt nur, einen Moment innezuhalten, uns unsere Sterblichkeit in Erinnerung zu rufen und vielleicht einige Gedanken darauf zu verwenden, womit wir die unbekannte Zeitspanne zwischen dem Jetzt und dem Tod verbringen wollen – und ob es nicht sinnvolle Alternativen zu dem gäbe, womit wir gegenwärtig unsere Tage ausfüllen.”

Grenzenloser Schmerz

Unter dem Titel “Das zertrümmerte Glück” beschreibt die Aargauer Zeitung die Folgen des tragischen Unfalls. “Wir schreiben von 22 Kindern, die nie mehr zurückkommen. Wir reden von 22 Müttern und 22 Vätern, die ihr Kind nie mehr in die Arme nehmen dürfen, nie mehr sehen werden.”

Im Online-Blog des Skilagers seien Bilder von fröhlichen, aufgestellten Kindern zu sehen. Und von einem Moment auf den anderen sei alles anders: “Der Schmerz kennt keine Grenzen; egal, wo wir leben; egal, wo wir sind, ob in der Schweiz oder in Belgien. Der Schmerz um die 22 Kinder verbindet uns.”

Es gebe keine Worte, greift der Kommentator Di Rupos Worte des Trostes auf: “Was auch immer wir schreiben, wir können es nicht beschreiben. Es bleibt die Ahnung. Vom Leid der Eltern. Und eine grosse Frage: Wo war Gott, als der Car durch diesen Tunnel fuhr?”

“Warum?”

Die Kinder hätten am Dienstag heimkehren sollen, “doch es waren ihre Eltern, die in die Schweiz gekommen sind. Um ein verletztes Kind abzuholen. Oder seine Leiche zu identifizieren”, schreibt die Westschweizer Zeitung Le Matin.

Ein Kreuz aus Worten auf schwarzem Grund, so sieht am Donnerstag die Frontseite des Blicks aus. “Warum?” titelt die Boulevardzeitung. “Das ist die einzige Frage, die einem dazu einfällt. Die Tragödie im Wallis macht sprachlos.”

Es gebe keine Schlagzeile, die dem Leid gerecht würde. “Dieser 13. März geht als schwarzer Tag in die Geschichte unseres Landes ein. 22 Kinder, die in den Skiferien die vielleicht glücklichsten Tage ihres jungen Lebens verbrachten, sehen ihre Familien nie wieder.”

Es gebe keinen Trost für die Angehörigen der vielen toten Kinder. “Nur das tief empfundene Mitgefühl aller Schweizerinnen und Schweizer. Es gibt sicher keinen schlimmeren Verlust als den eines Kindes. Und es gibt keine Antwort auf die Frage nach dem Warum.”

Frage nach Tunnelsicherheit

Ein Teil der Schweizer Presse stellt sich auch die Frage nach der Sicherheit der Tunnels und speziell der Notfallnischen. In eine solche war der belgische Reisecar am Dienstagabend praktisch ungebremst hineingedonnert.

Die Westschweizer Tageszeitung Le Temps fragt sich, “ob für schwere Fahrzeuge nicht eine tiefere Geschwindigkeit vorgesehen oder die Konzipierung der Rettungsnischen angepasst werden sollte”.

Auch der Tages-Anzeiger stellt Fragen zu den Rettungsnischen, die in den Tunnels rechtwinklig konstruiert sind: “Die rund drei Meter breite Ausbuchtung wird durch eine Wand begrenzt, die rechtwinklig zur Fahrbahn steht. Nur wegen dieser Wand konnte es im Tunnel zu einem Frontalaufprall kommen.”

Doch so sicher man auch einen Tunnel konstruiere, “den ganz sicheren Tunnel gibt es nicht”, so das St. Galler Tagblatt. Am Schluss sei der Mensch der grösste Unsicherheitsfaktor. “So wie auch bei der tödlichen Carfahrt durch den Walliser Tunnel.”

“Die Cars neuster Generation sind zwar technologisch fortgeschrittene Leistungsmaschinen und werden in der Schweiz wie in Europa jedes Jahr durchgetestet”, zitiert die La Regione einen Experten. Und trotzdem sieht auch das Tessiner Blatt den Faktor Mensch als grösste Unsicherheit in Tunnels.

Die belgischen Zeitungen reagierten entsetzt auf den Busunfall. Unzählige Spezialseiten waren am Donnerstag dem Drama in der Schweiz gewidmet.

“An diesem schwarzen Mittwoch war nichts mehr wichtig. Träume und Ambitionen wurden in 22 kleinen Särgen verpackt”, so der Kommentar in der flämischen Zeitung De Morgen.

Die französischsprachige Dernière Heure schreibt: “Belgien weint um seine Kinder.”

“Plötzlich schlägt das Schicksal zu. Manchmal können wir niemandem die Schuld geben, manchmal bleibt nur die Hilflosigkeit”, heisst es in der flämischen Het Nieuwsblad.

Die Tageszeitung De Standaard schreibt vom “schlimmsten Albtraum”, den es geben könne. Denn “wir wurden dort getroffen, wo wir am verletzlichsten sind: bei unseren Kindern”.

“Gestern waren wir alle Eltern dieser kleinen Opfer, deren Leben in einem Schweizer Tunnel zerstört wurde”, heisst es im Kommentar von L’Avenir.

16.9.2006: Ein Zusammenstoss zwischen dem Reisecar einer Hockey-Mannschaft und einem Personenwagen im Viamala-Tunnel der A13 zwischen Thusis und Andeer (Kanton Graubünden) fordert 9 Tote und mehrere Verletzte.

13.4.2005: 13 Menschen sterben, als ein Car am Grossen St. Bernhard bei Orsières (Kanton Wallis) 200 Meter einen Hang hinunterstürzt.

24.7.1992: Auf der Tessiner Seite des Nufenen-Passes durchbricht ein deutscher Reisebus mit überhöhter Geschwindigkeit eine Leitplanke und stürzt 20 Meter in die Tiefe. 8 Menschen werden getötet, 23 weitere verletzt.

12.9.1982: Auf einem Bahnübergang bei Pfäffikon (Kanton Zürich), dessen Barriere nicht heruntergelassen war, rammt ein Zug einen Reisecar. 39 Menschen finden den Tod, nur zwei Car-Insassinnen überleben.

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